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Mit neuen Mitteln auf ausgetrampelten Pfaden

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Liest man die beiden Plädoyers für die Gentechnologie, so ist die erste Reaktion Zustimmung. Wie jede Technik bringt auch die Gentechnik vordergründig elegante und wirksame Problemlösungen: mehr landwirtschaftlicher Ertrag, weniger chemische Umweltverschmutzung, Mittel gegen eine schreckliche Krankheit...

Wer solches kritisiert, handelt sich den Vorwurf ein, Feind jeglichen Fortschritts zu sein. Stichwort Fortschritt: Hier ist der Kern der Auseinandersetzung. Wohin lädt uns die Gentechnologie ein voranzuschreiten?

Genau genommen heißt die Antwort: weiter in dieselbe Richtung wie bisher — nur mit neuen Mitteln. Heinz Saedler etwa plädiert für weitere Intensivierung der Landwirtschaft in den Industrieländern, um das Problem des Hungers in der Welt zu lösen.

Ist das ein problemgerechter Ansatz? Wir sitzen auf Butter-, Fleisch- und Getreidebergen, während in der Dritten Welt gehungert wird. Schlimmer: Wir importieren Futtermittel für unser Uberschußvieh aus Ländern, in denen Menschen das Lebensnotwendige fehlt. Saedlers Darstellung basiert auf falschen Prämissen.

Aber, die Gentechnologie verringere die Umweltbelastung, heißt es. Ja, stimmt - aber nur jene Art, die uns heute Kopfzerbrechen bereitet, die chemische.

Vor Jahrzehnten wurde uns der Einsatz von Chemie für landwirtschaftliche Ertragssteigerungen empfohlen. Heute erkennen wir die damit verbundenen Bedrohungen. Sollen wir da den Genforschern glauben, daß ihr Ansatz harmlos ist? Noch dazu, da die Genforschung weit davon entfernt ist, auch nur halbwegs die genetische Steuerung zu durchschauen? Unter der Flagge „Entlastung der Umwelt von Chemie“ droht eine Lawine unvorhersehbarer, neuer Umweltgefahren.

Da hilft auch der Hinweis nichts, in der Natur geschehe ähnliches. Das stimmt nur scheinbar. Denn nirgends finden so massive, einseitige Eingriffe weltweit statt.

Es stimmt auch nicht, daß präparierte Züchtungen im normalen Milieu nicht überleben. Günther Altner („Leben auf Bestellung?“, Herder 1988) berichtet von manipulierten Bakterien, die wochenlang im Abwasser am Leben blieben. Dabei kann es zu Kreuzungen mit anderen Stämmen kommen, was wiederum zu unerwarteten Nebeneffekten bei den daraus entspringenden Lebewesen führen kann.

Löst das unsere Umweltprobleme, wenn wir uns zu unseren Umweltsorgen auch noch gezielt Unruhe in einem derzeit halbwegs stabilen System von Lebensarten einhandeln?

Was aber, wenn trotz aller Versicherungen eine Panne eintritt? Die Produktion chemischer Stoffe kann man einstellen, Atomreaktoren abschalten, aber einmal freigelassene oder entkommene Lebewesen entwickeln eine Eigendynamik. Sie mutieren und wandern, sind nicht rückholbar. Und solche Pannen können auch geschehen, wenn 100 Versuche glimpflich verlaufen sind.

Ja, aber wenn es um das Wohl von Menschen geht, kann nun eingewendet werden, sollte man da nicht zu dieser Technik greifen?

Auch hier gilt: Wir trotten auf eingefahrenen Bahnen weiter. Medizin als hochkomplexes Reparaturverfahren, statt Vermeidung von Schädigung. Wir wissen heute einiges über die Ursachen genetischer Schäden: radioaktive Strahlung, Gifte, die aus der Produktion in unsere Umwelt gelangen.

Warum tun wir nicht zunächst alles, um diese Bedrohungen zu beseitigen? Welch Betätigungsfeld für eine humane Wissenschaft! Eine echte Alternative zum Voranschreiten in einer Wissenschaft, die mißbräuchliche Verwendung geradezu anlockt: das genetische Heil des Menschen zu erwirken!

Sage niemand, das sei eine böswillige Unterstellung Ewiggestriger. Man lese nach, was Nobelpreisträger diesbezüglich beim berühmten Ciba-Symposium 1962 zum besten gegeben haben: Da wurde von Kindern mit vier Armen und von tiermenschlichen Mischlingen gesprochen.

Vieles von dem, was 1962 noch Zukunftsmusik war, ist mittlerweile Realität. Ein Grund, auch das heute utopisch Scheinende nicht nur zu belächeln. Die Untersuchung des Menschen ist es, sein zu wollen wie Gott. Die Gentechnik treibt diese Versuchung bis zur letzten Konsequenz.

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