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Mit „Palermo“ durch Innsbruck

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Jene tapferen Offiziere, die begonnen ihatten, den Aufstand vom 20. Juni 1944 vorzubereiten, waren der Auiflfassung, „die Ostmark“, also unsere österreichische Heimat, gehöre selbstverständlich und untrennbar auch in Zukunft zum Deutschen Reich. Es war typisch für den mangelnden politischen Realismus dieser deutschen Offeiere, daß sie nicht eintauschen vermochten, daß nur die Österreicher salbst über ihr Schicksal bestimmen könnten. Sich als Alliierte an den Tisch der Sieger zu setzen, war auch für revoltierende Offiziere nicht möglich.

Die österreichische Widerstandsbewegung ginig ihren eigenen Weg. An und für sich hätte es bei uns wesentlich 'leichter sein müssen, den Widerstand zu organisieren als in Deutschland, weil die echten Anhänger des Regimes sehr dünn gesät waren, und sogar deren Reihen lichteten sich immer mehr, als der Krieg begann, einen ungünstigen Lauf zu nehmen.. Nun war aber in Österreich der Hanig zur Gnuppenbildiung noch viel ausgeprägter als in den deutschen Kleinstädten. Was sieh da zu den „Regimegegnern“ zählte, saß mit Vorliebe in den Kaffeehäusern oder in Privatwohnungen beisammen, um dort kräftig zu schimpfen, einander die letzten Mitteiluntgen der Auslandssender zu erzählen und gleich-zetig eine neue Regierung für den „Tag X“ zu bilden. Allerdings sollten diese Aktivitäten auch wieder nicht untenschätzt werden. Sie trugen viel dazu bei, die Regierungstreuen zu isolieren, die Wahnheit über die Kriegslage zu verbreiten und den Kriegswillen im allgemeinen ganz empfindlich zu lähmen. Dennoch war es nicht leicht, aus dieser Gruridstrimmung heraus den Übergang zur Schaffung eines wirksamen Instrumentes) zu finden, das für einen konkreten paramilitärischen Einsatz geeignet war. Immerhin gelang es uns, einzelne Gruppen straffer zu organisieren, vor allem dort, wo das Führungsproblem gelöst werden konnte. Die für uns bedeutendste dieser Organisationen war jene der Brüder Fritz und Otto Molden, die „Widerstandsbewegung 05“, die nicht nur unermüdlich in der Organisation von Widerstand aller Art war, sondern außerdem die überaus riskante Verbindung mit dem Ausland herstellte. Fritz Molden fuhr fast regelmäßig in Wehrmachtsuniform und mit gekaperten Papieren zu den Hauptquartieren der Alliierten. Es war dies eine Tätigkeit von schier unschätzbarem Wert. Schon meine erste Begegnung mit Otto Molden, der unter dem Decknamen .Alfred Steiger“ arbeitete, führte zu einer sofortigen Verständigung. Wir verdankten dieser Zusammenarbeit die Anwerbung zahlreicher erstklassiger Kämpfer, dde sich dann bei der direkten Aktioh als sehr wertvoll erwiesen.' Wir wurden später enge Freunde und Fritz Molden bei meiner Ubersiedlung nach Wien mein etater Mitarbeiter. Unsere Gruppen, die zunächst den Kontakt mit Wien suchten, mußten sich bald in Westösterreich eine eigene Führung küren, um überhaupt afctionsfähig zu wenden. Der unerwartet rasche Vorstoß der Sowjets aus Ungarn heraus schuf damals eine Lage, die den

Kontakt zwischen Wien und dem Westen nicht mehr zuließ.

In Tirol gab es 1944/45 eine Unzahl von Widerstandsgruppen jeden Wichtigkeitsgrades. In vielen Dörfern gab es sogar mehr oder weniger militärische Gruppen, die sich aus den früheren Schützenkompanien rekrutieren. An sich Menschen von hervorragendem militärischen Wert, die aber meist nur bereit waren, Aufgaben in Sichtweite ihrer Dorf kirche zu übernehmen. Im Rahmen dieses beschränkten Einsatzgebietes scheuten sie vor keiner Gefahr zurück, aber eben nur in diesem eng gesteckten Rahmen des eigenen Wohnibereichs.

Südtirol stand seit dem Abfall Italiens unter autonomer Süditiroler Verwaltung und dem Kommando eines deutschen Verwaltungschefs, den Hitler eingesetzt hatte. Das war auch der Grund, warum es so schwer war, in Südtirol Widerstand zu entfalten. In Innsbruck aber konnten wir ohne genaue Lokalkenntnis nicht Entscheidungen treffen, bei denen ein ungeheures Risiko ganz geringen Er-falgsaiussichten gegenüberstand. Wie aber stand dio, Sache in Nardtirol? Nun, es gab in jeder größeren Stadt und nahezu in jedem Dorf militärisch organisierte Gruppen und daneben die üblichen zivilen Widerstandskreise. Aber auch ein guter Teil der Offiziere in der deutschen Wehrmacht war bereit, mitzutun. Allerdings war das Durcheinander groß. Von einer zentralen Führung oder Planung kennte keine Rede sein. Über Vorschlag meiner Freunde traten schließlich einige Gnuppen zusammen, mit denen ich während des Krieges Verbindung gehalten hatte. Am 15. März 1945 wählten sie sich einen gemeinsamen Führer mit dem Decknamen Dr. Ing. Brand. Es war niemand anderer als Dr. Karl Gruber. Es war nun meine Aufgabe, diese kleinen Widerstandsignuppen .aufeinander abzustimmen, ihre Kommandanten auszuwählen und einen regelrechten Aufstaiiidsplaini zu entwerfen. Dabei gab es drei Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Die Kampfverbände, die Bewaffnung derselben und die Verbindung mit den Alliierten. Selbst im besten Falle konnte Tirol, von der Widerstandsbewegung einmalgenom-

men, nur für einige Tage gehalten wenden. Deswegen war eine gesicherte Verständigungemöglichkeit mit den Amerikanern und Franzosen eine Frage des Überlebens. Innerhalb weniger Wochen gelang es uns, mehr als eintau'Sendsecbshundert Widerstandskämpfer zu vereidigen, sich auf ein Stichwort hin auf bestirnten Sammelplätzen zum Waffendienst einzufinden. In der entscheidenden Stunde verringerten sich diese Stände auf knapp hundertfünfzig Mann. Aber unter diesen waren Burschan, mit denen man den Teufel aus der Hölle hätte holen können. In der Folge stellten wir einen ausgewogenen militärischen Führungsstab susamen, der Majore, Hauptleute, Leutnants und Feldwebel umfaßte. Sie alle ba-

ten mich, einem zum Widerstand bereiten Oberleutnant das Kommando zu übertragen, weil sie ganz richtig voraussahen, daß jeder Stern mehr die Aktion ungemein erleichtern müßte. Meine erste Unterredung mit Oberstleunant Paumgartten fand Mitte April 1945 auf der Wethenbung oberhalb von St. Nikolaus statt. Trotz der in meinen Augen übertriebenen Vorsicht von Oberstleutnant Paumgartten, der vor allem eine general-stabsmäßige Vorbereitung des Aufstandes anstrebte, wo hingegen mir mehr die Gewinnung der Volksmassen als das Wichtigste erschien, bildeten wir im großen und ganzen kein schlechtes Team. Uber Liechtenstein und die Schweiz gelang es uns allmählich, engere Verbindung mit den Alliierten aufzunehmen. Im Ötztal wählte die Gruppe P. Faundler, Haid nach bestem Partisanenvorbild einen Abwurfplatz aus und bereiteten die ordnungsgemäße Befeuerung eines gleichseitigen Dreiecks vor. Schon in der Verlagerungsstätte Ruddifsstadt hatten wir vorsorglich einige Sender von allerdings geringer Reichweite gebaut. Für einen Funkdienst von den Vorarlherger Alpen zum schweizerischen Rheinofer hinüber sollten die Anlagen genügen; eine zu große Enengie war ja schon deswegen nicht wünschenswert, weil sie' die rasche Entdeckung dieser Stationen unvermeidlich gemacht hätte. Mit Hilfe eines meiner Freunde von Telefum-ken begannen wir, am Bädele eine Almhütte zu adaptieren und einen passenden Sender zu errichten. Nur ein Einheimischer konnte sich in je-

ner Zeit ungehindert im freien Gelände bewegen. Jenseits der Grenze übernahm es ein Liechtensteiner, die technischen Kontakte und die Fre-quemzsbstiirnmiung mit dem amerikanischen Beobachter in der Schweiz herzustellen. Doch praktisch hatten wir dann später, dank des Einsatzes eines Abgesandten der französischen ersten Armee eine Sendestation in Innsbruck selbst zur Verfügung, so daß wir dieBödele-Station nicht mehr besetzen mußten. Schließlich erwies es sich, daß die weiteren Ereignisse so schnell abrollten, daß'es nicht mehr dazu kam, Funksprüche abzufassen, oder gar zu verschlüsseln.

Trotz aller Präzision in der (militärischen Vorbereitung fehlte es freilich nacht an tragikomischen Situationen. So wunden Listen aufgestellt, welche Machthaber sofort zu verhaften seien, um organisierte Gegenschläge zu verhindern. Einer unserer Vertrauensmänner bei der Bundesbahn, dem eine derartige Liste mit den Namen der technischen Direktoren (soweit

diese Parteileute waren) übergeben wunde, hatte aus irgendeinem Grund verstanden, die genannten Herren seien für die Widerstandsbewegung zu gewinnen. Tage später kam er zurück und meldete, er habe den Eindruck, es bestehe kein Grund, diese Männer als verläßlich anzusehen. Wir mußten froh sein, daß aus dieser Panne keine Gestaporeaktion herauswuchs. Aber in den Reihen der NSDAP begann es bereits zu knistern, und viele ihrer Funktionäre hätten gerne eine neue politische Heimstätte gefunden. So waren gewagte Unternehmen wohl nicht mehr so gefährlich wie einst, aber äußerste Vorsicht deWioch geboten. Inzwischen drang die amerikanische Siebente Armee verhältnismäßig rasch in Rayern vor, wobei sie es allerdings peinlich vermied, in Alpentäler einzudringen. Selbst als sich die Stadt Innsbruck in unseren Händen befand, wollten die Amerikaner noch immer auf schwere Waffen warten, bevor sie nach Tirol vorstießen.

Ende April 1945 beschlossen wir, trotz aller Einwände und der üblichen Mahnungen zur Vorsicht, trotz der dringenden Forderung unserer militärischen Berater nach noch besseren strategischen Vorbereitungen, zur Tat schreiten. Wie immer, wenn ein kühner Entschluß einmal gefaßt ist, traten alle Bedenken in dem Augenblick in den Hintergrund, als die Aktion anrollte. Aus den Kasernen war inzwischen längst ein Arsenall an Waffen herausgeschmug-gelt worden, mit dem man leicht ein

kriegsstarkes Bataillon bewaffnen hätte können. Die meisten Hand waffen, sowie die Munitionskästen, waren in den Kellern des Hotels „München“ eingemauert worden, vor allem dank, dar unerschrockenen Aktivität der Gruppen Heine, Moser, Steiner, Basetti. Eine besonders eifrige Gruppe schleppte sogar außer Panzerfäusten und Handgranaten einige • Giftgaskanister herbei, ein Umstand, der später, als wir beim Waffenstillstand unsere Ausrüstungen den Amerikanern übergeben mußten, einige schwierige Erklärungen notwendig machte. Die Besitzerin der Innsbrucker Spirituosen-hardlung „Hruschka“ erlaubte uns, in ihrem Lager in der Andreas-Hofer-Stnaße ein Stabsquartier einzurichten. Das war deswegen von besonderer Bedeutung, weil selbst von unseren eigenen Leuten nur einige wenige wissen durften, wo sich unsere Kommandozentrale befand. Zur Ehre dieser wackeren Dame wählten wir zum Losungswort unserer weiteren Aktionen die Parole „Palermo“ — die bevorzugte Likörmarke dieser Firma. Bald darauf kamen Tage, an denen man überhaupt nur mit „Palermo“ auf den Lippen die Amtsgebäude von Innsbruck betreten konnte. Neben den eigentlichen Kämpfern, die ja fast alle noch der deutschen Wehrmacht angehörten, stellten sich viele Hoch- und Mittelschulverbindungen mit Hilfskräften zur. Verfügung. In den entscheidenden Stunden wachte an jeder Straßenecke von Innsbruck ein unauffälliger Posten — oft genug waren es mutige Mädchen —, die über alle Gegenmiaßnahmen der SS oder des deutschen Heeres zu berichten hatten. Schließlich gelang es uns, über ganz Tirol ein leidlich funktionierendes Nachridhtennetz zu ziehen, so daß wir schließlich über alle Vorgänge besser informiert waren als die deutschen Heeresstellen oder selbst das Sichenheitshauptamt. Naturgemäß blieben die Aktivitäten der Widerstandsbewegung nicht ganz verborgen Eine Welle von Gerüchten rollte dem eigentlichen Geschehen voraus. Die Folge davon waren Venhaftungen gestapobekannter Parteigegner. Hitlers Statthalter, der nationalsozialistische Gauleiter Hofer, zog sich mit seinem Stab auf den Lacherhof obenhalb von Tulfes zurück. Das war eine reoht univorsichtige Vongangsiweise Hofers, da es solcherart für uns beinahe zum Kinderspiel wunde, die gefürchtete Par-teizentnale zu isolieren und unter Kontrolle zu halten. Als wir auch das Tiroler Landhaus bereits besetzt hatten, wählten wir eine Talephoni-stin aus, die immer noch Anweisungen Hofers für die Landesverwaltung entgegennahm, allerdings nur zu dem Zweck, sie an uns weiterzuleiten. Gelegentlich entwickeln sich sogar längere Telephongespräche zwischen Gauleiter Hofer und einem unserer Partisanen, die diese so geschickt führten, daß wir eine Menge erfuhren, ohne daß die Parteizentrale die geringste Ahnung hatte, was sich in der Landeshauptstadt Tirols bereits abspielte. Unser Generalstabsplan sah vor, daß wir zumacht einmal die Macht in den Kasernen übernehmen sollten, um von diesen aus weitere Unternehmen zu starten.

Schließlich nahte die Stunde Null heran. An einem der letzten Aprdl-tage, einem kalten Vorfrühlingsabend, trat der militärische Stab der Widerstandsbewegung Tirol unter meinem Vorsitz zu den abschließenden Besprechungen zusammen. In jenem Kellerlager der Spirituosenhandlung Hruschka wurda der Aktionsplan endgültig beschlossen. Vom 1. Mai an wunde das Kampf-kommanido in Permanenz tagen. Sobald die großen Kasernen in unserer Macht waren, würde Oberstleutnant Natter (so lautete der Deckname Paumgarttens) den Befehlsstand Innsbruck in der Konradkaserne errichten. Im Morgengrauen des 1. Mai bezog ich mit meinem Adjutanten, dem Obergefreiten Görtz, und zwei Meldern Quartier im Schnapslager. Die Gruppenkommandanten verfügten bereits über genaue Weisungen. Ritterkreuzträger Major Heine raste mit seinem Kübelwagen von einem Einsatzpunkt zum anderen. Die Aktion rollte planmäßig an.

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