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Mit Phantasie gegen Terror

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FURCHE:Eine Welle irrationaler Gewalt — in der Luft, zu Land und im Wasser — hält die Weltöffentlichkeit in Bann.

HANS-ECKEHARD BAHR: Diese Sprache allein bezeichnet das Unfaßbare der Bedrohung, die viele Menschen heute empfinden. Dieses Gefühl hat mehrere Ursachen. Einmal ist es die zunehmende Verlassenheit in unserer Art, wie wir leben, dann das Problem der Zerstörung der ökologischen Grundlagen und schließlich auch die ungeheure Bedrohung durch das Wettrüsten.

Nun hat aber das ganze Bedrohungspotential plötzlich eine gewisse Benennbarkeit bekommen, im konkreten Fall sind es die Geiselnehmer von Beirut. Diese benennbaren Unruhestifter sind auch wahrscheinlich der Grund für die große Aufmerksamkeit und das weltweite Gefühl der Bedrohung, obwohl ja eine ungeheuer große Zahl von Menschen gleichzeitig Tag für Tag auf dieser Welt stirbt.

Jetzt, wo eine Gruppe von Menschen auf unsere eigene fundamentale Unsicherheit trifft, bricht eine Panik aus.

FURCHE: Erklärungsversuche für den Terror im Nahen Osten machen für den irrationalen Gewaltausbruch in dieser Weltregion „unzivilisierte Bastarde” verantwortlich,

BAHR: Man spürt ja momentan sogar so etwas wie eine Erleichterung, daß man Unholde benennen kann. Das Gefährliche daran ist nur, daß man dabei auch bald die Illusion bekommt, man könnte das auch unter Kontrolle bringen, und zwar indem man das Übel mit der Wurzel ausrottet. Das ist ein alter Traum der Menschheit.

Aber die frühe jüdische Gegenerfahrung aus dem Alten Testament war: Die Rache ist mein, spricht der Herr. Das bedeutet das Verbot der Rache und das Tötungsverbot eigentlich auch zu Strafzwecken.

Wir bewegen uns heute auch auf einer irrationalen Ebene, wenn wir die Welt in das Reich des Guten und in das Reich des Bösen, des Lichtes und der Finsternis einteilen. Solche Endzeitvorstellungen sind letztlich Sektenmentalität.

Das Christentum hat dagegen immer an der Einheit aller Menschenkinder festgehalten, alles, was Menscheriantlitz trägt, ist Gottes Geschöpf. Es gibt die ungeheure Fremdheit anderer Kulturen, anderer Menschen, die eigentlich eine Bereicherung unseres Menschseins sind. Weil wir uns aber vor ihnen nur fürchten, müssen sie als das Böse schlechthin ausgemerzt werden. Deshalb müssen wir uns jetzt sehr hüten, daß die Angst, das Gefühl der Bedrohung bei vielen Menschen ausgenützt wird.

FURCHE: Was kann in der konkreten Situation für die unschuldigen amerikanischen Geiseln in der Hand der Schiiten getan werden? Eine Konfliktklösung ohne Gewaltanwendung, ist so etwas überhaupt möglich?

BAHR: Eigentlich erst durch Zufall haben wir jetzt erfahren, daß die israelischen Behörden 764 schiitische Libanesen in einem Lager interniert halten. Bis zur Geiselnahme der US-Flugpassagiere wußten wir davon ja nichts. Das endlich ins Licht der Weltöffentlichkeit zu rücken, war — so schrecklich die Situation für die Geiseln auch ist - genau das Ziel der Gewaltaktion.

Wenn eine Nation — in diesem Fall Israel - Menschen ins Leid stürzt, dann versuchen die davon betroffenen Menschen, sich dagegen zu wehren.

Man darf das Schicksal der 34 amerikanischen Geiseln nicht ohne den Blick auf das der 764 Schiiten betrachten. Und dabei zeigt sich sehr rasch, daß die eine Frage nur gemeinsam mit der anderen gelöst werden kann. Eine Konfliktlösung auf gewaltlosem Weg heißt, daß ich anerkenne, daß auf beiden Seiten Leid zugefügt worden ist. Wenn ich den Schiiten jetzt ihr Recht zukommen lasse, würde dies das Bedürfnis verringern, sich mit Gewalt in die Weltöffentlichkeit einzuschieben.

FURCHE: Spielt dann der religiöse Hintergrund — auf der einen Seite die islamische, auf der anderen die christliche Kultur — überhaupt eine Rolle?

BAHR: Womit sicher niemand gerechnet hat, das ist die große Wiederbestärkung der kämpferischen Religiosität des Islam. Johannes Baptist Metz hält dies für das weitreichendste Ereignis der Religionsgeschichte im 20. Jahrhundert.

Das kämpferische, expansionistische Pathos des Islam rührt momentan sicher daher, daß der Islam seit Jahrhunderten von unserem westlichen Kulturkreis an den Rand gedrängt wurde. In einer Art Gegenwehr macht sich die alte Demütigungserfahrung des Islam einfach Luft.

FURCHE: Was bleibt dafür die Christen zu tun?

BAHR: Es gibt praktisch kein Gespräch zwischen diesen beiden großen monotheistischen Religionen. Ein symbolischer Akt, wie etwa eine Reise des Papstes in ein islamisches Land, könnte viel erreichen. Das Küssen der Erde des Islam könnte vielleicht das Minderwertigkeitsgefühl der islamischen Völker abbauen und auch ihren Drang, sich vor der westlichen Zivilisation als machtvoll und kraftvoll zu präsentieren.

Genauso wie es irrationale Gewalt gibt, gibt es auch eine schöpferische Phantasie im Menschen, die Wege zum anderen findet. Wo bleibt diese schöpferische Phantasie bei den Christen, bei den Kirchen?

Hans-Eckehard Bahr ist Professor für evangelische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitet vor allem auf dem Gebiet der Friedensforschung. Das Gespräch führte Tino Teller.

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