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Mit Rücken an der Wand

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Jetzt rücken neue Problemregionen ins öffentliche Bewußtsein: die alten Industriegebiete, etwa die Mürz-Mur-Furche.

In anderen Regionen kämpfen Menschen schon lange mit dem Rücken zur Wand um ihre Existenz. Die Wand: der Eiserne Vorhang.

Noch klingt das Versprechen im Ohr, in diesen Grenzgebieten einen „breiten Gürtel des Wohlstandes” zu schaffen. Versprechen und halten ist zweierlei.

Der bisherigen Regionalpolitik kann „bestenfalls gutgeschrieben werden, eine Verschlechterung der Lage verhindert zu haben. Aber selbst dieser Befund ist zunehmend in Frage zu stellen” (Erhard Fürst).

Die Wohlstandskluft gegenüber anderen Regionen wurde größer, die Lebenschancen wurden schlechter.

Eine Untersuchung des Instituts für Raumordnung an der Wiener Wirtschaftsuniversität weist nach, daß trotz sogenannter regionalpolitischer Anstrengungen der Anteil der entwicklungsschwachen Gebiete an Arbeitsplätzen in neugegründeten industriellen Betrieben von 23 Prozent (1971 bis 1974) auf 18 Prozent (1975 bis 1979) gesunken ist; der Anteil an Arbeitsplätzen in stillgelegten Industriebetrieben hat sich von sieben auf 14 Prozent verdoppelt.

Allein im niederösterreichischen Waldviertel gingen 1981 durch 55 Insolvenzen von gewerblichen Betrieben 818 Arbeitsplätze verloren, die Zahl der Industriearbeitsplätze verringerte sich im letzten Jahrzehnt um 1874.

Im Bezirk Zwettl lag die Arbeitslosenrate im Februar bei 17 Prozent (Österreich insgesamt: 5,1 Prozent). Das ist Massenarbeitslosigkeit: Hätten wir gesamtösterreichisch solche Raten, entspräche das über 400.000 Arbeitslosen.

Im April waren 582 Zwettler Arbeitskräfte (5,8 Prozent) ohne Beschäftigung, aber nur 52 offene Stellen wurden angeboten.

Selbst im Sommer liegt die Arbeitslosigkeit um das Doppelte über dem österreichischen 'Durchschnitt. Dafür liegt das Einkommensniveau um die Hälfte darunter.

Geringe Einkommen, geringe Kaufkraft, geringe Chancen für Betriebe, ihre Produkte abzusetzen: Die Katze beißt sich in den Schwanz. Die Hälfte der Arbeitnehmer im Bezirk Zwettl verdient monatlich weniger als 8000 Schilling brutto.

Die Menschen wandern ab: Das Waldviertel verlor seit 1951 insgesamt 22.732 Einwohner. Das entspricht der Bevölkerung der Stadt Krems.

Viele wandern ganz und gar nicht freiwillig ab, sie suchen nur eine Berufsausbildung. Doch die Zahl der Lehrbetriebe ist allein zwischen 1977 und 1981 um 120 auf 1.991 gesunken. Und nach der Lehre kommen sie nicht mehr zurück: weil die Arbeitsplätze fehlen.

Dabei geht es längst nicht mehr darum, neue zu schaffen, sondern bestehende abzusichern.

Und das wird immer schwieriger: Die Renovierung der Bundes-heerkaserne in Horn könnte kleinen Bauunternehmen sichere Arbeit bringen. Aber da drängt sich eine große Wiener Baufirma ins Geschäft, verdrängt das kleine Gewerbe.

Grenzlandförderung? Um die hier erzeugten Produkte an den Mann zu bringen, muß man in die Ballungsräume liefern. Da trifft die Lkw-Steuer doppelt hart. Es fehlt eine leistungsfähige Straße aus dem Waldviertel in den Linzer Raum, ein Autobahnanschluß im Süden. Dafür wird überlegt, auch noch die Nebenbahnen einzustellen.

Noch findet ein Drittel der Menschen in der Landwirtschaft Arbeit, aber immer mehr können davon allein nicht mehr leben. Im Zwettler Bezirk verwaisten im letzten Jahrzehnt 1200 Höfe.

6200 Betriebe gibt es noch, aber nur mehr die Hälfte kann ihre Bewohner mehr schlecht als recht ernähren. 50 Prozent sind Nebenerwerbsbauern, gut weitere zehn Prozent hätten einen Nebenerwerb notwendig. Doch dafür fehlen Arbeitsplätze: eine versteckte Arbeitslosigkeit, die in keiner Statistik aufscheint.

Die Grenzlandbewohner kämpfen ums Uberleben. Sie leisten viel. Und die Regierung leistet sich ein Konferenzzentrum.

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