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Mit Salamitaktik zur Gesamtschule

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Unterrichtsminister Fred Si- nowatz wollte von keinem Kompromiß sprechen: Die siebte Novelle zum Schulorganisationsgesetz 1962 (SchOG) bedeute einen „schulpolitischen Fortschritt, mehr Chancengleichheit“.

Gerade die neue Mittelstufe in der vorgelegten Form biete gleiche Chancen für Schüler aller Typen und berücksichtige gleichzeitig das Elternrecht.

Die Novelle beweist zumindest, wie intensiv die Schulpolitiker

und Experten in mehr als zehn Jahren in der Reformkommission um Verbesserungen gerungen haben, und daß es gelungen ist, etliche außer Streit zu stellen, auch wenn der harte Kern der Mittelstufe, der Streit um die Gesamtschule, nach wie vor ungeknackt ist.

Diese positiven Neuerungen reichen von der (freiwilligen). Vorschulstufe über die Intensivierung des Fremdsprachenunterrichts von der Volks- bis zur Berufsschule, die Verlängerung der Volksschullehrerausbildung bis in Randgebiete. Der Verzicht auf den Zusatz „für Mädchen“ bei

den einst diesen vorbehaltenen Schulen scheint dagegen eher Kosmetik zu sein.

Aber nun zur Mittelstufe: Sie soll (wie bisher) ein Nebeneinander kennen. Aus der Hauptschule wird die neue Mittelschule mit Leistungsgruppen statt Klassenzügen. Die Langformen des Gymnasiums und Realgymnasiums bleiben bestehen. Damit wäre den Gegnern der Gesamtschule entsprochen.

Aber Bildungsziele und Lehrpläne in Mittelschule und Untergymnasium wären ident. Das entspräche den Freunden der Gesamtschule. Also doch ein Kompromiß?

Einen Unterschied gibt es, der die Gleichmacherei überstanden hat und die Hoffnung weckt, daß eine echte Eliteschule erhalten bleiben kann: Das Gymnasium,

dem schon in der dritten Klasse eine zweite Fremdsprache zugestanden wird - Latein oder (neu) eine zweite lebende. Das bringt zwar die Gefahr, daß der Anteil der „Lateiner“ noch geringer wird, hat aber den Vorteil, daß sich nur überdurchschnittlich (intellektuell) leistungsfähige (und -willige) Schüler diesem Typ zuwenden dürften.

Schon heute kommen 68 Prozent der Maturanten über Hauptschule und Oberstufenformen zur Reifeprüfung, nur mehr 32 Prozent von Langformen. Diesen zwei Dritteln in einer verbesserten Mittelstufe eine bessere Basis zu geben, ist ein berechtigtes Anliegen.

Ob die intellektuell konzipierte Mittelschule aber auch jenem gleiche Chancen bietet, den sie

überfordert, weil sie seiner praktischen Begabung zu wenig entgegenkommt, müßte ebenso noch geprüft werden, wie die Frage, ob der Verzicht auf die Klassengemeinschaft nicht die Vorteile der Leistungsgruppen paralysiert.

Die SPÖ aber will weiter die Gesamtschule: Damit scheint auch die so vielgerühmte Novelle nur Salamitaktik zu sein, auf kaltem Weg zur Einheitsschule zu gelangen. Auch die Fortsetzung der Gesamtschulversuche oder die horizontale (Stufen-)Gliederung des Schulwesens und die „abtei- lungsübergreifenden“ Angebote in den Pädagogischen Instituten— weitere Punkte der Novelle - deuten auf dieses Endziel.

Nicht nur der „Dissident“ der sozialistischen Schulpolitik, Josef Maderner, ist längst zum Gegner der Gesamtschule geworden. Auch der Leiter des Schulversuchszentrums, Gottfried Petri, schrieb schon vor zwei Jahren: „Die empirischen Befunde machen es wahrscheinlich, daß die Form der Schulorganisation als solche die Lernerfolge der Schüler, wenn überhaupt, so nur in bescheidenem Grad beeinflußt.“

Es wäre Zeit, den ideologischen Streit um Organisationsformen abzuschließen und sich der wichtigeren Reform des inneren Betriebs zuzuwenden.

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