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Mit Skandalen stürzt man keine Regierungen

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Chinesische Mythen erzählen, daß ein Schiff auf der Fahrt in die östlichen Meere ein wundervolles Inselreich entdeckt habe, das von Genien bewohnt gewesen sei. Daß damit Japan gemeint gewesen sein könnte, drängt sich dem Beobachter auf, der den Wahlkampf um die Hälfte der Sitze des Oberhauses verfolgen konnte. Die Parteien fanden es kaum der Mühe wert, mit den Wählern Sachfragen zu diskutieren. Vor allem verfehlten es die vier Oppositionsparteien, den Wählern eine überzeugende Alternative zur Politik der liberaldemokratischen Regierungspartei vorzulegen. Diese Unterlassung wiegt umso schwerer, als sich ihnen erstmals seit der Etablierung eines Zweiparteiensystems im Jahre 1955 eine reelle Chance geboten hätte, die absolute Mehrheit der durch den Lockheed- skandal schwer angeschlagenen LDP zu brechen.

Vor allem blieben alle Themen zur Außenpolitik ausgeklammert, so daß die Wähler sich kaum Rechenschaft ablegen konnten, wie sehr sich die Lage des Landes in den letzten Monaten verschlechtert hat. Der Abzug der Amerikaner aus Korea, der ein allgemeines Disengagement aus Asien einleitet, die Unfähigkeit, die lebenswichtigen Seerouten gegenüber der sowjetrussischen Marine zu verteidigen, die Verschlechterung der Lebensmittel* und Energieversorgung, der steigende Widerstand gegen die Exportoffensive, der Zwang zu vermehrten Hilfeleistungen an die Dritte Welt, der sich abzeichnende Mangel ein Rohstoffen, das sind drohende Wolken am Himmel des japanischen Wirtschaftswunders. Sie wurden aber von den Politikern keines Wortes gewürdigt.

Die Sozialisten und Kommunisten hingen stur an ihrer überlebten Ideologie des Klassenkampfes, der in einer Gesellschaft, in der sich über die Hälfte zur neuen Mittelklasse zählt, die ihr Entstehen der rapiden Wirtschaftsexpansion-verdankt,^völlig an- tiiįuiert’vtdtkt. Die Wechselwähler,-’die keiner Partei angehören, machen heute die Hälfte der Stimmberechtigten aus: die Jungėn, die Gebüdeten, die Städter, die Angestellten überwiegen. Eine Änderung des politischen Gleichgewichts läßt sich nur mit ihren Stimmen erreichen. Der Marxismus bei den mächtigen Nachbarn vermochte aber den Arbeitenden keineswegs bessere Lebensbedingungen in Freiheit und Wohlstand zu bieten. Reformen wären der neuen Mittelklasse wohl erwünscht, aber nicht Umsturz. Die sozialistische Führung hat dies nicht begriffen.

Die Regierung hat bisher die Probleme der Rezession nicht schlecht gemeistert, doch wächst mit jedem Monat die Sorge, wie lange die prekäre Wirtschaftsblüte noch andauern wird. Der Premier Takeo Fukuda, der schon unter seinem Vorgänger Miki als Wirtschaftszar die Bekämpfung der Inflation erfolgreich ins Werk gesetzt hatte, vermochte das Image eines Könners aufzubauen, der die komplizierten Mechanismen der Weltwirtschaft meistert. Wenn nun die LDP gegen alle Erwartungen der politischen Beob achter ihre absolute Mehrheit wahren konnte, so ist dies ein persönlicher Sieg des Premiers, der gerade der neuen Mittelklasse als Garant der Stabilität Vertrauen einflößt. Fukuda war der einzige, der von Anfang an erklärte, er werde alle zur Wahl anstehenden Mandate gewinnen. Mit Hilfe von drei Unabhängigen aus dem konservativen Lager vermochte er sogar noch einen Sitz zu den früheren 65 hinzuzugewinnen, gerade genug, um eine schwache Mehrheit zu wahren. Daß es ihm gelang, die LDP aus der schlimmsten Krise ihrer dreißigjährigen Geschichte heraus zum Sieg zu führen, zeigt deutlich, daß die Wähler nicht an der Vergangenheit hängen, sondern um die Zukunft bangen. Der Lock- heedskandal ist bereits vergessen. Die Japaner sind Pragmatiker, die sich wenig um Fragen der Metaphysik und der Ethik kümmern, sondern wissen wollen, ob ein System funktioniert. Bei allen Unvollkommenheiten des herrschenden Systems genießen weite Kreise des Volkes, dank der rapiden Wirtschaftsexpansion ^ier letzten 20 Jahre, eine noch nie erlebte Prosperität. Japan gehört zu jenen Ländern, in denen das Einkommen verhältnismäßig gerecht verteilt ist. Da fallt es den Marxisten schwer, den Angestellten, die ein Auto fahren, ein Eigenheim besitzen und einen gesicherten Arbeitsplatz haben, einzureden, sie seien die Ausgebeuteten. Die Sozialisten verloren deshalb 5 Mandate, die Kommunisten vier. Insgesamt bleiben ihnen nur 30 Sitze. Die zwei Mittelparteien hingegen errangen bescheidene Erfolge. Die „Sauberkeitspartei” gewann 14 Sitze, eine Verbesserung von vier, die Sozialdemokraten konnten einen Sitz zu ihren fünf hinzugewinnen. Der Neue Liberaldemokratische Club aber blieb mit drei Sitzen weit hinter den Erwartungen zurück.

Die große Bedeutung dieser Wahl liegt darin, daß eine historische Chance zur Brechung des Regierungsmonopols der LDP vertan wurde. Japan blieb dadurch eine Systemkrise mit schwer abschätzbaren Folgen in einer schwierigen Ubergangsphase erspart.

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