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Mit Todesmut und Verschlagenheit

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Nabih Berri ist nach der Entwaffnung in den PLO-Lagern von Beirut und durch seine dominierende Rolle beim Drama der amerikanischen Schiiten-Geiseln zum starken Mann von Libanon geworden. Wird auch diesesmal seine Rechnung aufgehen?

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Nabih Berri ist nach der Entwaffnung in den PLO-Lagern von Beirut und durch seine dominierende Rolle beim Drama der amerikanischen Schiiten-Geiseln zum starken Mann von Libanon geworden. Wird auch diesesmal seine Rechnung aufgehen?

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Berri ist der erfolgreichste unter den Diadochen des seit 1978 in Libyen verschollenen Chefs der libanesischen Schiiten, des Imam Mussa Sadr. Das Geheimnis seines Erfolgs lag allerdings schon im Konzept von dessen Bewegung der „sozialen Hoffnung”, arabisch „Amal”, begründet.

Zum Unterschied von den anderen, rein konfessionell oder panarabisch ausgerichteten Parteiun-gen Libanons hatte der noch in den fünfziger Jahren beim damaligen Theologie-Professor Cho-meini im iranischen Qom ausgebildete Sadr eine in erster Linie auf die auch in der „Schweiz des Nahen Ostens” dringend anstehende Sozialreform ausgerichtete Bewegung geschaffen, Sie war zunächst auch für die Mitarbeit der libanesischen Christen offen, denen sie noch während des Bürgerkriegs von 1975/76 wiederholt Waffenschutz gewährte.

Kommendant der Amal-Wehrverbände im Süden und den schiitischen Vororten von Beirut war schon damals Nabih Berri. Seine Miliz gab auch nach dem Verschwinden von Imam Mussa militärisch weiter den Ausschlag.

Politisch traten jedoch neben ihm noch die „Islamische Amal” in Baalbek und in der Hauptstadt selbst eine Organisation von „Revolutionswächtern” nach iranischem Vorbild und der fundamentalistische Hizb-Allah, zu Deutsch die „Partei Gottes”, mit dem Anspruch auf, die einzig wahren und richtigen Nachfolger des angeblich von Ghaddafi beseitigten Sadr zu sein.

Seit der Machtübernahme der Amal-Miliz und der von ihr kontrollierten sechsten Brigade der libanesischen Regierungstruppen während der letzten eineinhalb Jahre von West-Beirut bis nach Saida und Sur in Südlibanon haben diese Splittergruppen an Ort und Stelle nur noch untergeordnete Bedeutung; was sie allerdings nicht hindert, unter der Führung des Mullah Hussein Mussauwi aus Baalbek in der terroristischen Dachorganisation des Dschihad, des Heiligen Krieges, eine immer aggressivere Rolle zu spielen.

Es bleibt die wohl ernüchternd-ste Lehre aus der jüngsten Flugzeugentführung, daß dabei Berri im Endeffekt mit diesen Extremisten und Terroristen gemeinsame Sache gemacht hat. Das Ideal des „Fida'i”, der sein Leben riskiert, um die echten oder vermeintlichen Feinde des Islam zu ermorden, ist eben bei den Schiiten von heute - und mag es sich auch um den westlich erzogenen, westich gekleideten Berri handeln — genauso zugkräftig wie in den Tagen der Assassinen des berüchtigten „Alten vom Berge”.

Vor achthundert Jahren wurde die ganze damals bekannte Welt schon einmal vom schütischen Terror aus ihrer Selbstzufriedenheit aufgeschreckt: Hassan as-Sabah, der „Meister, der auf den Bergen wohnt”, und seine sieben Nachfolger versetzten von ihrer abgelegenen Felsenburg Alamut bei Teheran aus die sunnitischen Seldschuken wie die christlichen Kreuzfahrer in Furcht und Schrecken.

Kein Widersacher war vor ihrem Gift, vor den selbstmörderischen Anschlägen ihrer blind ergebenen Jünger sicher. Uberall hatte man Angst vor dem „Alten vom Berge”. Niemand konnte sich sicher fühlen, wenn er den Herren von Alamut mißliebig war. Hassan as-Sabah und seine Nachfolger waren die meistgefürchteten Männer weit über die Grenzen von Iran hinaus — wie heute die Terroristen des „Islamischen Dschihad”.

Die iranischen Botschaften in aller Welt dementieren heute leidenschaftlich jeden geistesgeschichtlichen Zusammenhang zwischen den Assassinen von einst und der neuen persisch-libanesisch-libyschen Mord- und Entführungs-Internationale, mit der nicht einmal der Kreml unter Gorbatschow mehr einverstanden zu sein scheint.

Hauptargument der beruflichen Weißwascher von Chomei-nis Weltrevolution verweisen auf den konfessionellen Unterschied zwischen ihrer rechtgläubigen Zwölfer-Schia und dem glaubensmäßig von den Nisari-Schii-ten und den heutigen Ismaeliten des Aga Khan fortgeführten Assassinen.

Für die anarchistische Grundhaltung der gesamten Schia haben diese dogmatischen Spitzfindigkeiten aber nie eine abschwächende Rolle gespielt. Immerhin war es auch kein braver Zwölfer-Schiit, sondern der Nisari-Nach-f olger des Imams von Alamut, Tarier Dakkani, von dem der sunnitische Schah Burhan Nisam bekehrt und die Schia 1537 zur fortan persischen Staatsreligion gemacht wurde.

„Tasija” und „Takija”, Todesmut und Verschlagenheit, sind die Hauptkennzeichen des schiitischen Gewaltislam in allen seinen Konfessionen, vom „Alten vom Berge” bis zum Geiseldrama in Beirut.

„Tasija” nennen die Schiiten zunächst einmal ihre Passionspiele zu Ehren ihres Gründers und Erzmärtyrers, des Imam Hussein aus dem späten 7. Jahrhundert. Mit diesem Fachausdruck bezeichnet die Schia aber auch ihre zunächst fast christlich klingende, doch in ihren praktischen Terrorkonsequenzen so verheerende Opfer- und Erlösungstheologie, wie sie in den Texten der „Tasi-ja”-Passionen ausgesprochen wird:

„Das ist das Geheimnis, in dem jedes Blutzeugnis gründet: Um den Preis dieses Opfertodes wird Allah am Tag des Gerichts die Schlüssel von Himmel und Hölle in unsere Hände legen!”

Dem heroischen Maß von Selbstverleugnung und Todesverachtung, das schiitische Terroristen bei ihren Opfergängen seit eh und je angewandt haben, entspricht jedoch ihre Verschlagenheit. Diese oft bis zur Verlogenheit gehende „Takija” entbindet sie auch von allen Zusagen und Versprechen. Die völlige Unberechenbarkeit macht ihre eigentliche Stärke aus.

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