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Mit viel Vorsicht die Dinge regeln

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Seit mehreren Wochen veröffentlicht die FURCHE regelmäßig Beiträge zum Thema Retortenbaby, Samenbank und Mietmutter. Was meint der zuständige Minister zur Rechtslage?

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Seit mehreren Wochen veröffentlicht die FURCHE regelmäßig Beiträge zum Thema Retortenbaby, Samenbank und Mietmutter. Was meint der zuständige Minister zur Rechtslage?

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FURCHE: Zu Beginn dieses Jahres beschäftigte der Rechtsstreit um ein ,JLeihmutter-Baby”, das sogenannte Cotton-Baby, nicht nur die britische Öffentlichkeit. Damals haben Sie angekündigt, sich möglichst rasch um rechtliche Regelungen für den Gesamtkomplex der künstlichen Befruchtung zu bemühen.

HARALD OFNER: Diese Probleme können nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden. Am 14. Juni dieses Jahres findet daher in Edinburgh eine Konferenz der europäischen Justizminister statt, die diesem Thema gewidmet ist. Allerdings glaube ich nicht, daß wir dabei strafrechtlich vorgehen sollten.

ROLAND LOEWE: Angefangen hat ja die ganze Geschichte mit dem Samenspenden. Da gab's beim Europarat in Straßburg einen Ubereinkommensentwurf, nach dem den Ärzten eine quasi autoritäre Funktion zugesprochen werden sollte: sie sollten als einzige wissen dürfen, welcher Samen welcher Frau verabreicht wird, und der Arzt hätte dieses Geheimnis mit ins kühle Grab genommen.

Im Fall des Samenspendens wird man das Prinzip der Anonymität des Spenders nicht wahren können. Wie weit man das nun aber mit einem Unterhaltsanspruch koppelt, ist eine andere Frage.

Für konkrete Rechtsvorschriften ist es aber momentan noch zu früh, weil Gesetze nicht vom grünen Tisch aus gemacht werden sollen, sondern erst in Kenntnis der zukünftigen Entwicklung.

FURCHE: Besteht da nicht die begründete Sorge, daß die rechtliche Situation immer weit hinter den medizinischen Möglichkeiten nacheilt?Rechtspolitik muß doch auch versuchen, vorausschauend eine gewünschte Entwicklung zu gestalten.

OFNER: Wir brauchen keine vorauseilende Justizpolitik, sie darf aber der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung auch nicht allzuweit nachhinken.

Aber was die medizinisch-technische Entwicklung der künstlichen Befruchtung anlangt, so steht Österreich — zum Glück — nicht an der Spitze. Und gerade bei einer Materie, die nur international — weil sonst wirkungslos — geregelt werden kann, wäre es für uns völlig unangebracht, wenn wir bei den gesetzlichen Konsequenzen plötzlich die Spitzenposition übernehmen.

Und außerdem ist es nicht so, daß wir uns auf diesen Gebieten in einem völlig rechtsfreien Raum bewegen.

LOEWE: Was zum Beispiel das Samenspenden betrifft: wenn heute ein Kind in einer bestehenden Ehe zur Welt kommt, dann gilt es von vornherein als eheliches Kind, egal ob aus der Samenbank oder auf „natürlichem Weg” entstanden.

GRIT EBNER: Der Angelpunkt beim Samenspenden bleibt: Anonymität - ja oder nein?

LOEWE: Wir glauben, daß beim Samenspenden kein grundsätzliches Recht auf Anonymität bestehen soll. Nur registrieren lassen wird man's nicht müssen.

WOLFGANG BRANDSTET-TER: Auch das Adoptionsrecht spricht sich im Zweifelsfall für die Beibehaltung der Anonymität aus. Dennoch sollte es nicht erlaubt sein, daß ein Samenspender nicht registriert und daher auch nicht mehr identifiziert werden kann. Selbst in einer Millionenstadt wie Wien können sich zwei Menschen, die vom selben Samenspender abstammen, einmal näher kennenlernen...

OFNER: Meine Aufregung gerade auf diesem Sektor hält sich in Grenzen. Der Zufall müßte da schon ganz besonders mitspielen. Und selbst dann, wenn es tatsächlich einmal zu Verwandtschaftsehen kommen sollte, so wäre das nicht zwangsläufig eine Katastrophe ...

LOEWE: ... bei den Ptolemä-ern hat's sowas noch und noch gegeben.

FURCHE: Wenn wir jetzt vielleicht auf die Fragen in Zusammenhang mit den sogenannten Mietmüttern eingehen.

Die kompliziertere Version ist nun die, die man auch als „Gebärmuttervermietung” bezeichnet. Frau A. und Herr A. wollen ein Kind. Die Eizellen der Frau A. sind zwar brauchbar, sie kann aber das Kind nicht austragen. Die Eizelle der Frau A. wird nun mit dem Samen von Herrn A. in der Retorte befruchtet, und diese befruchtete Eizelle wird nun einer Frau B. eingepflanzt. Wer ist da die Mutter?

OFNER: Bei diesem Beispiel gibt es auf den ersten Blick weniger Probleme als beim Samenspenden. Mutter ist immer jene Frau, die das Kind geboren hat. Vielleicht hat das Kind ethisch oder auch biologisch zwei Mütter, rechtlich gehört das Kind eindeutig jener Frau, die es zur Welt gebracht hat.

LOEWE: Probleme bei „Mietmüttern” gibt es meist dann, wenn es sich die „Mietmutter” anders überlegt und das Kind nicht hergibt, das sie geboren hat. Dann besteht nach der geltenden Rechtslage keine Handhabe, ihr das Kind wegzunehmen.

OFNER: Was geschieht aber im umgekehrten Fall? Wenn es sich die Eispenderin und Kindesbestellerin anders überlegt, weil das Kind vielleicht verstümmelt zur Welt gekommen ist? Dann sagt die „Mietmutter” vielleicht, sie wäre ja nur der Aufbewahrungsort, und die Bestellerin meint, das verstümmelte Kind erfülle nicht die vertraglichen Vereinbarungen. Was geschieht dann?

BRANDSTETTER: Für derartige Konfliktfälle muß der Gesetzgeber auch Vorsorge treffen.

OFNER: Wir werden mit größter Vorsicht an die Dinge herangehen. Eine Möglichkeit ist, daß alle geschäftlichen Absprachen in Zusammenhang mit einer Mietmutterschaft als nichtig gelten.

FURCHE: Dann wird es - genauso wie die (verbotenen) Ablösen auf dem Wohnungsmarkt — einen .^Schwarzmarkt” für Mietmütter geben.

OFNER: Eine Wohnung zu haben, ist in unseren Breiten etwas Lebensnotwendiges. Aber ein Kind zu haben, ist schon nicht so unbedingt notwendig. Das ist einmal der grundsätzliche Unterschied.

LOEWE: Was sich im Einvernehmen zwischen den Bürgern abspielt, da soll der Staat so wenig wie möglich eingreifen. Wenn die Frau A. zur Frau B. sagt: Trage für mich bitte ein Kind aus und ich zahl dir etwas dafür und alles verläuft glatt, dann geht das niemanden etwas an.

EBNER: In den USA machen kommerzielle Mietmutter-Agenturen gute Geschäfte. Ist das auch bei uns möglich?

OFNER: Derzeit wären solche Agenturen auch bei uns gesetzlich nicht verboten. Weil aber keine zivilrechtliche Durchsetzung finanzieller Forderungen möglich ist, wird eine solche Tätigkeit wenig einträglich sein.

FURCHE: Wie ist nun die rechtliche Situation von Embryonen? Aktualisiert wird diese Frage durch mehrere Vorgänge: bei der künstlichen Befruchtung in der Retorte zum Beispiel verlangt der technische Vorgang, daß mehrere Eizellen entnommen, befruchtet und sodann zum Teil in den Mutterleib eingepflanzt werden. Was geschieht mit den restlichen befruchteten Eizellen?

OFNER: Strafrechtlich besteht kein Einwand, wenn diese restlichen befrachteten Eizellen mit Einwilligung der Spenderin in eine andere Frau eingepflanzt werden.

FURCHE: Hat der Embryo in der Retorte einen Rechtsanspruch?

OFNER: Ist das schon ein Embryo? Wenn das als Embryo gut, dann hat dieser als werdendes menschliches Leben im ethischen Sinn zu gelten, rechtlich aber nicht. Das ganze steht allerdings in einem starken Konnex zur Abtreibungsfrage. Wenn ich mich auf den Standpunkt stelle, daß das befruchtete Ei in der Retorte bereits menschliches Leben ist, dann entziehe ich ja der derzeit geltenden Abtreibungsregelung zumindest einen Teil des Bodens.

BRANDSTETTER: Da liegt ein Mißverständnis vor. Die geltende Fristenregelung zielt ab auf einen unterstellten Konflikt zwischen den Interessen der schwangeren Frau und denen desEmbryos.Die-ser Konfliktfall kann ja für den Retorten-Embryo nicht gelten.

OFNER: Das stimmt schon. Die Problematik des Konfliktfalls steht dabei im Hintergrund, aber im Vordergrund muß stehen, daß es sich nicht um menschliches Leben handelt. Denn sonst wäre der Konflikt ja im Falle der Abtreibungsregelung nur ein Argument für die Tötung menschlichen Lebens. Daher besteht die Hypothese, daß bis zu einem bestimmten Zeitpunkt es sich nicht um menschliches Leben handelt.

FURCHE: Das wäre mit der Konsequenz verbunden, daß mit diesem Retorten-Embryo beliebig experimentiert werden darf.

OFNER: Wenn Sie das befruchtete Ei als Embryo bezeichnen, dann kann man das nicht gleichsetzen mit einem Embryo, der sich zum Beispiel im vierten Monat befindet. Wenn wir aber das, was sich in der Retorte befindet, das befruchtete Ei nennen, dann ist es ethisch zwar unbefriedigend, aber rechtlich doch so, daß das in Wahrheit gar nichts ist. Das ist eine Sache.

LOEWE: Alle diese scheußlichen Experimente und Verkäufe an die Pharma- und die Schönheitsindustrie wären eine neue Rechtsproblematik, die wahrscheinlich nicht zum Zivilrecht gehört...

OFNER: In Wahrheit gehört das zum Disziplinarrecht der Ärztekammer ...

LOEWE:... vielleicht gehört's auch ins Strafrecht, das ist denkbar.

BRANDSTETTER: Wenn ich schon sage, der Retorten-Embryo ist nicht menschliches Leben, so ist er rechtlich sehr wohl ein Nasciturus. Und in der einschlägigen Literatur wird dem Nasciturus laut Allgemeinem Bürgerlichen Gesetzbuch das Grundrecht auf Leben zugeschrieben.

OFNER: Trotzdem glaube ich, daß man sich rechtlich auf den Standpunkt stellen muß, daß das befruchtete Ei, losgelöst vom menschlichen Körper, keine Rechtspersönlichkeit darstellt.

FURCHE: Gibt es für medizinische Experimente mit Embryo-' nen auch eine Art Fristenregelung?

OFNER: In doppelter Hinsicht muß man hier zwei Dinge auseinanderhalten: erstens immer die ethische und die rechtliche Komponente. Ethisch ist die Problematik klar, daß man es nämlich mit einer bestimmten Form des keimenden Lebens zu tun hat. Rechtlich handelt es sich nach meinem Dafürhalten nicht um eine entstehende Rechtspersönlichkeit.

Man muß aber auch diese Frage auseinanderhalten von der Frage der Berechtigung zu Experimenten. Ich persönlich glaube, daß -wenn ich von der ersten Ausgangsphase des befruchteten Eies absehe — sich sehr rasch die Grenze einstellt, nach der dieses befruchtete Ei, das zwar keine Rechtspersönlichkeit im Sinn eines werdenden menschlichen Leben ist, nicht Objekt von Experimenten sein darf.

FURCHE: Muß denn nicht getrachtet werden, die Lücke zwischen ethischer und rechtlicher Betrachtungsweise zu schließen?

OFNER: Ich glaube, daß es einen Rechtskreis gibt, in dessen Rahmen auf diese Frage reagiert werden müßte, und das wären die Standespflichten der Ärzte. Im medizinischen Bereich wird es immer Vorgänge geben, die im allgemein-rechtlichen Umfang nicht erfaßbar und daher auch, nicht regelbar sind.

FURCHE: Ist das nun wirklich etwas, was man ausschließlich der ärztlichen Ethik oder Standesvertretung überlassen soll?

EBNER: Außerdem arbeiten nicht nur Ärzte bei Experimenten mit Embryos mit, sondern auch Chemiker, Biologen, Labortechniker ...

OFNER: Ich stimme Ihnen zu, daß man sich überlegen wird müssen, ob und wie man dieses Zwischenfeld, wo es strittig ist, ob es sich um eine Sache oder um eine sehr frühe Form des keimenden menschlichen Lebens handelt, rechtlich voll abdecken kann.

Das Gespräch mit Justizminister Harald Ofner und dem Leiter der Zivilrechtssektion im Bundesministerium für Justiz. Roland Loewe, führten Grit Ebner. Generalsekretärin der „Aktion Leben”, Wolf gang Brandstet-ter, Assistent am Institut für Strafrecht der Universität Wien, sowie die FURCHE-Re-dakteure Christof Gaspari und Tino Teller.

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