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Mitbestimmung beginnt vor der eigenen Haustür

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Immer mehr Bürger bleiben der Wahlzelle fern. Politikverdrossenheit macht sich allenthalben breit. Wie kann das Vertrauen in die Politik wiedergewonnen werden?

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Immer mehr Bürger bleiben der Wahlzelle fern. Politikverdrossenheit macht sich allenthalben breit. Wie kann das Vertrauen in die Politik wiedergewonnen werden?

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Die Geschichte der Demokratie ist eine Geschichte von erkämpften Rechten gegen den hinhaltenden Widerstand der Mächtigen — ganz gleich, ob sich ihre Macht auf eine politische, soziale und/oder wirtschaftliche Basis stützt. Argumentiert wird freilich nicht mit den Interessen der Machthaber, sondern der Gesellschaft schlechthin, insbesondere der mehr Einfluß verlangenden Bürger.

Seit der „Wiener Revolution“ von 1848 kam es — mit Rückschlägen - zur schrittweisen Ausdehnung demokratischer Rechte, wobei 1918 sicher einen größeren Schritt darstellt.

Man sollte sich aufgrund historischer Erfahrungen hüten, anzunehmen, daß jemals das letzte, optimale Stadium der Demokratie erreichbar ist. Vielmehr ist von einem ständigen Prozeß auszugehen, auch mit Versuchen und Experimenten, wobei manche davon zum Scheitern verurteilt sind.

Trotz vieler Kritik soll die indirekte Demokratie die Basis unserer Bürgerbeteiligung bleiben. Sie verschafft eine unmittelbare Legitimation für die demokratischen Institutionen und Organe und bietet genügend Stabilität für längerfristig orientierte Entscheidungen.

Man sollte weniger über einen Ersatz der repräsentativen durch die direkte Demokratie diskutieren als über entsprechende Ergänzungen. Nicht die Tatsache, daß gewählte Organe Entscheidungen treffen, führt zu Problemen, sondern oftmals die Entscheidungsvorbereitung, die Entscheidungsfindung.

In einer demokratischen Gesellschaft sind so vielfältige In-, teressen und Sachverhalte zu berücksichtigen, daß kurze und rasche Entscheidungen meist unmöglich sind oder sich oft bald als fehlerhaft beziehungsweise nicht durchführbar darstellen.

Es gilt also Entscheidungspro-zesse zu entwickeln, in denen die Bürger ihre unterschiedlichen und oft auch widersprüchlichen Wünsche und Vorstellungen einbringen können.

Die Empirie zeigt, daß durchaus langwierige und mit vielen Betroffenen abgesprochene Entscheidungen nicht nur die Akzeptanz erhöhen, sondern auch durch eine bessere Qualität gekennzeichnet sind. Gerade aus der kommunalen Praxis ist dies ersichtlich (zum Beispiel Planung und Gestaltung der Wiener Donauinsel, vieler Wohnstraßenprojekte).

Dieses neue Verhältnis zum

Bürger schließt damit auch ein, daß manche Vorstellung der Experten und Politiker fallengelassen und modifiziert wird.

Nun wäre es ein grober Fehler, den Ausbau der Demokratie nur auf den traditionellen politischen Bereich zu beziehen. Auch die übrigen Bereiche des „öffentlichen“ Lebens dürfen nicht ausgespart bleiben.

Gerade im Wohnbereich (ob privat, genossenschaftlich oder kommunal) ist ein neues Verhältnis zum Wohnungsinhaber (meist Mieter) möglich und notwendig. Vieles könnten die Bewohner selbst entscheiden, die über die Probleme meist besser Bescheid wissen und mit den Konsequenzen der Entscheidungen täglich leben müssen (zum Beispiel Verwendung der angesparten Erhaltungsmittel, die Gestaltung der Grünanlagen und Gemeinschaftseinrichtungen).

Natürlich müssen die individuellen Rechte der Mieter garantiert bleiben. Dabei wird es nicht ohne Konflikte gehen. Aber auch aus Konflikten lernen die Menschen. Deshalb sollen 1988 zum Beispiel im kommunalen Wohnbau in Wien die Verwaltung dezentralisiert und die Mietermitbestimmung „eingeführt“ werden.

So könnte man viele Bereiche der öffentlichen Verwaltung analysieren und Vorschläge zur weiteren Demokratisierung machen. Aber allen Einzelvorschlägen muß ein Prinzip zugrunde liegen:

Das Mißtrauen gegenüber den Entscheidungen der Bürger selbst ist abzubauen. Solche Entscheidungen werden sachgerechter ausfallen, je mehr die Menschen informiert werden, je mehr sie gewohnt sind, mitzureden, mitzuplanen.

Dies ersetzt nicht unsere Grundprinzipien der Demokratie, bedeutet jedoch eine notwendige Weiterentwicklung, durch die das Vertrauen in die Politik schlechthin und in die einzelnen politischen Organe bewahrt beziehungsweise wiedergewonnen werden kann. Wachsendes Desinteresse, sinkende Wahlbeteiligung und ein gefährliches Vakuum, das Demagogen ausfüllen könnten, wären die viel gefährlicheren Alternativen dazu.

Der Autor ist Klubobmann der SPÖ-Land-tagsabgeordneten und Gemeinderäte in Wien.

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