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Miteinander in der Liebe lernen

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Der kirchlich häufig nur negativen Wertung nichtehelicher Lebensgemeinschaften will dieser Bei: ‘trag eine differenziertere theologische Sicht gegenüberstellen.

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Der kirchlich häufig nur negativen Wertung nichtehelicher Lebensgemeinschaften will dieser Bei: ‘trag eine differenziertere theologische Sicht gegenüberstellen.

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Keine Sehnsucht scheint unter Menschen mächtiger zu sein, kein Wunsch abgrundtiefer als der, von einem Menschen angenommen und geliebt zu sein. Und dies nicht nur gelegentlich, sondern dauerhaft und verläßlich. Doch stehen die hohen Erwartungen an Erfüllung in zwischenmenschlichen Beziehungen in einem direkten Mißverhältnis zu deren Gelingen.

Da gibt es Menschen, die Opfer der verinnerlichten Gesetze unserer Konsum- und Tauschgesell-

schaft sind. Menschen und Waren werden bis in die Sprache hinein austauschbar gehandelt: man „vernascht“ jemanden, „fährt auf ihn ab“ oder „reißt ihn auf“. Die Kurzformel eines solchen Funk- tionierens, eines genitalen Er- oberns und Besitzens lautet: Ich bin, was ich habe und besitze. Den Lebensweg dieser liebessüchtigen Menschen säumen die Ruinen namenloser und austauschbarer Erlebnispartner, die weder Trauer noch Hoffnung hinterlassen.

Der Wunsch, Hoffnung und Zukunft durch einen Menschen in einer dauerhaften Partnerschaft zu finden, ist unausrottbar lebendig. So machen Menschen auf der Suche nach einer festen Liebesbeziehung die Erfahrung, unmäßige Ansprüche an den Partner nicht in das Kleingeld der Beständigkeit umwechseln zu können. In ihrem Freiheitsbedürfnis und ihrer Interessenswahrnehmung fühlen sie sich eingeschränkt und leben eine ständig widerrufbare Beziehung.

Für den schwächeren Partner bedeutet dies eine unmenschliche Unsicherheit und dauernde Verletzbarkeit, als Mensch nicht mehr zu genügen und vom nächsten Partner abgelöst zu werden. Und immer sprechen die tränen- überströmten Gesichter und das unsagbare Leiden beim Zerbrechen solcher Beziehungen von der großen Liebessehnsucht und Geborgenheitshoffnung, die im Miteinander lebendig war.

Doch kann nicht geleugnet werden, daß es auch dauerhafte Liebes- und Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau gibt, die aus den verschiedensten Gründen nicht in die volle Öffentlichkeit von Kirche und Staat gebracht werden (können). Da erreicht eine Frau das Pensionsalter und findet den Mann, dem sie sagen kann: Bei Dir möchte ich bleiben. Und mit Dir möchte ich den Abend meines Lebens verbringen, die guten und die kranken Tage, die uns noch bleiben, bis daß wir durch den Tod hindurch zu einer neuen Qualität des Miteinander auferstehen.

Und die Zahl der Seelsorger und Seelsorgerinnen wächst, die vom Berg der moralischen Verurteilung hinabsteigen in das Tal des menschlichen Lebens und Leidens. Vorurteilsfrei spüren sie, daß die zwischenmenschlichen Beziehungen auf einem unterschiedlich gedüngten gesellschaftlichen und individuellen Boden wachsen unter dem Einflußbereich eines entsprechenden sozialen Klimas. Und ihr Handeln wird immer mehr geleitet von der lebensschützenden Einsicht alter theologischer Denker und Lebensmeister, daß jede menschliche Liebesgeschichte ein Ort der Begegnung mit dem lebenstiftenden Gott ist.

So helfen sie den Menschen, nicht mehr länger Analphabeten in der Schule des Lebens und der Liebe zu bleiben, indem sie die worthafte und wortlose Sprache des Körpers im Angesicht der lebensbejahenden Liebe Gottes zu buchstabieren beginnen und sagen lernen: wenn zwei Menschen einander wichtig werden, sich absichtslos lieben, diesen konkreten Menschen mit dem unverwechselbaren und einmaligen Gesicht, dann leuchten in diesem Gesicht die gütigen Züge Gottes auf, der dem Menschen durch die Nähe eines Menschen nahegekommen ist.

Wenn ein Mensch sich auf einen anderen einläßt, ihn annimmt mit all den Lasten seines lebensgeschichtlichen Erbes, mit den Verwundungen schuldhaften Lebens, dann hat er darin Jesus selbst angenommen, der die Schuld der

Menschen ein für allemal verziehen hat.

Wenn ein Mensch erfährt, daß sich ihm das geliebte Du nie ganz erschließen wird, immer ein Rest, ein Schatten des Nichtverstehens bleibt, den die wärmenden Strahlen der Zuneigung nicht zu erhellen vermögen, und er darüber nicht verzweifelt, sondern dies hoffend aushält, dann kann er darin den Gott erfahren, der sich immer als der ganz Andere erschließt, als unergründliches, dunkles Geheimnis.

Wenn Menschen sich aneinander abarbeiten, damit das Gute und Wahre in und zwischen ihnen Raum gewinnt, wenn sie aneinander leiden, weil sie sich leiden mögen und sich Halt geben in sanfter Gewaltlosigkeit, ohne einander festzuhalten, dann ist zwischen ihnen das wachsende Leben des Reiches Gottes keimhaft angebrochen.

Wenn sie nicht aufhören, einander kenrienzulernen und zu begegnen in ihrer physischen und psychischen Nacktheit, wenn die Stärke ihres gemeinsamen Lebens gerade darin besteht, voreinander schwach sein zu dürfen und

Einander vertrauen, annehmen …

die Verletzungen des Lebens zuzulassen, und sie sich so zu verstehen geben, daß ein sozialer und psychischer Tod nicht in Frage kommt, dann erfahren sie mitten im Leben die Auferstehung und den, der die Auferstehung in Person ist.

Wenn Menschen nicht allein für ihre Freundschaft und Liebe leben, sondern diese öffnen und verknüpfen in die vielfältigen Beziehungen zu Verwandten Freunden, zu den Armen und Gedemü- tigten, wenn sie sich so gegenseitig stärken in ihrem Reifen zu mehr Menschsein und zu einer menschlicheren Welt, dann erfahren sie bruchstückhaft Jesus selbst.

(Foto Zimmermann)

Überall dort aber, wo die Ur- hoffnungen der Menschen zertreten werden, wo die Sehnsucht nach Liebe im Dreck der Gewalt erstickt wird, werden die Meister des Lebens prophetisch Kritik üben und die Konfrontation mit einer Gesellschaft nicht scheuen, in der gute Beziehungen immer schwerer zu leben sind. Absichtslos interessiert am Gelingen menschlichen Lebens werden die Kirchen kontrastgesellschaftliche Berührungsräume eröffnen, in welchen erfahrene Beziehungsbegleiter das Alphabet der Liebe buchstabieren helfen.

Der Autor ist Diplomtheologe und Lehrbeauftragter für christliche Ethik an der Krankenpflegeschule in Passau.

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