6978362-1986_02_08.jpg
Digital In Arbeit

Mitgegangen heißt auch mitgehangen

19451960198020002020

Viel war angesichts des VOEST-Debakels von Schuld und Haftung zu lesen. Wie steht es dabei um die Verantwortung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat?

19451960198020002020

Viel war angesichts des VOEST-Debakels von Schuld und Haftung zu lesen. Wie steht es dabei um die Verantwortung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat?

Werbung
Werbung
Werbung

Die jüngsten Affären um ölspe-kulationen im Bereich der beiden Handelshäuser der VOEST und der Chemie Linz AG bieten einmal mehr Gelegenheit, sich Gedanken über den Begriff der politischen Verantwortlichkeit eines Ministers zu machen sowie die Sinn-haftigkeit öffentlichen Eigentums an Industrieunternehmen zu diskutieren. Neben diesen mehr politischen und volkswirtschaftlichen Aspekten werfen die Skandale aber auch vielfältigste Haftungsfragen auf, da derartige

Vorkommnisse die Vermutung eines zumindest teilweisen Versagens von Kontrollinstanzen nahelegen.

In der Tat durfte man in den letzten Tagen und Wochen einiges von „Verantwortung" und „Verantwortlichkeit" in den Zeitungen lesen. Jene des Vorstandes (der VOEST und Chemie Linz AG) sollte da geprüft werden; die Geschäftsführer der „Merx" hätten ihn glatt angelogen, erklärte der zuständige Minister. Und der Generalsekretär der ÖVP, selbst erfolgreicher Rechtsanwalt, sprach sich mit Nachdruck dafür aus, die Ruhebezüge des Vorstandes der VOEST empfindlich zu kürzen.

Vermissen mußte man allerdings Stellungnahmen zu einer möglichen Pflichtverletzung beziehungsweise Haftung der betroffenen Aufsichtsräte (das heißt jener von ÖIAG, VOEST und Chemie Linz). Was umso verwunderlicher erscheint, als es sich dabei ja um jenes Organ einer Aktiengesellschaft handelt, welches die allein dem Vorstand zukommende Geschäftsführung zu überwachen hat. - Besonders interessant, weil kaum je öffentlich diskutiert, erscheint dabei die Frage, ob bzw. inwieweit die vom Betriebsrat in den Aufsichtsrat entsandten Vertreter, welche ja einen Großteil der dort gefällten Entscheidungen mitzutragen haben, für Fehldispositionen des Managements zur Verantwortung gezogen werden können.

Hauptaufgabe des Aufsichtsra-tes ist neben Bestellung und Abberufung des Vorstandes, Behandlung des Jahresabschlusses und Einberufung der Hauptver-

Sammlung in erster Linie die Überwachung des Vorstandes dahingehend, daß dieser seine Geschäftsführung an den Kriterien der Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit orientiert. In Erfüllung dieser Aufgabe kann der Aufsichtsrat, abgesehen von den ohnehin vierteljährlich vorgesehenen Berichten, jederzeit einen Bericht des, Vorstandes über die Angelegenheiten der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu Konzernunternehmen verlangen.

Dieses Recht steht — mit Ausnahme der nicht für die VOEST geltenden Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes (siehe Kasten) — auch den Arbeitnehmervertretern zu.

Da die Vorstände der VOEST und Chemie Linz AG nach dem GmbH-Gesetz gegenüber den Geschäftsführern der Töchter „Intertrading" und „Merx" weisungsbefugt sind, hätten jedenfalls die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Chemie Linz AG vom betreffenden Vorstand einen Bericht über die den Geschäftsführern erteilten Instruktionen fordern können. Auch gegen den Willen der sonstigen Mitglieder.

Freilich wird ein Aufsichtsrat diesen Weg nur dann einschlagen, wenn zumindest gewisse Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß Unregelmäßigkeiten passiert sein könnten. Solche Anhaltspunkte gab es vielleicht aber nicht, da sich die Vorstände der VOEST und der Chemie Linz AG ja damit verantworten, vom Management ihrer Tochterfirmen selbst falsch oder unvollständig informiert worden zu sein.

Weiters kann der Aufsichtsrat selbst oder unter Einschaltung von Sachverständigen die Bücher und Aufzeichnungen der Gesellschaft einsehen sowie die Bestände an Geld, Waren und Wertpapieren überprüfen. Schließlich knüpft das Aktiengesetz bestimmte Arten von Geschäften (beispielsweise Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen und Liegenschaften, Großinvestitionen) an die Zustimmung des Aufsichtsrates.

Infolge der oben angesprochenen Weisungskette wäre es auch in der Macht der betreffen-

den Aufsichtsräte gestanden, etwa dem Vorstand vorzuschreiben, ölterminkontrakte, die eine bestimmte Summe übersteigen, zur Genehmigung vorzulegen. Daß eine derartige Vorgangsweise in Anbetracht der in jener Branche üblichen Schnelligkeit und Flexibilität wohl realitätsfremd wäre, steht auf einem anderen Blatt.

Zentrale Maxime, an der sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat ihr Handeln auszurichten haben, ist das „Wohl des Unternehmens" (Paragraph 70 Aktiengesetz), welches sich in erster Linie im langfristigen Bestands-

und Ertragsinteresse manife-r stiert. Die Interessen der Aktionäre und der Arbeitnehmer sowie das öffentliche Interesse, zu deren Berücksichtigung das Gesetz ebenfalls aufruft, treten demgegenüber als Subziele in den Hintergrund. Sie dürfen nur insoweit verfolgt werden, als das Unternehmenswohl gewahrt bleibt. Der im Aufsichtsrat sitzende Betriebsrat, der eine unfinanzier-bare Sozialpolitik des Vorstandes deckt, handelt daher ebenso pflichtwidrig wie jene Aufsichtsratsmitglieder, die aus Angst, von den Aktionären abberufen zu werden, den Vorstand dazu bewegen, der Hauptversammlung eine Gewinnausschüttung vorzuschla-

gen, die mit den finanziellen Möglichkeiten der Gesellschaft nicht im Einklang steht.

Selbstverständlich fungieren die Belegschaftsvertreter aber auch als Sprachrohr der Arbeitnehmerschaft, sodaß ihnen dort, wo das Unternehmenswohl dies zuläßt, die Artikulierung der Arbeitnehmerinteressen zufällt. Dies kann unter Umständen auch ein Gegengewicht dafür sein, daß sich die anderen Aufsichtsratmitglieder de facto vielleicht mehr den Aktionären verpflichtet fühlen mögen (von diesen werden sie ja auch bestellt).

Was nun die Haftung des Auf-

sichtsrates anbelangt, so haben dessen Mitglieder — ebenso wie jene des Vorstandes — die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" anzuwenden. Bei Verletzung ihrer Obliegenheiten sind sie der Gesellschaft zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) sprach in der einzigen Entscheidung jüngeren Datums, in der er sich mit der Aufsichtsratshaftung zu befassen hatte, aus, daß ein Aufsichtsratsmitglied „in geschäftlichen und finanziellen Dingen ein größeres Maß an Erfahrung als ein durchschnittlicher Kaufmann" besitzen und die Fähigkeit haben müsse, „schwierige rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft zu beurteilen".

Das Aktiengesetz unterscheidet hinsichtlich der Haftung (ebenso wie der OGH in der angeführten Entscheidung) nicht (!) zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern. Vielmehr wird im Arbeitsverfassungsgesetz ausdrücklich angeordnet, daß die vom Betriebsrat entsandten Mitglieder „gleiche Rechte und Pflichten" wie die sonstigen Mitglieder haben. Das damit angesprochene Problem ist insofern heikel, als — wie erwähnt — Belegschaftsvertreter nur Betriebsräte sein können, die Aufsichtsratstätigkeit daher gleichzeitig als betriebsverfassungsrechtliche Mandatsausübung konzipiert ist, was Interessenkollisionen

durchaus denkbar erscheinen läßt. Dennoch kann Haftungsfreiheit der Belegschaftsvertreter nicht angenommen werden. Für sie gelten die gleichen Handlungsrichtlinien und insbesondere das Verbot der einseitigen Verfolgung von Teilinteressen.

Probleme wirft der vom OGH entworfene strenge Haftungsmaßstab allerdings dort auf, wo es um die rein kaufmännische Überwachung der Geschäftsführung des Vorstandes geht. Es ist nämlich zu fragen, ob von den Betriebsräten im Aufsichtsrat auch diesbezüglich wirklich so umfassende juristische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse gefordert werden können. Leitende Angestellte kommen für eine Nominierung ja nicht in Frage, da sie gar nicht unter die Betriebsverfassung fallen. Ein gelernter Stahlarbeiter oder Bürokaufmann wird aber wohl auch nach Absolvierung der von der Gewerkschaft angebotenen, teilweise ausgezeichneten Kurse nicht imstande sein, kompliziertere Transaktionen des Managements eines großen Konzerns auf ihre ökonomische Effizienz hin zu untersuchen.

Die Ablehnung des Mandats, zu

der ein Mitglied verpflichtet ist, welches sich nicht ausreichend befähigt fühlt.nilft hier wenig, da bei strenger Beachtung dieses Grundsatzes wohl bald ein Kandidatenmangel aufträte.

Auf jeden Fall muß aber auch von den Betriebsräten im Aufsichtsrat verlangt werden, daß sie sich mit elementaren Begriffen der Betriebswirtschaft sowie wichtigen Rechtsvorschriften vertraut machen und daß sie sich Kenntnis von Aufgaben und Strategien ihres Unternehmens verschaffen, sodaß sie zumindest grobe Schnitzer des Vorstandes erkennen können.

Inwieweit solche bei der VOEST und Chemie Linz passierten, wird noch zu klären sein.

Ulrich Runggaldier ist Vorstand des Institutes für Arbeits- und Sozialrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien; Georg Schima Universitätsassistent am genannten Institut

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung