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Mitteleuropa in Görz

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Fast wäre, überschattet von der Rückbesinnung auf die Ereignisse des Jahres 1938 und deren schreckliche Folgen, auf ein anderes schicksalhaftes Datum vergessen worden: auf das Jahr 1918 mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Entstehung der Republik Österreich. Daß dieses Gedenken jenseits der Grenzen unseres Staates zuerst wahrgenommen worden ist, kann als günstiges Omen für ein künftiges

Europa ohne Grenzen und ohne falschen Nationalismus aufgefaßt werden.

Görz, während des Ersten Weltkrieges vielumkämpfter Brük-kenkopf und heute eine zweigeteilte Stadt, durch die die Grenze zwischen Italien und Jugoslawien verläuft, war Schauplatz der Begegnung von Persönlichkeiten der Politik und der Kultur aus Österreich und Italien, bei der das von Grund auf gewandelte Verhältnis der beiden Länder zueinander neu überdacht worden ist.

Die Bedeutung dieser Initiative, die von der Stadt Görz gemeinsam mit dem Görzer Institut für mitteleuropäische Kulturbegegnungen ausgegangen ist, wurde durch die Teilnahme des österreichischen Vizekanzlers Alois Mock und des italienischen Staatsministers Giorgio Santuz hervorgehoben.

In ihren Berichten bemerkten die italienischen Medien, daß bei der öffentlichen Sitzung im Ratssaal des Municipio von den beiden Ministern, dem Präsidenten der Region, dem österreichischen Generalkonsul von Triest, dem Provinzpräsidenten und dem Bürgermeister die Worte Freundschaft und Zusammenarbeit ohne jede Rhetorik, stets aber im Konnex mit konkreten Problemen ausgesprochen worden sind, welche die beiden Länder in einem gemeinsamen Programm in Zentraleuropa heute in Angriff nehmen müssen.

Im Hinblick darauf, daß der Erste Weltkrieg noch heute in Italien vielfach als der letzte Krieg des „Risorgimento“, der Einigung Italiens, aufgefaßt wird, sprach der Görzer Bürgermeister Antonio Scarano die Hoffnung aus, daß diese Tagung einen Meilenstein für ein neues „Risorgimento euro-peo“ darstellen möge.

Bei der anschließenden Kranzniederlegung durch die beiden Minister am Ossarium von Osla-via, wo die Gebeine von 60.000 Gefallenen in den Isonzo-Schlach-ten, Italiener und Österreicher, gemeinsam bestattet sind, waren auch Abordnungen der Heere beider Länder zugegen.

In seinem Beitrag zum Podiumsgespräch im Auditorium vor mehr als fünfhundert Zuhörern, zum Großteil junge Menschen, bezeichnete Erhard Busek die Zeremonie in Oslavia als ein wichtiges Symbol: „Jetzt kann man sagen, die Isonzofront existiert nicht mehr. Der Geist von Görz beweist, daß die Menschen sehr wohl aus der Geschichte gelernt haben.“ Busek stellte auch die gute Nachbarschaft dieser beiden Länder in der Mitte Europas als beispielgebend für ihr Verhältnis zu den osteuropäischen Staaten hin, die man aus dem Integrationsprozeß nicht ausschließen dürfe.

Giorgio Campanini, Soziologe an der Universität Parma, sieht in der Mitteleuropa-Idee einen Beitrag zu einem vereinigten Europa:

„Wir leben in einer Zeit des Untergangs der Nationalismen.“ Wenn man in Italien das Habsburgerreich oft als „Völkermosaik“ mit gewisser negativer Befrachtung auffaßte, gab Campanini zu bedenken, daß auch eine europäische Einheit nur aus einem Mosaik von Völkern bestehen könne. Dazu komme, daß die Vielzahl europäischer Minderheiten wesentlich zur kulturellen und geistigen Vielfalt unseres Kontinents beitrage: der Kontinent dürfe nicht zu einem Europa der Nationen, sondern er solle zu einem Europa der Völker werden, die sich gegenseitig respektieren.

Auf die Wandlung des Österreich-Bildes in Italien ging der Germanist an der Universität Pa-via, Giorgio Cusatelli, ein. Aus dem Feindbild von ehemals sei ein Vorbild geworden, das sich in einer idealisierten Sicht Österreichs vor allem in Norditalien widerspiegle und oft in der Erinnerung an die Monarchie seine Wurzeln habe. Diese Einstellung verführe leicht zum Mythos eines einheitlichen Mitteleuropa, der jedoch mit den Bestrebungen des Görzer Institutes für mitteleuropäische Kulturbegegnungen nicht gleichgesetzt werden dürfe.

Der österreichische Historiker Adam Wandruszka ging davon aus, daß viel von dem lange vorherrschenden gegenseitigen Mißtrauen zwischen Österreich und Italien auf eine Reihe von Mißverständnissen aus der Zeit der Beendigung des Ersten Weltkrieges zurückzuführen sei. Er wies dabei auch auf den sogenannten Sieg von Vittorio Veneto hin, jenem Ort in der Provinz Treviso, nach dem Italien die letzte entscheidende Schlacht an der österreichisch-italienischen Front bezeichnet. Als am Nachmittag des 3. November 1918 der Waffenstillstand geschlossen wurde, konnte den bereits sich in Auflösung befindlichen österreichischen Truppen nicht mehr bekanntgegeben werden, daß dieser erst am nächsten Tag um 15 Uhr in Kraft tritt. So fielen über 300.000 österreichische Soldaten kampflos in italienische Gefangenschaft.

Gleichsam als Ergänzung zu den Ausführungen Cusatellis befaßte sich der Verfasser dieses Berichtes mit der Wandlung der Einstellung der Österreicher zu Italien, ausgehend von den Aversionen aufgrund des Austritts Italiens 1915 aus dem Dreibund und den Verlust Südtirols nach dem Ersten Weltkrieg. Er verwies auch auf die intensiven Kontakte Österreichs zur italienischen Kultur, die in die Zeit Pietro Metasta-sios und der Burnacinis zurückreichen, ebenso mit der Anerkennung, die Nicolö Paganini, Gaeta-no Donizetti, Giuseppe Verdi und Eleonora Duse zuteil geworden sei, und bezog sich auf die Entdek-kung Luigi Pirandellos für die Wiener Bühnen in der Zwischenkriegszeit sowie auf die Tätigkeit italienischer Regisseure, wie Guicciardini, Luca Ronconi und Giorgio Strehler am Wiener Burgtheater.

Eingehend auf die Zuerken-nung des „Europäischen Staatspreises für Literatur“ an Italo Calvino, Fulvio Tomizza und Giorgio Manganelli als Zeichen für die stets anhaltende Hochschätzung italienischer Kultur in Österreich, wurde auf die Bedeutung der Literatur hingewiesen: Charakter, Geschichte und humane Werte eines Volkes werden auch durch seine Dichtung erkannt.

Der Autor war Leiter des Osterreichischen Kulturinstituts in Rom.

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