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Mitten in der Kirche bricht neue Hoffnung auf

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Ich komme gerade vom Begräbnis eines 25jährigen Mädchens heim. Ein junger, besonders strahlender Mensch ist aus dem Leben gerissen worden — noch dazu ein gläubiger. Wie kann Gott das zulassen? Vor wenigen Jahren erst hatten sie und ihre Familie zum Glauben gefunden. Und dann diese Katastrophe!

Wie tragfähig aber ein solcher von der Wurzel her erneuerter Glaube ist, konnten alle jene erleben, die nach dem Begräbnis an der Seelenmesse teilnahmen: Das war eine Auferstehungsfeier. Die Trauer war zwar nicht weggewischt. Aber mitten in der menschlichen Not konnte man spüren: Gott ist größer als unser Erkennen. Er nimmt zwar nicht den Schmerz von uns. Aber er schenkt Frieden—mitten in der Bedrängnis.

Was wir sonst nur aus Psalmen, aus dem Neuen Testament oder aus der Geschichte großer Heiliger kennen, die Erfahrung des nahen, gegenwärtigen Gottes, tritt uns heute als Zeugnis einer wachsenden Schar von Menschen entgegen. Vielfach sind es jene Menschen, die in einer der Erneuerungsbewegungen den entscheidenden Schritt gemacht haben: Sie setzen in ihrem Leben alles auf eine Karte, auf das Wirken des menschgewordenen Gottes, Jesus Christus.

Ja, wo sind denn diese Tausendsassa in Sachen Frömmigkeit? mag sich jetzt so mancher denken. Wo bleibt ihre Wirkung im Alltag? Immer noch scheint Resignation die Kirche zu prägen, hört man Klagen über zigtausend Kirchenaustritte, scheint ein Machtkampf zwischen konservativ , und progressiv das Geschehen zu prägen. Umfragen zeigen, daß für den Zeitgenossen Glauben und Kirche Nebensache sind: Rang 22 von 23 bei einer englischen, Rang sechs von sieben bei einer österreichischen Umfrage über die Wichtigkeit von Lebensbereichen.

Und dennoch. Mitten in dieses düstere Bild leuchten Hoffnungsstrahlen: etwa die vielfältigen Formen von Erneuerung — nicht nur in der katholischen Kirche. Daß sie das Bild nicht beherrschen, ist nicht verwunderlich. Man streift Heiligkeit nicht über wie ein Hemd. Auch ist die Erneuerung noch keine Massenbewegung.

Was aber ist ihr Kennzeichen? Menschen haben in ihrem Leben eine Phase erlebt, in der sie den alles entscheidenden Schritt getan haben, ja zum Angebot Gottes zu sagen, ein neues Leben mit Jesus zu wagen. Meist ist das mit der Erkenntnis verbunden, daß Glaube etwas ganz anderes ist, als dies landläufig in Erscheinung tritt. „Glauben heißt nix wissen“, bekommt man oft zu hören, was soviel bedeutet wie: Wenn ich mir nicht sicher bin, dann glaube ich halt.

Die Bemühungen vieler Erneuerungsbewegungen richten sich nun gerade darauf, bewußtzumachen, daß es um etwas ganz anderes geht. Das lateinische Wort für glauben, „credere“, verrät, was eigentlieh gemeint ist: Es kommt von „cor dare“, was soviel heißt wie „das Herz geben“. Im Glauben schenken wir Gott unser Herz. .

Natürlich ist es da nicht mit einem einmal gefaßten heroischen Entschluß getan. Ganz im Gegenteil: Es setzt eine Kette von neuerlichen Zuwendungen voraus. Erneuerung ist somit ein fortwährendes Geschehen im Leben des Menschen. Daß sie aber einmal in Gang kommt und daß sie im Leben Fortsetzung findet, darum bemühen sich diese Bewegungen — und zwar in einer Form, die den Menschen von heute anspricht.

.JZcclesia Semper reforman-da“ - die Kirche muß sich immer erneuern — ist ein Slogan, den viele kennen. Oft wird er aber dahingehend mißverstanden, daß man damit diefortgesetzte Strukturreform einer weltweiten Organisation meint.

Meiner Uberzeugung nach ist das sekundär. Die entscheidende Reform der Kirche findet in den Herzen der Menschen statt, in Dir und mir, weil wir alle die Kirche sind. Kirche wird dort neu, wo jemand eine neue Geschichte mit Gott beginnt. So gesehen ist jeder von uns berufen, Erneuerer der Kirche zu sein.

Wie viele Menschen kenne ich, die sich auf diesen Weg begeben haben, Menschen, die früher (wie ich) fernstehend, lau, skeptisch oder kirchenfeindlich waren! Von außen gesehen hat sich ihr Leben nicht dramatisch verändert. Sie leben in derselben Familie weiter, wechseln meist nicht den Arbeitsplatz, ziehen nicht ins Kloster (obwohl es auch das gibt).

A ber innerlich geschieht eine Wandlung: Wo dem Wirken Gottes Raum gegeben wird, verändern sich die Beziehungen zu den Mitmenschen, wächst Liebe zur Kirche — trotz all ihrer Schwächen -, erwacht der Wunsch, die Frohe Botschaft weiterzugeben...

Selbstverständlich ist nicht alles nur eitel Wonne. Sicher gibt es Übertreibungen. Nur, wo gibt es sie nicht? Sind nicht die Theorielastigkeit vieler Theologen und die Lauheit vieler Gewohnheitschristen fatale Übertreibungen von Vernunft und Vorsicht? An diese Art zu übertreiben haben wir uns leider gewöhnt. Auch so manches Feuer der Erneuerung erlischt allzu rasch wieder. Der Alltagstrott treibt viele ins alte Fahrwasser zurück. Soll uns das verwundern? Im Gleichnis vom Sämann schildert uns Jesus realistisch, wie es dem Wort Gottes ergeht.

In den Erneuerungsbewegungen fällt dieses Wort aber vielfach auf fruchtbaren Boden und bringt reiche Frucht: Menschen lesen täglich in der Heiligen Schrift und beziehen daraus Wegweisungen für ihren Alltag. Sie treffen sich zu gemeinsamem Gebet, um Gott zu danken und Kraft für ihr tägliches Leben zu tanken, und sie erfahren, was Jesus verheißen hat: „ch bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

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