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Mitterrand als Polit-Gaukler

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In jüngster Zeit ließ es Frankreich an europäischen Initiativen nicht mangeln. Es unternahm große Anstrengungen, um der Westeuropäischen Union (WEU) einen neuen Auftrieb zu geben. Präsident Francois Mitterrand erwog ferner ernstlich die Einberufung einer großen europäischen Regierungskonferenz im Herbst nach Paris, um in einem Vertrag die Etappen einer politischen europäischen Union festzulegen.

Schließlich regten die Franzosen eine enge europäische Kooperation für die Forschung in Bereichen an, die technologisch mit der von den Amerikanern grundsätzlich beschlossenen Weltraumstrategie zusammenhängen. Das Echo auf all diese Vorstöße blieb jedoch bescheiden.

Statt der nach Bereinigung der schwebenden Probleme der Gemeinschaft erhofften europäischen Euphorie ist eine fühlbare Entmutigung zu beobachten. Sie erklärt sich durch die Schwerkraft der nationalen Routine, die Verquickung von Innen- und Außenpolitik sowie durch die geradezu aggressive Empfindlichkeit der Amerikaner, sobald die Europäer ernsthaft den Aufbau des berühmten zweiten Pfeilers der atlantischen Allianz in Angriff nehmen wollen.

Ein Musterbeispiel liefert die WEU, deren parlamentarische Versammlung unlängst in Paris eine ihrer beiden jährlichen Tagungen in eher erregter Atmosphäre abhielt. Ohne Zweifel ist es die Mission dieser 1954 gebildeten Einrichtung, sich über die europäische Verteidigungspolitik Gedanken zu machen, die Aktion ihrer Mitglieder in der NATO, der nord-atlantischen Allianz, zu koordinieren und die gemeinsame Rüstungsproduktion zu fördern.

Nach einem langen Dornröschenschlaf beschlossen die beteiligten sieben Regierungen im Herbst letzten Jahres, das Kind endlich wachsen zu lassen und ihm konkrete Aufgaben zu erteilen. Über schöne Absichtserklärungen sind sie jedoch nicht hinausgekommen.

Der ständige Rüstungsproduktionsausschuß setzt seinen fast schon historischen Leerlauf fort, die durch die Beseitigung der Diskriminierungen der Bundesrepublik Deutschland arbeitslos gewordene Rüstungskontrollagentur wartet auf die Ermächtigung, sich Abrüstungsfragen zu widmen, und die angekündigte engere Zusammenarbeit des Ministerrates mit der parlamentarischen Versammlung zeichnet sich nicht einmal am Horizont ab. Dieses Fiasko hat vorwiegend zwei Gründe: die plötzhche französische Gleichgültigkeit und das amerikanische Veto.

Lange war Frankreich für die Belebung der WEU die treibende Kraft gewesen. Es ging ihm aber lediglich darum, eine spanische Wand in die Landschaft zu stellen, um sich dahinter einem strategisch-militärischen Duo mit dem deutschen Partner hingeben zu können.

Washington ist ein begeisterter Anhänger der europäischen Einheit, solange sie sich nicht praktisch auswirkt. Als sich vor einigen Wochen in Bonn hohe Beamte der Mitgliedstaaten der WEU trafen, um eine gemeinsame europäische Linie in der Abrüstungspolitik zu definieren, gaben die

Amerikaner kurz vorher ihren Unwillen über diese Absicht bekannt.

Vor der Ministerkonferenz Ende April wurden die USA in einem recht groben Brief ihres zuständigen Unterstaatssekretärs noch deutlicher. Die Europäer sollen sich über die Abrüstung nur in der NATO unterhalten, natürlich in Anwesenheit der Amerikaner. Anders ausgedrückt: Washington wünscht keine europäische Einmischung in die Genfer Abrüstungsgespräche mit der Sowjetunion.

Nicht weniger unerfreulich ist das Tauziehen um das amerikanische Weltraumstrategieprogramm, die Strategische Verteidigungsinitiative, unter der Abkürzung SDI bekannt. Damit will sich zwar die WEU weiterhin befassen, um zu ergründen, ob eine kollektive Kooperation des alten Kontinents mit dem neuen im Bereich des Möglichen liegt. Die Amerikaner haben jedoch inzwischen ihre Sendboten auf alle Kriegspfade ausgesandt, um mit den europäischen Regierungen und vor allem mit den Firmen sowie den Forschungsinstituten zu bilateralen Vereinbarungen zu gelangen.

Die französische Absicht, ein technologisches europäisches Fundament für eine spätere Zusammenarbeit mit den Amerikanern in der sowohl zivilen wie militärischen Weltraumforschung zu schaffen, ist durchaus lobenswert. Mitterrand vermag aber seine europäischen Partner nicht für diesen Plan zu gewinnen, wenn er aus billigen Prestigeerwägungen den Amerikanern, wie auf dem Bonner Gipfeltreffen, brüsk die kalte Schulter zeigt, gleichzeitig aber verstaatlichte französische Gruppen nicht daran hindert, für Forschungsaufträge Kontakte mit amerikanischen Partnern anzuknüpfen. In diesem; diplomatischen Wirrwarr findet sich schließlich niemand mehr zurecht.

Auch positive Tatsachen

Wenig sinnvoll ist ferner der französische Alleingang für die von den Amerikanern geforderte Welthandelskonferenz. Jedermann weiß in Paris, daß sie sich nicht vermeiden läßt und zudem auch den französischen Belangen entspricht. Daher bestand keine Veranlassung, wegen eines Terminplanes für ihren Start — Anfang 1986 oder so bald wie möglich — einen großen internationalen Wirbel zu machen und sogar den Eindruck einer Abkühlung des deutsch-französischen Verhältnisses zu erwecken.

Hinter dieser politischen Aufregung verbergen sich einige positive Tatsachen. Die französische Initiative der europäischen Technologieforschung ging auf eine deutsche Anregung zurück. Seit Ende April arbeiten deutschfranzösische Arbeitsgruppen an konkreten Programmen.

Die vertraulichen Gespräche über eine gemeinsame Verteidigungskonzeption laufen ferner erfolgreich weiter. Auch über die Notwendigkeit der Stärkung der europäischen Gemeinschaft sind sich die beiden Länder völlig einig. Die Amerikaner haben selbst für bundesdeutsche Begriffe den Bogen überspannt. Sie lieferten hiermit — symbolisch — den Zement für die Konsolidierung der deutsch-französischen Einheitsfront.

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