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Mitterrand sucht einen Rettungsanker

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Frankreichs Präsident Francois Mitterrand ist sich in den letzten Wochen etwas plötzlich und mit reichlicher Verspätung bewußt geworden, daß sein politisches Schicksal auf dem Spiel steht. Zur Verbesserung seiner Position bereitet er, wie man hört, neue taktische Manöver vor.

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Frankreichs Präsident Francois Mitterrand ist sich in den letzten Wochen etwas plötzlich und mit reichlicher Verspätung bewußt geworden, daß sein politisches Schicksal auf dem Spiel steht. Zur Verbesserung seiner Position bereitet er, wie man hört, neue taktische Manöver vor.

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Aber alle Beobachter, selbst in seinem eigenen Lager, beurteilen seine Erfolgsaussichten äußerst zurückhaltend, um nicht zu sagen pessimistisch. Eine erste Meinungsbefragung nach seinem drastischen Kurswechsel, den man nach mitteleuropäischen Normen als eine Abkehr vom ideologischen Sozialismus und eine Hinwendung zur Sozialdemokratie deuten könnte, war für ihn entmutigend, denn seine Popularitätskurve ist trotzdem weiter leicht abgesunken.

In die gleiche Richtung läuft das Ergebnis einer zweiten Umfrage, wonach die Franzosen dem oppositionellen Senat nach der Prozedurschlacht um das von Mitter-

rand angestrebte Referendum mehr Vertrauen schenken als dem Staatspräsidenten.

Es gibt Grenzen für die Glaubwürdigkeit taktischer innenpolitischer Schachzüge. Mitterrand hatte zu lange die Lage verkannt, d. h. die geringe Neigung der Mehrheit der Bevölkerung, seine Politik in einigen wichtigen Fragen noch hinzunehmen.

Es muß, gelinde gesagt, verwirren, wenn der Staatschef das hart umkämpfte Schulgesetz über Nacht fallen läßt, nachdem er den wohlgemeinten Vorschlag des Senatspräsidenten, die parlamentarische Debatte auf den Herbst zu vertagen, grob zurückgewiesen hatte und dazu noch kategorisch erklärte, auf keine der Bestimmungen der letzten harten Fassung des Gesetzes verzichten zu wollen.

Mit dem vorgeschlagenen Referendum führte Mitterrand die Franzosen ferner in einen Irrgarten. Es sollte ihnen nicht die Frage gestellt werden, ob sie mit einer konkreten politischen Entscheidung einverstanden sind oder nicht, sondern lediglich, ob sie in Zukunft dem Präsidenten das Recht geben wollen, nach eigenem Ermessen eine Volksbefragung zu veranstalten, wenn eine der öffentlichen Freiheiten gefährdet sein könnte.

Die Regierung gab sich nicht einmal die Mühe, den Begriff „öffentliche Freiheiten" einigermaßen genau zu definieren. Mitterrands Ziel war es zunächst, sich in einem, wie er glaubte, unumstrittenen Bereich eine Mehrheit zu sichern, um so politisch seine jüngste Wahlniederlage zu neutralisieren. Daß er gleichzeitig die schon zu großen Machtbefugnisse des Präsidenten noch ausgeweitet hätte, dürfte ihm zunächst völlig entgangen sein.

Taktiker denken im allgemeinen sehr kurzfristig. Die im Senat über die Mehrheit verfügende Opposition mußte sich diesem Plan widersetzen, selbst auf die Gefahr hin, die öffentliche Meinung ungünstig zu beeindrucken. Denn keinem Volk gefällt es, wenn politische Gruppen ihm das Recht zur direkten Meinungsäußerung versagen.

Ziemlich schnell wurde jedoch die Fadenscheinigkeit der Absichten Mitterrands offensichtlich, zumal sich in der öffentlichen Meinung die Erkenntnis verbreitete, daß die verfassungsrechtliche Akrobatik mit dem Referendum an den Realitäten vorbeigeht und Frankreich nicht gestattet, auch nur eine einzige seiner augenblicklichen bedenklichen politischen, wirtschaftlichen

oder sozialen Hürden zu beseitigen.

Uberraschend vermochte andererseits Mitterrand aus dem Bruch mit den Kommunisten kaum Nutzen zu ziehen. Der Stoßseufzer der Erleichterung — im Ausland stärker fühlbar als in Frankreich — blieb zwar nicht aus. Aber es überwog sehr schnell das Gefühl, daß sich am innenpolitischen Kräfteverhältnis nichts geändert hat.

Nicht ohne Erfolg war Mitterrand von Anfang an darum bemüht gewesen, seiner öffentlichen Meinung und seinen ausländischen Partnern verständlich zu machen, daß er sich in seiner Politik von den Kommunisten nicht beeinflussen läßt und im entscheidenden Augenblick entschlossen ist, ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Dies geschah in der Tat wiederholt. Der Bruch verlor so seine dramatische Wirkung.

Ferner ließ sich nicht verheimlichen, daß die Initiative hierzu von den Kommunisten ausging

und Mitterrand ihr Verbleiben in der Regierung durchaus gewünscht hätte. Schließlich hat sich an der kommunistischen Hypothek — die vor allem die Sozialpolitik betrifft — nichts geändert.

Damit der ehemalige Partner nicht zur offenen und scharfen Opposition übergeht, müssen Zugeständnisse gemacht werden. Sie lassen sich nur schwer mit der theoretisch abgestrebten liberalen Wirtschaftspolitik vereinbaren.

Es gehört zu den nicht seltenen Ironien der Geschichte, daß Mitterrand jetzt genauso wie sein Vorgänger Giscard d'Estaing davon träumt, Frankreich in der Mitte zu regieren und die stets künstlich gewesene Zweiteilung des Landes in links und rechts zu überbrücken. Teilweise bedient er sich sogar des gleichen Vokabulars.

Man spricht von der notwendigen innenpolitischen Entkrampfung. Und man fordert die Franzosen auf, sich hinter einer Regierung zu sammeln, der es vorläufig lediglich darum geht, das Land aus einer wirtschaftlichen Sackgasse herauszuführen, ohne sich um irgendwelche ideologischen Zwänge zu kümmern.

Gute Absichten und schöne Worte genügen aber nicht, um ein erschüttertes Vertrauen wieder herzustellen. Außerdem haben sich der Präsident und seine Minister in den letzten Wochen einige psychologische Irrtümer erlaubt, die eine nicht geringe Verärgerung in der öffentlichen Meinung auslösten:

Auf die kategorische Anweisung Mitterrands an den Finanzminister, die Steuer- und Soziallast im kommenden Jahr um ein

Prozent des Sozialprodukts zu verringern, folgten als Ausgleich für das fiskalische Versprechen die Heraufsetzung der Benzinsteuer, eine massive Erhöhung der Telefongebühren und die Ankündigung der Verteuerung der öffentlichen Tarife.

Die Herabsetzung des Sparzinses um einen Punkt wurde ebenfalls als eine Art fiskalischer Handstreich empfunden. Denn der Hauptnutznießer hiervon ist die Staatskasse.

Allzu leichtfertig verpflichtete sich andererseits der neue Wirtschafts- und Finanzminister zur Erhaltung der erreichten Kaufkraft, obwohl er sehr genau wissen mußte, daß er im Herbst den Beamten die hierfür erforderlichen Gehaltserhöhungen nicht zugestehen kann, weil ihm die Haushaltsmittel fehlen und er außerdem dadurch die Antiinfla-

tionspolitik ernstlich gefährden könnte.

Der neue Premierminister Laurent Fabius ist unter diesen Umständen nicht zu beneiden, wenn er auch nach allgemeiner Uberzeugung nur als ausführendes Organ des Präsidenten in Erscheinung tritt. Am peinlichsten dürfte es für ihn sein, die zur Gesundung der Industrie unentbehrlichen und lange hinausgeschobenen Entlassungen zu bewilligen, ohne in der Lage zu sein, neue Arbeitsplätze anzubieten.

Es droht so ein Anstieg der Erwerbslosigkeit auf 2,5 Millionen Personen bis Jahresende, während das theoretisch angekündigte stärkere wirtschaftliche Wachstum vorläufig in weiter Ferne liegt, schon weil die doppelte staatliche Kontrolle der Preise und des Arbeitsmarktes die Unternehmerinitiative entmutigend hemmt.

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