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Mitterrands Kurswechsel

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Frankreichs sozialistisch-kommunistische Regierung mußte in den letzten Wochen zwei schwere Rückschläge hinnehmen: den Verlust der Stimmenmehrheit in den Gemeindewahlen und die Krise des Franc mit einer dadurch ausgelösten und vom erträumten Sozialismus weit entfernten Aus- teritätspolitik.

Es war aber nicht das Ergebnis der Gemeindewahlen, das den französischen Präsidenten zu einer Kursänderung veranlaßte. Denn das änderte nichts an seiner persönlichen Position noch an seiner massiven Mehrheit im Parlament. Es waren der von ihm selbst als unerträglich bezeichnete Fehlbetrag der Handelsbilanz und die aus diesem Grund nicht mehr abzuwehrenden Angriffe gegen den Franc.

Bis zum letzten Augenblick ließen Frankreichs Verantwortliche ihren mangelnden Realismus erkennen. Nicht aus taktischen Gründen, sondern durchaus ehrlich bestritten sie die Notwendigkeit einer erneuten und dritten Franc-Abwertung seit ihrer Machtübernahme.

Um nach diesen Verirrungen des Selbstvertrauens einigermaßen das Gesicht zu wahren, mußte Frankreich in Brüssel harte Verhandlungen mit dem deutschen Partner führen, damit er ihm durch eine stärkere Aufwertung der D-Mark eine zu fühlbare Abwertung des Franc ersparte.

Mitterrand wollte zunächst über zwei Prozent nicht hinausgehen. Gerettet wurde Wirtschaftsund Finanzminister Delors schließlich durch das verständnisvolle Verhalten seines deutschen Kollegen Gerhard Stoltenberg und auch durch den besten Willen aller europäischen Partner, der Gemeinschaft einen Schiffbruch zu ersparen. Als Ge genleistung mußte sich Frankreich zu einer stabilitätsgerechten Wirtschaftspolitik verpflichten — nicht auf Grund eines deutschen Ultimatums, sondern aus eigener Erkenntnis der europäischen und der innerwirtschaftlichen Zwänge. Zumindest vorübergehend kam es so zu einer bisher für unmöglich gehaltenen Koordinierung der deutschen und der französischen Wirtschaftspolitik.

Aus der innenpolitischen Perspektive war das französische Ringen in Brüssel ein unnötiger Energieaufwand. Denn die über-

wiegende Mehrheit der Franzosen ist davon überzeugt, daß der Franc infolge nationaler FehlleiT stungen um 8 Prozent und nicht nur um 2,5 Prozent abgewertet wurde, zumal er auch gegenüber dem Dollar fühlbar absank.

Die Verzögerung der nach der Gemeindewahl unumgänglich gewordenen Umbildung der Regierung und die sich bei dieser Gelegenheit offenbarende Unentschlossenheit Mitterrands führten zu einem deutlichen Vertrauensverlust.

Mit Erstaunen und mit Mißbilligung nahmen die Franzosen denn auch zur Kenntnis, daß man ihnen schließlich wieder denselben Premierminister servierte und - von wenigen Ausnahmen abgesehen - die gleiche Regierungsmannschaft. Sie schlossen daraus auf die Weigerung der Verantwortlichen, die begangenen Irrtümer einzusehen, und fühlten sich irgendwie betrogen.

Deswegen stößt auch die Auste- ritätspolitik in weiten Kreisen auf Skepsis, obwohl sie sachlich den

Erfordernissen durchaus anįe- paßt erscheint. Unerwartet war allerdings die heftige Reaktion auf die Beschränkung der Auslandsreisen, wobei die bitteren finanziellen Pillen fast unbeachtet blieben. Sie erklärt sich teilweise durch eine grundlegende yerän- derung der französischen Mentalität, die in den letzten Jahrzehnten Weltoffener geworden ist.

Hinzu kommt, mitunter unbewußt, eine Revolte gegen eine sich ständig ausbreitende Einmischung des Staates in die Existenz aller Bürger. Der zwangsläufig bürokratische Dirigismus erreichte in den letzten zwei Jahren einen von der Bevölkerung nur noch sehr schwer geduldeten Höhepunkt. Es ist nicht sicher, daß sich Mitterrand und seine Regierung dieser Tatsache schon bewußt geworden sind.

Die wirtschaftliche und politische Entwicklung befindet sich vorläufig in Schwebe. Viel hängt davon ab, ob die Regierung standfest bleibt, indem sie den Gewerkschaften Zugeständnisse verweigert, die den Erfolg ihres Plans in Frage stellen. Die Inflation kann nur eingedämmt werden, wenn der Bevölkerung ein dauerhafter Kaufkraftverlust aufgezwungen wird und die Löhne demnach hinter den Preisen Zurückbleiben. Auch eine Zunahme der Arbeitslosigkeit muß in Kauf genommen werden.

In Anbetracht des Einflusses der Gewerkschaften auf die Regierungspolitik und des Gewichts des kommunistischen Koalitions- . partners rechtfertigen sich ernste Zweifel an der Entschlossenheit eines überwiegend taktisch denkenden Staatspräsidenten, den wirtschaftlichen Zwängen gegenüber den politischen Erwägungen den Vorrang einzuräumen.

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