6962128-1984_51_06.jpg
Digital In Arbeit

Mitterrands sonderbare Touren

19451960198020002020

Bis vor wenigen Wochen bestand in Frankreich für die Außenpolitik aufgrund ihrer Kontinuität über die Parteigrenzen hinweg weitgehend Übereinstimmung. Diese Brücke über die Kluft zwischen Regierungslager und Opposition ist aber mittlerweile eingestürzt.

19451960198020002020

Bis vor wenigen Wochen bestand in Frankreich für die Außenpolitik aufgrund ihrer Kontinuität über die Parteigrenzen hinweg weitgehend Übereinstimmung. Diese Brücke über die Kluft zwischen Regierungslager und Opposition ist aber mittlerweile eingestürzt.

Werbung
Werbung
Werbung

Die dadurch entstandene Lage ist umso peinlicher, als weitgehend Staatschef Francois Mitterrand allein hierfür verantwortlich ist. Und er findet für sein Verhalten selbst bei denjenigen, die ihn bisher unterstützt hatten, kein Verständnis mehr — vor allem innerhalb des Außenministeriums.

Mitterrand beging nicht als erster den Irrtum anzunehmen, durch außenpolitische Erfolge seine innenpolitischen Schwächen ausgleichen zu können. Er

vergaß hierbei, daß die Bevölkerung besonders in schwierigen Perioden von ihren Verantwortlichen die ausschließliche Konzentration auf die Probleme ihres Alltags erwartet und infolgedessen zu häufige Auslandsreisen als Flucht mißbilligt.

Der Staatschef unterschätzte ferner das Risiko internationaler Initiativen, deren Erfolg von kurzer Wirksamkeit ist, deren Fehlschlag jedoch das Prestige der Regierung dauerhaft erschüttert.

Der bisher als geschickter Taktiker bekannt gewesene Mitter-

rand erlaubte sich überraschend seit September eine Serie von Fehlleistungen. Es begann mit einem geheimnisvollen längeren Besuch beim marokkanischen König, angeblich rein privat, sonderbarerweise jedoch kurz nach der Unterzeichnung des widernatürlichen marokkanisch-libyschen Unionspaktes, von den meisten anderen afrikanischen Staaten mit äußerstem Mißtrauen zur Kenntnis genommen.

Man erfuhr nie, ob Mitterrand den marokkanischen König vor dem libyschen Abenteuer warnen wollte oder sich vor allem von ihm eine Vermittlung im Tschad-Konflikt, das heißt für den libyschen Truppenabzug erhoffte. Die Algerier und Tunesier deuteten jedenfalls diesen Besuch als Rückendeckung für das marokkanisch-libysche Manöver.

Dies verpflichtete ihn zu einer

nicht gerade würdevoll überstürzten Reise nach Algerien, um die zerbrechliche Freundschaft mit diesem für den traditionellen französischen Mittelmeerraum unentbehrlichen Lande zu retten. Als Preis für dessen Gnade ließ er auf algerischem Boden die Beteiligung des französischen Außenministeriums an der 30. Jahresfeier des algerischen Widerstandes gegen Frankreich ankündigen, womit er sich in seiner eigenen öffentlichen Meinung ein erhebliches Maß an Sympathie und Wohlwollen verscherzte.

Dann begann das naiv vertrauensvolle Spiel mit dem gerissenen libyschen Präsidenten Ghaddafi (siehe auch FURCHE Nr. 48/84). Man konnte es Mitterrand selbstverständlich nicht übelnehmen, nichts zu unterlassen, um Frankreich von der nicht leichten Last seines militärischen Engage-

ments im Tschad zu befreien. Etwas mehr Vorsicht wäre aber von Anfang an angebracht gewesen.

Man brauchte den Erfolg und wollte ihn erzwingen. Deshalb flog Mitterrand zu einer Begegnung mit Ghaddafi nach Kreta und gestattete dem fragwürdigsten Politiker der westlichen Welt, dem griechischen Regierungschef Papandreou, als Vermittler dem Gespräch beizuwohnen und anschließend optimistische Unwahrheiten hinauszuposaunen.

Unmittelbar nach seiner Rückkehr verniedlichte Mitterrand die libysche Truppenstärke im Tschad und glaubte immer noch an die Vertragstreue Ghaddafis, um sich seitdem in Stillschweigen zu hüllen, weil er die Anwesenheit von mindestens 3000 und wahrscheinlich 5000 Soldaten im Tschad nicht mehr bestreiten konnte und nicht mehr weiß, wie er sich aus der Schlinge ziehen könnte. Man braucht sich nicht zu wundern, daß nach dieser totalen Blamage nur noch ein Viertel der Franzosen bereit war, Mitterrand ihr Vertrauen zu schenken.

Dies hinderte ihn nicht daran, sich kurz danach zu einem Staatsbesuch nach Syrien zu begeben, dessen Rolle im internationalen Terrorismus hinreichend bekannt ist, da es enge Beziehungen zu Libyen unterhält und'sich gegenüber Frankreich nicht gerade wohlwollend zeigte.

Diese Reise stand zwar schon lange auf dem Terminkalender und wurde mit der Notwendigkeit

gerechtfertigt, den Dialog mit allen maßgebenden Kräften in Nahost aufrechtzuerhalten. Aber bei dem gegebenen Klima konnte sie nur als Fehlleistung gewertet werden, zumal zum gleichen Augenblick in Neukaledonien eine mit Libyen verbundene Unabhängigkeitsbewegung zu revolutionären Aktionen überging und eine Krise auslöste, die die Anwesenheit des Präsidenten in seinem Lande zahlreichen Franzosen notwendig erscheinen ließ.

Stattdessen verbrachte Mitterrand mehrere Tage in Syrien, so daß die dringenden Entscheidungen für Neukaledonien zunächst einmal vertagt wurden. Außerdem stieß Mitterrand die öffentliche Meinung vor den Kopf, indem er aus schwer verständlichen taktischen Gründen Syrien von der Verantwortung für den internationalen Terrorismus freisprach. Eine neue schwere Attentatswelle in Korsika bewies unmittelbar danach, daß es den internationalen Terrorismus gibt. Die korsischen Separatisten sind unbedingt auf eine Rückendeckung angewiesen, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach in Libyen und bei den Palästinensern finden.

In all diesen Ungereimtheiten finden sich die Franzosen nicht mehr zurecht. Bezeichnend für das Klima ist die Verbitterung derjenigen französischen Diplomaten, die sich bereits vor der Wahl Mitterrands zum Sozialismus bekannt hatten, sich aber jetzt politisch heimatlos fühlen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung