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Mitterrands Weg zur Mitte

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Am 27. November 1967 sagte General de Gaulle vom jüdischen Volk, daß es selbstsicher und herrschsüchtig sei. Am 10. Februar 1975 verwendete Georges Marchais, Generalsekretär der kommunistischen Partei Frankreichs, die gleichen Worte. Diesmal waren allerdings nicht die Israelis gemeint, sondern Franęois Mitterrand, erster Sekretär der sozialistischen Partei und Mitverfasser des oft zitierten gemeinsamen Programms der Lanksparteien. Der

Chef der KPF, der am 14. Jänner infolge eines Herzinfarkts in ein Spital eingeliefert worden war, trommelte nach seiner Entlassung die Journalisten zusammen, um die verbale Eskalation gegen Mitterrand und seine Partei fortzusetzen. Diese Angriffe, begonnen am 6. Oktober des vergangenen Jathres, näherten sich damit einem Höhepunkt. Bisher hatten es die Kommunisten vermieden, den von ihnen bei Präsidentschaftswahlen zweimal unterstützten Kandidaten offen zu kritisieren. Die Sozialisten schwiegen bislang zu den Äußerungen ihrer politischen Freunde, aber die Erklärungen Marchais’ lockten die Mitarbeiter Mitterrands aus der Reserve. Doch ihre Gegenargumente klangen schwach und verlegen. Georges Marchais hatte, abgesehen von diesen persönlichen Attacken, den Sozialisten vorgeworfen, sie seien nach rechts gerückt und bereit, das gegenwärtige Regime zu unterstützen. Nun kann nicht abgeleugnet werden, daß in den Kreisen der Regierungsmehrheit gelegentlich der Wunsch laut wird, mit der ersten Linkspartei einen Dialog einzuleiten. Es wird auch der Gedanke ventiliert, Mitterrand den Posten des Ministerpräsidenten anzubieten und eine Verschiebung der Majoritätsverhältnisse in die Wege zu leiten. Justizminister Lecanuet, der bekanntlich der letzte Präsident der christlich-demokratischen Partei MRP war, denkt mit Sehnsucht an die jahrelange Zusammenarbeit zwischen Christdemokraten und Sozialisten in der IV. Republik zurück. Diese Kooperation in den verschiedensten Kabinetten vor dem Machtantritt General de Gaulles firmierte unter dem Namen „Dritte Gewalt“. Innerhalb der sozialistischen Partei ist der Wunsch, mit der Mitte zusammenzuarbeiten, ebenfalls nicht ganz verschwunden.

Die sozialistische Partei hielt Anfang Februar in der Stadt Pau einen Kongreß ab. Im Verlauf dieser Tagung schaltete Mitterrand den extrem linken Flügel seiner Partei, die Studiengruppe CERES, aus. Er bestätigte seinen Anspruch, alle Tendenzen unter einen Hut zu bringen, aber die Leitung der Partei mit niemandem zu teilen. Selbst der scharf profilierte nichtmarxistische ehemalige Sekretär der Splitterpartei PSU, Michel Rocand, muß im Vorzimmer des Exekutivbüros warten. Er gilt neben dem Bürgermeister von Lille, Pierre Mauroy, als ein eventueller Kronprinz, der den nicht mehr ganz jungen Mitterrand in absehbarer Zeit ablösen könnte. Nehmen aber die Kommunisten an, eine Untergrabung der Position Mitterrands in seiner Partei und in der Öffentlichkeit sei möglich, so irren sie gewaltig. Der erste Sekretär der Sozialisten hat im Mai 1974 das Kunststück fertiggebracht, 13 Millionen Stimmen auf seinen Namen zu vereinen. Kein anderer Politiker der linken Reichs- hälfte, weder der einst legendäre Mendės-France noch der Bürgermeister von Marseille, Gaston Def- fere, verfügen über eine solche Aus strahlung, um Millionen Wähler zu mobilisieren, die weder der sozialistischen noch der kommunistischen Partei angehören. Die Zukunft wird zeigen, ob Mitterrand die Schwächen der SP überwinden kann oder ein Opfer verschiedener Richtungskämpfe werden wird.

Die Sozialistische Partei Frankreichs hat in Pau eine Entscheidung getroffen, die weitreichender sein wird als man ursprünglich annahm. Dem revolutionären Sozialismus wurde abgesagt und dem Reformgeist im Stile der schwedischen, deutschen oder österreichischen Sozialdemokratie Vorrang gegeben. Diese Neuorientierung ist den Analysen des politischen Büros der KPF nicht entgangen. Georges Marchais und sein Team sehen sich bereits isoliert. Die Partei, jahrelang darauf eingestellt, ein Image des Dialogs zu bieten, muß wieder das unbequeme Ghetto wie vor 1965 beziehen. Die Entwicklung in Portugal hat dar- überhinaus zahlreichen Anhängern der Sozialisten die Gefahren einer intimen Zusammenarbeit zwischen Sozialisten und Kommunisten gezeigt. Wie oft hörte man in den Wahlkämpfen 1973/74 die Versicherung von, sozialistischer wie von kommunistischer Seite, in Westeuropa würden die Kommunisten die demokratischen Spielregeln respektieren. Was jedoch an Nachrichten aus Lissabon nach Paris dringt, kann die Freunde der SP keineswegs mit Stolz und Freude erfüllen. So bereitet sich in den Reihen der Partei Mitterrands ein psychologisches Klima vor, das die Zusammenarbeit mit den Kommunisten immer problematischer erscheinen läßt. Hätte Frankreich ein anderes Wahlsystem, beispielsweise wie jenes der deutschen Bundesrepublik, ließe sich der

Prozeß der Trennung zwischen Sozialisten und Kommunisten beschleunigen. Die Sozialisten sind, wollen sie Erfolge gegen Kandidaten der UDR, der Unabhängigen Republikaner oder des Zentrums erringen, nach wie vor auf die kommunistischen Stimmen im zweiten Wahlgang angewiesen. Es wird eine Änderung der Wahlgesetze erörtert, die es den sozialistischen Kandidaten gestatten würde, von den Stimmen der

Kommunisten keinen Gebrauch zu machen. Jedenfalls sind die Spannungen zwischen den beiden französischen Linksparteien eine Angelegenheit, die weit über die Grenzen des Landes hinausgeht und eine beinahe schicksalshafte Bedeutung für die Zukunft Europas haben wird. Der Weltkommunismus wie die Sozialdemokratie können am Beispiel Frankreichs ablesen, wie schwierig es ist, Feuer mit Wasser zu mischen.

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