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Mittler, nicht bloß Anhängsel

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FURCHE: Ist Wien noch die Drehscheibe zwischen Ost und West oder eine unter vielen?

HELMUT ZILK: Der Begriff Drehscheibe für Wien stimmt. Er entspricht auch der Tradition. Wien ist aber nicht eine von vielen, sondern eine besondere Drehscheibe. Wir Österreicher untertreiben oder übertreiben manchmal. Wir sollten es richtig sehen: Wien ist eine der drei großen Drehscheiben, weil wir hier einen der drei Amtssitze der Vereinten Nationen haben. Und dieser Aufgabe sind wir uns immer stärker bewußt geworden. Dafür haben wir auch Opfer gebracht. Durch Auslastung und Funktionieren von UNO-City und Konferenzzentrum zeigt sich die Notwendigkeit dieser Institutionen und Bauten.

FURCHE: Die Auslastung - vor allem des Konferenzzentrums — wird ja oft bestritten.

ZILK: Im Spätsommer war hier der Weltkongreß der Herzspezialisten mit 12.000 Gästen. Eine vorsichtige, aber einwandfreie Schätzung hat ergeben, daß die Umwegrentabilität allein auf dem Steuersektor die Jahreskosten des Konferenzzentrums erbracht hat.

Aber Drehscheibe zu sein, muß uns etwas wert sein. Wir ersparen uns damit ja auch Fernraketen und andere spektakuläre Dinge, die andere Länder auf die Beine stellen müssen. Unsere Chance ist, Mittler zu sein. Drehscheibe bedeutet ja, Mittler zu sein.

FURCHE: EG und COMECON bestimmen ihr Verhältnis jetzt direkt. Muß Wien jetzt seine Rolle neu überdenken?

ZILK: Wien als dritter UNO-Hauptsitz ist davon völlig unbetroffen. Die Welt besteht ja nicht nur aus EG und RGW.

Die Drehscheibenstellung dieser Stadt wird umso selbstverständlicher sein, je weniger sie sich als irgendein Anhängsel deklariert. Ich sage selbstverständlich Ja zu einem größeren Europa, aber ein Nein zu diesem Scharwenzeln als Adabei oder als Anhängsel einer europäischen Gemeinschaft.

Diese Stadt und dieses Land müssen sich aus dem Selbstverständnis ihrer besonderen Position Europa öffnen.

Man hört und liest oft, daß die Budapester spekulieren, in die Mittlerposition zu kommen, wenn Österreich bei der EG ist. Wenn es dazu käme, wäre das das Debakel unserer Außenpolitik und jener, die sich als Fachleute der Außenpolitik sehen.

Ich glaube nicht, daß Budapest Interesse hat, Zentralpunkt und Aushängeschild für den RGW-Raum zu sein. Und unser Selbstverständnis kann es nicht sein, Vorposten für die EG zu spielen. Nein, nein. Diese Stadt muß ihre Mittler-, ihre Drehscheibenposition behalten.

FURCHE: Auch innerhalb der EG?

ZILK: Auch innerhalb der EG. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß dieses Land, in dem Wien die Hauptstadt ist, nur unter besonderen Rahmenbedingungen EG-Mitglied werden kann. An der Neutralität darf nicht gerüttelt werden. Da gibt es keinerlei Einschränkungen und Abstriche. Wenn man das bezweckte, müßte man mit aller Leidenschaft dagegen auftreten. Wir haben allen

Grund, uns zu überlegen, in welcher Weise sich eine EG-Annäherung vollzieht — im wirtschaftlichen und auch im Umweltbereich.

FURCHE: Also keinEG-Hurra-Ruf?

ZILK: Ich warne. Wenn schon die EG-Leute die Veränderungen im Osten zur Kenntnis nehmen, um wieviel mehr müßte das das Traditionsland am Eisernen Vorhang tun. Es wäre einfach lächerlich, wenn wir nicht die ersten wären, die diese Bewegungen wahrnehmen.

FURCHE: Sieht der Wiener das auch so? Es gibt doch hier viel Kleinkariertheit.

ZILK: Da haben Sie sicherlich recht. Ich glaube, daß wir da noch viel zu tun haben, daß die Medien viel zu tun haben, die Intellektuellen, ein Bewußtsein der Mittlerrolle dieser Stadt zu wecken.

Kein EG-Vorposten

Diese Bewußtseinserweckung muß Hand in Hand gehen mit dem Versuch, die aktive Minderheit — die Grünen oder jene, die neue politische Perspektiven sehen — zu gewinnen, um die Menschen davon zu überzeugen, daß das eine Rolle ist, die jeden Wiener persönlich angeht.

FURCHE: Visionen sind da, bei Konkretisierungen beginnt die Kleingeister ei. Die erste Diskussion um die Weltausstellung — es ging um die Standortfrage (FURCHE 33, 40 und 41/1988) - ist in diesem Geist verlaufen.

ZILK: Wer Visionen umsetzen will, muß sich zunächst der Diskussion stellen. Wir haben die Diskussion in einer furchtbaren Kleingeisterei begonnen. Aber nach einem Abschnitt der Auseinandersetzung wurden durchaus ernstzunehmende und halbtragbare Lösungen gefunden, die eigentlich den Kleingeist überwunden haben.

Sie haben recht in der negativen Perspektive der Ausgangslage. Aber mit Beharrlichkeit und eigenem Standpunkt sind wir weitergekommen.

Wien wird um UNO-City und Konferenzzentrum künftig ein hochattraktives, an der Donau liegendes Messezentrum haben (siehe Graphik Seite 15).

FURCHE: Sie geben sich optimistisch. Können Sie das noch sein, wenn Sie auf Wiens Bevölkerungsentwicklung blicken?

ZILK: Mit 1,5 Millionen Einwohnern haben wir gerade die richtige Größenordnung. Wir haben eine überschaubare, menschliche Größe. Wer andere Städte kennt, weiß um diese Problematik: Paris ist wunderschön, aber nur das Zentrum; London ist herrlich, aber nur das Zentrum; New York ist wunderbar, aber nicht einmal ganz Manhattan. Wien ist als ganzes eine würdige und saubere Stadt; eine Stadt, in der die. Not, die uns gelegentlich großes Kopfzerbrechen bereitet, die Ausnahme ist. Keine Stadt von dieser Größenordnung beschäftigt sich so sehr mit Obdachlosen. Zürich ist da keine Vergleichsbasis, Zürich ist Linz. Wien hat ein humanes Maß. Probleme sind bewältigbar, Aufgaben erfüllbar. Das die These eins. Zweitens: Wir stellen einen immer stärkeren Zuzug fest, der sich auf etwa 4.000 pro Jahr — wahrscheinlich werden es mehr sein — einpendeln wird. Damit haben wir schon die 1,5 Millionen gehalten. Was die Kinderzahl betrifft, sind wir optimistisch. Erstmals gibt es bescheidene Zuwächse. Im österreichischen Geburtendurchschnitt lag Wien im Vorjahr an der Spitze. Ich kann nicht sagen, ob es so bleibt, aber es gibt Hoffnung.

Trotzdem ist unsere Situation schwierig. Der Bürgermeister und erst recht der Finanzstadtrat müssen immer ein bißchen auf die große Benachteiligung der Ostregion seitens des Bundes hinweisen. Jahrzehntelang waren wir die Benachteiligten der Bundeswirtschaftspolitik. Favoriten und Simmering ist gleich Vorarlberg: Was hat der Bund dort im Vergleich zu Vorarlberg gebaut?

Wiens humanes Maß

Wir haben eine erhöhte Arbeitslosenzahl — an die fünf Prozent und etliches, 40.000 von mir aus, bei einer Bevölkerung von 1,5 Millionen. Aber sagen wir doch den Menschen: 160.000 finden hier als Einpendler Arbeit und Brot. Das zeigt die Kraft und die Bedeutung der Bundeshauptstadt.

FURCHE: Zur Akzeptanz Wiens in Österreich...

ZILK:... die ist gut. Vor zwei Jahren gab's eine gründliche Untersuchung, die Wien als eines der beliebtesten Bundesländer ausweist. Ich weiß auch, daß Wiener Urlauber wieder sehr beliebt sind. Und unter den Menschen gibt es größte Sympathien.

Die Akzeptanz Wiens ist nicht zu messen an den lauten Schwätzern, sondern an der Bevölkerung. Wir Landeshauptleute erstehen einander recht gut. Und Alois Parti von Tirol wünscht Wien alles Gute für die Weltausstellung, schließlich hat Innsbruckzweimal Olympische Spiele gehabt.

Wir brauchen heute — in Wien und in Österreich - mehr Standort- und Selbstbewußtsein.

Mit Bürgermeister Helmut Zilk sprach Franz Gansrigier.

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