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Digital In Arbeit

Mix aus der Hexenküche

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Für den „Barometermacher“ hat ORF-Intendant Marboe tief in die elektronische Trickkiste gegriffen. Hinter den Kulissen wird weit mehr gezaubert als davor.

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Für den „Barometermacher“ hat ORF-Intendant Marboe tief in die elektronische Trickkiste gegriffen. Hinter den Kulissen wird weit mehr gezaubert als davor.

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„Die Zuseher habe ich schon gewonnen.“ Ernst Wolfram Marboe, ORF-Unterhaltungsintendant mit einem großen Herzen für Kinder, atmete schon nach der ersten Live-Sendung auf. „Simsalabim bam bum“ oder der „Barometermacher auf der Zauberinsel“, das Raimund'sche Märchen im Mar-boe'schen Gewand bekam nach der ersten Blitzumfrage der ORF-Meinungsforscher gute Zensuren ausgestellt.

Die erste Folge der Märchen-und Mitspielsendung, die dem Publikum durch eine fulminante Werbekampagne ans Herz gelegt wurde, versammelte am Sonntag, dem 1. Dezember, um 18 Uhr in FS 2 über 1,5 Millionen Zuseher alleine in Österreich vor den Bildschirmen — darunter 470.000 Kinder. In der Bundesrepublik Deutschland wollten sich gar 6,5 Millionen Zuseher das Spektakel nicht entgehen lassen. '

Damit aber hat Marboe schwarz auf weiß bestätigt, daß seine Fernsehphilosophie beim Publikum gut ankommt. Die Kritiker, die erstens das gezeigte Märchen für banal halten und zweitens ein Ubermaß an elektronischen Hilfsmitteln bei der „Barometer-macher“-Produktion orten, bekommen die erhobenen Zahlen entgegengehalten.

„Fernsehen ist ein elektronisches Medium“ verteidigt Marboe den Umstand, daß noch nie bei einer Produktion soviel elektronisch getrickst wurde. Es wurde erstmals in einem Großversuch alles das aufgeboten und ausprobiert, was die Studios des ORF an elektronischer Raffinesse bieten. „Simsalabim bam bum“ ist nicht nur ein Zaubermärchen für Kinder, sondern gleichzeitig ein Blick in die Hexenküche des Fernsehens der Zukunft.

Ob Hans Krankl mit einem Ball durch die Wüste tollt oder Christian Boesch als Quecksilber mit einer Saalkandidatin im Wiener Wurstelprater Liliputbahn fährt, oder ein dreibeiniger Elefant die Bühne kreuzt, alle diese Szenen beruhen auf technischen Tricks. Krankl war für diese Aufnahme nicht in der Wüste, Boesch nicht im Wurstelprater und der Elefant ganz alleine auf der Bühne.

Das Schloß auf der Zauberinsel existiert lediglich in einem Modell 1:10, Kulissen im herkömmlichen Sinn gibt es kaum, die Bilder von der Zauberinsel sind ebenfalls nur auf elektronischem Weg dazukopiert worden.

Ein Großteil der Produktion wird mit verfeinerter „Blue box Technik“ bestritten. Ein Hintergrund und drei hintereinanderlie-gende Spielebenen können separat aufgenommen und dann elektronisch übereinandergelegt werden. So entstehen bunte Massenszenen, ohne daß sich jemals Massen im Studio über die Bühne gewälzt hätten.

Diese Technik macht es dann auch möglich, daß sich das Saaloder Heimpublikum aussuchen kann, wer und wie eine Szene weitergespielt werden soll. Es müssen vorher nur die entsprechenden Variationen im kahlen Studio voraufgenommen und auf dem Bildplattenspieler gespeichert werden. Je nachdem wie das Publikum entscheidet, werden die Elemente in der Livesendung dann zusammengesetzt.

Interaktives Fernsehen, Fernsehen als Livespektakel unter Mitwirkung des Publikums, ist der Ausblick in die Fernsehzu-kunft, der in dieser Produktion erstmals bei Spielszenen Realität wurde.

Kritiker der Produktion wollen allerdings Marboe weniger in der Rolle des Initiators und Regisseurs als in der des „Verschwenders“ sehen. Kosten in der Höhe zwischen 60 und 70 Millionen und kolportierte weitere Budgetüberschreitungen — sind ihnen ein Dorn im Auge, auch wenn das ZDF als Koproduzent 70 Prozent der Kosten zu berappen hat.

Marboe hält dem entgegen, daß diesen Kosten immerhin sechs Stunden Sendezeit entgegenstehen, fiktive Kosten enthalten und außerdem Investitionen und Einsparungsmöglichkeiten für die Zukunft.

So benötigte man einen leistungsfähigen Computer, der beim Publikumsspiel binnen Sekunden den Sieger ermitteln kann. Wollte der ORF zuerst mit einem Partner außer Haus kooperieren, so mußte man schließlich zur Selbsthilfe greifen. Das bedeutete Kosten, aber auch eine Investition, über deren weitere Nutzungsmöglichkeit Marboe bereits nachdenkt.

Das Minitheater, das im TV-Theater-Studio die Atmosphäre des legendären Ronacher-Eta-blissements ausstrahlen soll — gepaart mit allen technischen Einrichtungen für die Publikumsbeteiligung — steht in Zukunft auch für andere Sendungen zur Verfügung.

Und die Modellbühne im Maßstab 1:10 wird künftig bei verschiedensten Produktionen helfen, teure Dekoration einzusparen, wie überhaupt die Erfahrungen des „Barometermachers“ zu Überlegungen führen sollen, wo teure Außenaufnahmen durch Tricktechnik im Studio überflüssig werden könnten.

„Die Technik steht allen Abteilungen zur Verfügung, sie sollen sie lernen und sie werden sie lernen.“ Marboe ist davon überzeugt, daß die Innovation weitere Kreise ziehen wird, auch wenn sie in nicht unerheblichem Maß stilprägend ist.

Blaue Farbe ist am Bildschirm tabu, Drehbuchautoren und Regisseure können gute Ideen nicht mehr erst während der Produktion produzieren, und die Kameraführung ist in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt — zumindest noch derzeit.

Trotz dieser Einschränkungen besteht allerdings kein Zweifel, daß es in Zukunft möglich sein wird, mit geballtem Einsatz der Elektronik das Publikum etwa bei einem Krimi mitbestimmen zu lassen, wie das Räuber-und-Gen-darmen-Spiel weitergehen soll. Der interaktive „Tatort“ könnte Realität werden.

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