6989354-1986_39_06.jpg
Digital In Arbeit

Mobilisation zum Frieden

19451960198020002020

„Die Wahrheit wird euch frei machen.“ Unter diesem biblischen Motto stand eine Tagung der Berliner Konferenz europäischer Katholiken am vergangenen Wochenende in der Elbestadt Magdeburg in der DDR.

19451960198020002020

„Die Wahrheit wird euch frei machen.“ Unter diesem biblischen Motto stand eine Tagung der Berliner Konferenz europäischer Katholiken am vergangenen Wochenende in der Elbestadt Magdeburg in der DDR.

Werbung
Werbung
Werbung

Abseits der in der DDR-Presse der vergangenen Tage mit großer Begeisterung kommentierten Staatsbesuche des nikaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega sowie des griechischen Präsidenten Christos Sartzetakis beschäftigten sich in der Elbestadt Magdeburg rund 100 Journalisten aus 20 europäischen Ländern mit dem aktuellen Friedensproblem.

Der Veranstalter der Magdeburger Tagung - die vor mehr als 20 Jahren gegründete Berliner Konferenz europäischer Katholiken (BK) mit Sitz in Ost-Berlin -steht ganz in der Linie der Friedenspropaganda der Deutschen Demokratischen Republik.

„Nur ein starker Sozialismus“ -heißt es beispielsweise in Bahnhöfen und an Fabriksmauern — „sichert den Frieden.“

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich die Berliner Konferenz bereits mit dem Frieden. Der BK gehören mittlerweile nicht nur Christen in der DDR, Mitglieder der sogenannten Ost-CDU, sondern auch Katholiken und Protestanten aus vielen westeuropäischen Ländern an. Daß Friede im ureigensten Verständnis der Berliner Konferenz in marxistischer Sicht als Ergebnis des Sieges des Sozialismus gesehen wird, versteht sich fast von selbst.

Gleichzeitig bestimmt auch ein Rückgriff auf das Evangelium und das II. Vatikanische Konzil das Friedensengagement dieser Vereinigung.

Bei der jetzigen Tagung in Magdeburg stellte die Berliner Konferenz einige Thesen über die Verantwortung des christlichen Journalisten angesichts der heutigen nuklearen Bedrohung der Welt zur Diskussion. Friede wurde mit Wahrheit und Wahrheitsfindung auf eine Ebene gestellt. Vom christlichen Journalisten forderte man nicht nur gründliche Recherche, sondern auch das Wahrnehmen eines Aufgabenbereichs, der mit „Mobilisation“ umschrieben wurde.

Diese eher militaristische Vokabel ist für die Vertreter der BK durchaus geeignet, den Zeitungsleser, den — wie es in einem Diskussionsbeitrag hieß — „nichtwissenden“ Konsumenten über die Konsequenzen bestimmter politischer Optionen aufzuklären.

Der Journalist als „Mittler“ im Friedensengagement muß sich im Verständnis der Berliner Konferenz in „konsequenten“ Aktionen gegen jene Gefahren richten, die den Frieden heute am stärksten bedrohen: „Gegen den Rüstungswettlauf, gegen die Erweiterung der Waffenarsenale, gegen die verhängnisvollen Pläne zu einer Militarisierung des Weltraumes ... Presse, Rundfunk und Fernsehen - auch die Medien der katholischen Kirche - werden ihrer Aufgabe, ja ihrer Verpflichtung nur dann gerecht, wenn sie die heute bereits weltumspannende Abrüstungsoffensive mit ihren Möglichkeiten und Kräften unterstützen.“

So gesehen, fügte sich das drängende Plädoyer des bekannten Physikers Manfred von Ardenne aus Dresden für ein Abgehen der USA von ihrem SDI-Programm nahtlos in die Tendenz der Magdeburger Tagung.

Ardenne, der nach dem Zweiten Weltkrieg von den Sowjets „abgeworben“ worden war, nahm insofern auf das Tagungsthema Bezug, als er Wahrheit als innerstes Element sowohl des politischen wie des wissenschaftlichen Lebens darstellte.

Hinsichtlich des Friedensthemas argumentierte Ardenne vom wissenschaftlichen Ethos her. Aufgrund physikalischer, nicht unmittelbar ethischer Einsichten lehnte er den „Glauben an die Wirksamkeit von SDI (Strategie Defensive Initiative)“ ab. „Wer den Glauben an SDI aufrechterhält und meint, man könne einen Verteidigungsvorhang schaffen, der ermutigt eigentlich zum atomaren Erstschlag“, so Manfred von Ardenne wörtlich. „Und dieser Glaube an SDI muß mit der physikalischen Wahrheit zerstört werden.“

Und diese Wahrheit besagt nach Ardenne, daß man wohl eine oder zehn Bahnen von Nukleargescho-ßen mittels Radars registrieren und darauf reagieren kann; bei 2000 Nukleargeschoßen auf jeder Seite sei das ein Ding der Unmöglichkeit.

Ardenne votierte eindeutig für das atomare Patt. Ethik allein hätte seiner Meinung nach nicht ausgereicht, um den Frieden in Europa in den vergangenen vierzig Jahren zu sichern. Allerdings reiche das Patt allein künftig auch nicht mehr zur Verhinderung eines Krieges aus.

Nach Ardenne genügt das derzeitige Arsenal an Interkontinentalraketen; es sei absurd, die Rüstungsspirale weiterzudrehen und Mittel, die in anderen Bereichen lebensnotwendig seien, für das fragwürdige SDI-Programm aufzuwenden.

Schließlich kam Ardenne auch nicht ganz um ethische Forderungen herum, als er von einem anderen Klima sprach, das zu einem Abbau der Kernwaffen führen könnte. Abträglich—so Ardenne -für dieses Klima sei die Ausweisung von 25 UNO-Beamten der Sowjetunion aus den USA.

Und wie soll es zum Abbau der Atomwaffen kommen? Manfred von Ardenne spricht in diesem Zusammenhang von einer „Möglichkeit, die die Natur offengelassen hat“. Man könne den Nuklearsprengstoff mit kleinen Modifikationen in Kernkraftwerken nützen. Von dieser „wunderbaren Möglichkeit der Natur“ erwartet sich Ardenne ganz neue politische Einsichten. Selbstverständlich ist er nicht für den generellen Austritt der Menschheit aus der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“ - „natürlich müssen als Folge der Lehre von Tschernobyl die Sicherheitsmaßnahmen streng verbessert werden“.

Jedenfalls müsse man in Zukunft der Eskalation der Waffen1 eine „Eskalation der Friedensbewegung“ entgegensetzen, forderte Ardenne. Dazu — wieder ein ethischer Rückgriff — müsse man gegenseitiges Mißtrauen abbauen und alles daransetzen, daß die Völker einander besser kennenlernen. Ardenne verwies auf die tiefe Angst der Sowjetunion, die im Uberfall Hitlers auf Rußland ihre Wurzel habe. <

Der Beobachter aus dem Westen hat keinen Grund, die Wahrhaftigkeit der Uberzeugungen Ardennes anzuzweifeln; wenngleich Tagungsteilnehmer aus der DDR mit Verwunderung Ardennes Auftreten „vor diesen Katholiken“ registrierten.

Allerdings kann man nicht umhin, auf die Phrasenhaftigkeit mancher Forderungen, die wie Parolen klangen, hinzuweisen: Besseres Kennenlernen — schön und gut; aber wie soll das geschehen, wenn einem schon bei der Einreise in die DDR eine Zeitung aus der Bundesrepublik Deutschland abgenommen wird? Paradoxon am Rande: Eine Zeitung, die auf der Titelseite äußerst wohlwollend den von der DDR verfügten Stop des Asylantenstroms in Richtung Bundesrepublik Deutschland registrierte.

Was brachte die Magdeburger Tagung für den Journalisten? Man verwies ihn auf eine noch zu schaffende „neue Weltinformationsordnung“, deren Zustandekommen bis jetzt von den USA und anderen westlichen Ländern „hintertrieben“ werde.

Die Technik habe die grenzüberschreitende Verbreitung von Informationen ermöglicht und bedrohe damit die „politische Integrität“, die „ökonomische Stabüi-tät“ verschiedener Länder.

Mit der Forderung nach einer neuen Weltinformationsordnung erklärt man gewissermaßen die inneren Angelegenheiten eines jeden Staates für sakrosankt; die Mauer für jeden freien Informationsfluß ist perfekt. Das eigentliche Problem, vor dem Berichterstatter — und nicht nur christliche - heute stehen, ist ja die Tatsache, daß es keinen ungehinderten Nachrichtentransport zwischen Ost und West gibt.

Trotzdem ist ein Erfahrungsaustausch auf Foren wie dem der Berliner Konferenz nicht sinnlos: Es geht ja dabei nicht nur um unterschiedliche Systeme in Konkurrenz zueinander, sondern um Menschen, die einander bestimmte Anliegen vortragen. Und damit besteht auch die Chance zur Lösung offener Konflikte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung