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Mobilität in Österreich

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Vor kurzem erschien eine überaus informative und auf viel Datenmaterial aufbauende Untersuchung von Karl Aiginger über „ Wirtschaftliche Mobilität in Österreich”. Ihr kommt in einer Zeit, in der die bisherige Wirtschaftspolitik kaum mehr greift und Umstrukturierungen dringend notwendig werden, besondere Bedeutung zu. Ein breiter Teil der Ausfuhrungen ist der Mobilität der A rbeitskraft gewidmet.

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Vor kurzem erschien eine überaus informative und auf viel Datenmaterial aufbauende Untersuchung von Karl Aiginger über „ Wirtschaftliche Mobilität in Österreich”. Ihr kommt in einer Zeit, in der die bisherige Wirtschaftspolitik kaum mehr greift und Umstrukturierungen dringend notwendig werden, besondere Bedeutung zu. Ein breiter Teil der Ausfuhrungen ist der Mobilität der A rbeitskraft gewidmet.

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Aufgrund von Nachfragesättigungen in vielen Bereichen und zunehmendem ausländischen Konkurrenzdruck wird offenkundig, daß eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation vor allem dann erreicht werden kann, wenn Veränderungen auf der Angebotsseite Platz greifen.

Aus dieser Sicht wird auch verständlich, warum der Ruf nach einer Strukturänderung in der Wirtschaft immer lauter wird. Wer aber Strukturverbesserungen verlangt, tritt letztlich für eine Umorientierung der Anstrengungen innerhalb der Wirtschaft ein: Kapazitäten müssen aus Bereichen mit langfristig anhaltenden Absatzproblemen in Sektoren mit überdurchschnittlichen Erfolgschancen umgeleitet werden. Strukturverbesserung bedeutet also Mobilität der Produktivkräfte.

Spricht man von der Mobilität der Produktionsfaktoren, so fragt man vor allem nach der Beweglichkeit der beiden Faktoren Arbeit und Kapital: Wie leicht läßt sich Kapital von einem Unternehmen zum anderen transferieren? Und wie leicht ist Arbeitskraft bereit und imstande, von einem Einsatzort oder Bereich zu einem anderen überzuwechseln?

Obwohl internationale Vergleiche aufgrund der Datenlage eher schwierig sind, läßt sich doch eine Aussage über die wirtschaftliche Gesamtmobilität in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern machen. Die größte Beweglichkeit tritt in den USA auf. Dann kommt die Bundesrepublik Deutschland; Österreich liegt, was die Mobilität anbelangt, noch hinter der BRD.

Dementsprechend weist Österreich auch Anpassungsdefizite in der Industriestruktur auf: Überaus hoch sind die Anteile der Grundstoffindustrie und des konventionellen Finalgüterbe-reichs. Beide kommen zunehmend unter internationalen Konkurrenzdruck.

Wie gut sind nun aber die Voraussetzungen für eine Veränderung dieses Zustand s?'

Die Untersuchung der Mobilität in Österreich zeigt folgendes: Zwei Regionen sind es vor allem, die Arbeitskraft besonders stark anziehen: Der Großraum Wien im Osten und die westlichen Bundesländer. Kärnten und Burgenland - beide eher von Arbeitslosigkeit betroffen - verzeichneten hingegen eher Abwanderungen. In den sechziger Jahren waren vor allem Inländer von Wanderungen betroffen, während im vergangenen Jahrzehnt Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt durch den Einsatz von ausländischer Arbeitskraft beseitigt werden konnten. In diesem Zeitraum nimmt die regionale Mobilität der österreichischen Arbeitskraft ab.

Angestiegen ist jedoch eine andere Form der regionalen Mobilität. Sie betrifft vor allem Inländer: 1977 pendelten rund 30 % der Beschäftigten. Das bedeutet, daß fast jeder dritte österreichische Arbeiter und Angestellte außerhalb seines Wohnbezirks arbeitet.

1971 betrug die entsprechende Zahl noch 26 % und zehn Jahre davor sogar nur 19 %. Allerdings ist auch bezüglich des Pendeins festzustellen, daß die BRD höhere Werte aufweist.

Somit läßt sich festhalten, daß in Österreich die Tendenz zu langfristigen örtlichen Veränderungen über größere Distanzen (Wanderungen) abnimmt. Die kürzeren Bewegungen ohne Änderung des Wohnsitzes hingegen steigen deutlich an. International gesehen dürfte der österreichische Arbeitnehmer jedoch örtlich eher weniger mobil sein als die deutschen Arbeitnehmer.

Anders ist die Situation bei der beruflichen Mobilität, also dem Wechsel von einer Berufsgruppe zur anderen. Insbesondere scheint es einem relativ hohen Anteil von Arbeitern möglich zu sein, in eine selbständige Tätigkeit überzuwechseln.

Relativ schwierig dürfte jedoch der Ubergang vom Status des Arbeiters zu höheren Angestelltenpositionen sein. Diese Durchlässigkeit wird sich in Zukunft noch verschlechtern: Die steigende Qualifikation der Schulabsolventen wird die Einstellung relativ hoch qualifizierter Angestellter ermöglichen und damit den innerbetrieblichen Aufstieg beeinträchtigen.'

Relativ groß ist in Osterreich auch die Fluktuation, also der Arbeitsplatzwechsel ohne örtliche Veränderung. Hier entsprechen die österreichischen Werte durchaus jenen der BRD.

Kennzeichnend für diese Art der Mobilität ist der Umstand, daß sie mit zunehmendem Alter des Dienstnehmers sinkt: In der Altersklasse der 25-30jäh-rigen wechselten im Jahre 1970 rund 30 Prozent den Arbeitsplatz, bei den über fünfzigjährigen hingegen betrug dieser Anteil nur 8 Prozent.

Ein weiteres kennzeichnendes Merkmal ist die weit überdurchschnittlich hohe Fluktuationsrate bei den unteren sozialen Schichten: Fast 20 Prozent der Volksschüler gegenüber nur rund 3 Prozent der Mittelschüler wechseln in einem Jahr ihren Arbeitsplatz.

Ein Uberblick über diese Erscheinungen macht deutlich, daß in Österreich die Beweglichkeit der Arbeitskraft vergleichsweise gering ist und vor allem die jüngere und die weniger qualifizierte Arbeitskraft betrifft. Diese Tatsache findet ihren Niederschlag auch in der eher langsamen Strukturverschiebung in der österreichischen Industriebeschäftigung.

Gilt es also im Interesse einer Umstrukturierung unserer Wirtschaft eine Erhöhung der Mobilität der Arbeitskraft zu fördern? Sicherlich wird es notwendig sein, etwas gegen die Versteinerung von Wirtschaftsstrukturen zu unternehmen, die de facto Pragmatisierung am Arbeitsplatz nicht zur Norm werden zu lassen.

Gleichzeitig aber müssen wir uns darüber im klaren sein (und darauf weist Aiginger auch hin), daß Mobilität ja durchaus nicht nur Vorteile bringt. Man muß sich etwa vor Augen halten, welche sozialen Kosten zum Beispiel mit dem Pendeln zum Arbeitsplatz über weitere Strecken verbunden sind: wenig Zeit für die Familie, Entwurzelung aus dem lokalen Milieu und Beeinträchtigung von lokalen Gemeinschaftsaktivitäten.

Weite Gebiete mit natürlich gewachsenen Ortschaften verwandeln sich in „Schlafstädte”. Die meisten Aktivitäten gehen zurück, denn tagsüber sind fast nur Frauen, Kleinkinder und alte Menschen in diesen Gebieten anzutreffen.

Gerade die verkehrsmäßig benachteiligten Gebiete im Einzugsbereich von Ballungsräumen erfahren langfristig durch Auswandern der Jugend eine Auszehrung, die das Uberleben dieser Regionen gefährdet.

Eine weitere Förderung von Mobilität würde eine weitere Verschlechterung bedeuten. Es ist also angebracht, die beiden Seiten der Medaille zu sehen. Sicherlich bedarf unsere Wirtschaft einer erhöhten Beweglichkeit, um notwendige Anpassungsprozesse zu ermöglichen. Diese Mobilität sollte aber vor allem wegen der unübersehbaren sozialen Begleitkosten nicht vornehmlich dem Arbeitnehmer zugemutet werden. Besonders dann, wenn es um Ortsveränderungen geht.

Gerade diesbezüglich besteht häufig ein zusätzliches Problem: Die von Pendelbewegungen am schwersten betroffenen Gebiete sind meistens jene, in denen Industriezweige mit strukturellen Absatzschwierigkeiten beheimatet sind. Hier bedürfte es einer gezielten Förderung, die sich nicht darin erschöpfen sollte, durch Subventionen einen unhaltbaren Zustand möglichst lange aufrechtzuerhalten. Vielmehr ginge es darum, einen gezielten Vorgang der Umstellung auf erfolgversprechende Produkte zu begünstigen. Um dies zu erreichen, sollte Mobilität in zweifacher Hinsicht gefördert werden: Die Arbeitskraft sollte insofern beweglicher gemacht werden, als sie durch höhere Qualifikation in vielfältigerer Form eingesetzt werden könnte. Das würde Mobilität am gegebenen Arbeitsort bedeuten und die Notwendigkeit des Ortswechsels reduzieren.

Dies trifft allerdings nur dann zu, wenn gleichzeitig die unternehmerische Mobilität erhöht wird. Diesbezüglich sind die Voraussetzungen in Osterreich jedoch eher ungünstig. Gerade der unternehmerischen Initiative und der Mobilität des Kapitals stehen eine Fülle von Hindernissen entgegen, die unbedingt abgebaut werden sollten. Sie zu beseitigen, wäre eine dringende Aufgabe der Wirtschaftspolitik.

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