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Modell Bad Kleinkirchheim

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1975 gelang es Österreich noch, 91,3 Prozent des Handelsbilanzsaldos durch den Reisebilanzsaldo abzudecken. Im Juli 1976 sank der Aktivsaldo aus dem Reiseverkehr um ganze sieben Prozent. Die Nächti-gungszahlen stagnierten in großen Teilen Österreichs, in Oberösterreich und in Kärnten waren die größten Rückgänge zu verzeichnen.

In Oberösterreich versucht Doktor Aldo Debene, Landesfremdenverkehrsdirektor, früherer Kurdirektor in Bad Ischl, ein Mann voller Initiative, die Ursachen des hohen Näch-tigungsrückganges von sechs Prozent für sein Land zu analysieren: Die deutschen Ersatzkrankenkassen verweigern (Teil-)Zuschüsse bei Auslandsaufenthalten. Auch Österreichs Krankenkassen schalten auf die Sparwelle, was Oberösterreich, das 22 Prozent seiner Übernachtungen aus den sieben Heilbädern bezieht, hart trifft. Weiters trat am 1. März ein neues Privatvermietergesetz in Kraft, das die Vermietungszulassung mit qualitativen Auflagen verbindet. In Deutschland herrscht Arbeitsplatzunsicherheit bei den unteren Einkommensschichten und die Beschränkung auf die notwendigen Ausgaben (das Geld für einen Benzintank, der bis nach Österreich reichte, langt eben heute nur noch für die halbe Strecke, ergo...)

In einer Aussendung des Bundesverbandes österreichischer Kur- und Fremdenverkehrsdirektoren — Landesgruppe Kärnten — versucht Pressereferent Peter Prägant die Ursachen der starken Verluste in Kärnten (über 10 Prozent) zu ergründen: Viele Urlauber der unteren Einkommensschichten und von kinderreichen Familien blieben teils zu Hause oder in der näheren Umgebung. Kärnten, das fast 50 Prozent der Campinggäste in Österreich beherbergt, ertrank in sintflutartigen Regenfällen ab Mitte Juli. Vor allem auf die Sommersaison festgelegt, mangelt es an Heizmöglichkeiten. Kärntens Verkaufssystem krankt an den Egoismen einzelner Vermieter und Funktionäre. Die Mautgebühren nach Kärnten sind dem Besucherstrom nicht zuträglich, weiters die hohen Kosten für Nebenleistungen und die mangelnde Fremdenver-kehrsgesinnung, die sich vor allem im Fehlen von Schlechtwettereinrichtungen und Privatinitiativen ausdrückt, schließlich die Währungsparitäten in Europa.

„Nach dem derzeitigen Buchungsstand für die Resttage dm September und den Monat Oktober besteht kein Grund zu jubilieren. Jene Orte oder Gebiete, die für diese Zeit ein akzeptables Wetter, die entsprechenden Freizeiteinrichtungen (Bademöglichkeiten, Veranstaltungen, Schlechtwetterprogramme) bieten können, werden auf jeden Fall dm Rennen um den Gast die Gewinner sein. In Kärnten gibt es wenige Orte wie Bad Kleinkirchheim, eventuell noch Warmbad Villach, die diese Erwartungen der Urlauber erfüllen können.“

Prägant hat das beste Beispiel für eine positive Organisation vor der eigenen Türe in Bad Kleinkirchheim: 58 Prozent Bettenauslastung (gegenüber 20 Prozent in Kärnten allgemein und 25 Prozent in Österreich), 95 Prozent aller Zimmer mit Bad oder Dusche, vorbildliche Frei-zeiteinrichtungen und Serviceleistungen, eigene Chartergesellschaft, die die Fluggäste aus Deutschland einholt, Autobus mit Nulltarif im Ort: das bedeutete In 20 Jahren („vorher gab's noch gar kein Licht“) eine Milliarde Schilling Investitionen, weitere 200 Millionen in nächster Zukunft für die Erweiterung des Thermalbades und Erschließung neuer Skigebiete. Hotels — auch der weiteren Umgebung — schlössen sich zu betriebsähnlichen Interessengruppen zusammen, und gestalten den gemeinsamen Einkauf, bilden das Personal gemeinsam aus, stellen Kosten- und Betriebsvergleiche an, legen ein gemeinsames Angebot auf, besitzen eine zentrale Buchungs- und Verkaufsstelle und koordinieren Werbung und Verkaufsförderung.

Es gibt in Österreich bereits viele solcher Interessengemeinschaften, die Supermärkte (auch die Nebenausgaben der Gäste bleiben so „in der Familie“), Reisebüros, jegliche Freizeit- und Sportzentren ihr Eigen nennen und so dem Gast immer gleichbleibendes Service zum gleichen Jahrespreis an verschiedenen Orten bieten, so daß der Gast nach Schweizer Vorbild (75 Prozent der deutschen Gäste reisen mit Pkw an) auch ein volles Ausflugsprogramm mit Bons für warme Mahlzeiten (ohne das berüchtigte Lunchpaket) genießen und gleichzeitig die angeschlossenen Hotels und Restaurants kennenlernen kann.

Der Fremdenverkehr ist eine gigantische Industrie geworden, die eine konzentrierte Marktführung des vorhandenen meist zersplitterten Fremdenverkehrsangebotes erforderlich macht. Die Österreichische Fremdenverkehrswerbung hat auf diesen Gebieten in den letzten Jahren viel geleistet und sich noch große Aufgaben gestellt, vor allem das Heranziehen der höheren Mittelschichten. Das ist zum Teil schon in den Beneluxstaaten und Überseege-bieten gelungen und sollte auch in Deutschland gelingen, wenn die österreichischen Fremdenverkehrsbetriebe bereit sind, international qualitativ mitzuziehen.

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