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Digital In Arbeit

Moderne Prügelknaben

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Viele Leute sind gegenwärtig in Frankreich zornig: die Weinbauern im Süden des Landes, die mit Kampfmaßnahmen drohen, weil sie nicht mit dem Vorschlag der Regierung einverstanden sind, die Einfuhr italienischer Weine nur vorübergehend zu stoppen; die Rechtsanwälte, deren 3000 im feierlichen Schwarz ihrer Roben vor dem Justizministerium aufmarschierten und gegen die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes über die Ehescheidungen protestierten, die Arbeitnehmerorganisationen, die einige unangenehme Streiks dekretierten. Zu diesen in Unruhe versetzten Berufsständen hat sich nun eine Gruppe gesellt, von der man nicht annahm, daß sie auf der Straße demonstrieren oder ihre Arbeit niederlegen werde. Die Unternehmer Frankreichs sind einer Situation müde geworden, die ihnen immer größere Lasten und Pflichten aufbürdet.

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Viele Leute sind gegenwärtig in Frankreich zornig: die Weinbauern im Süden des Landes, die mit Kampfmaßnahmen drohen, weil sie nicht mit dem Vorschlag der Regierung einverstanden sind, die Einfuhr italienischer Weine nur vorübergehend zu stoppen; die Rechtsanwälte, deren 3000 im feierlichen Schwarz ihrer Roben vor dem Justizministerium aufmarschierten und gegen die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes über die Ehescheidungen protestierten, die Arbeitnehmerorganisationen, die einige unangenehme Streiks dekretierten. Zu diesen in Unruhe versetzten Berufsständen hat sich nun eine Gruppe gesellt, von der man nicht annahm, daß sie auf der Straße demonstrieren oder ihre Arbeit niederlegen werde. Die Unternehmer Frankreichs sind einer Situation müde geworden, die ihnen immer größere Lasten und Pflichten aufbürdet.

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Die Beziehungen zwischen dem Regime und den Repräsentanten einer freien Wirtschaftsordnung haben sich verschlechtert. Man kann nicht behaupten, daß die Fabriksbesitzer ein gutes Image bei der Bevölkerung haben. Sie seien, so wird von allen Seiten wiederholt, die Alleinverantwortlichen für die Rezession, die Arbeitslosigkeit und die Inflation. Untersucht man die ständigen Angriffe der linken Union gegen die Kapitalisten, erhält man das folgende Klischee: Da sitzt also der Unternehmer in einem prächtig ausgestatteten Büro und ist nur von dem Gedanken bewegt, wie er am besten seine Arbeiter und Angestellten ausbeuten, den Fiskus betrügen und gewaltige Beträge in die eigene Tasche stecken könne. Die Gewinne, die rechtens den Arbeitnehmern gehörten, würden mit bildhübschen Sekretärinnen an mondänen Orten verpraßt. Der freie Unternehmer gilt überdies als eine Art von Fossil, das nicht mehr in die Epoche moderner Sozialgestaltung paßt. Noch ärger wird mit den Managern der viel verdächtigten und bestgehaßten „multinationalen Gesellschaften“ verfahren. Zu den angeführten Momenten kommt eine weitere Verdächtigung, die man als Verschwörungstheorie bezeichnen kann. Da treffen sich in den Hochburgen des Monopolkapitalismus, zum Beispiel in Amsterdam, Frankfurt oder Zürich die leitenden Persönlichkeiten von Shell, Uni-lever, Nestle, Philips und Siemens, um auszuhecken, wie man die arbeitenden Massen in absoluter Sklaverei halten könne. Waren es einst die Jesuiten, die Freimaurer oder die Weisen von Zion, die angeblich derartige übernationale Pläne entwik-kelten, um die Nationen gefügig zu machen, sind es jetzt die Generaldirektoren und ihre Führungsteams, die scheinbar nichts anderes zu tun haben, als derlei abscheuliche Verbrechen vorzubereiten und durchzuführen.

Wenn Frankreichs Staat mehr Geld braucht, wird in erster Linie die Steuerschraube bei den Betrieben angezogen. Es ist paradox: auf der einen Seite sollen die Unternehmen immer größere Beträge an den Fiskus abliefern, auf der anderen Seite gilt es als Skandal, wenn ein Industrieunternehmen Gewinne zu verzeichnen hat. Die Notwendigkeit, Investitionen aus eigener Kraft zu finanzieren, wird als nebensächlich abgetan. Hat schon ein französischer Untersuchungsrichter unerhörte Vollmachten, so werden diese von den Vollmachten der Steuer-

inspektoren übertroffen, die höchst willkürlich vorgehen, ihre Enqueten mit brutalen Mitteln durchführen und oft Abmachungen,

die zwischen der Finanzbehörde und den Betrieben getroffen wurden, in Frage stellen. Die Unternehmen haben mit Vorschriften zu kämpfen, die, von subtilen Technokraten vorgeschrieben, das tägliche Leben am Arbeitsplatz belasten. Hiefür ein kleines Beispiel: künftighin müssen ausländische Arbeitskräfte einen Vertrag erhalten, der sowohl in französischer wie in der Muttersprache des neu Eingestellten auszufertigen ist. Im Falle eines Konfliktes gilt vor Gericht jedoch nicht der französische Text, sondern der fremdsprachige. Den gerichtlich beeideten Dolmetschern wird damit ein zusätzliches Einkommen gesichert. Doch welche bürokratische Arbeit für die Betriebe! Finden die Unternehmer schon bei der Staatsführung wenig Verständnis, müssen ihre Beziehungen zu den Arbeitnehmerorganisationen als katastrophal bezeichnet werden. Die französischen Gewerkschaften sind, im Gegensatz zu den Gewerkschaften im deutschen Sprachraum, sehr politisiert und, da die Konkurrenz mitspielt, nur zu oft gezwungen, die eigenen Forderungen hinaufzulizitieren. Die häufig genannte Sozialpartnerschaft oder die von den Gaullisten angestrebte Assoziierung von Arbeit und Kapital ist im wesentlichen eine Utopie geblieben. Da in verschiedene Gewerkschaftsorganisationen die extreme Linke eingesickert ist, werden soziale Konflikte grimmiger und

mit mehr Nachdruck geführt als vor zehn oder zwanzig Jahren. Es gibt natürlich Betriebe, in denen ein gutes Verhältnis zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung herrscht; diese gelten als leuchtendes Vorbild. In diesem Zusammenhang muß jedoch auch den Firmengewaltigen gesagt werden, daß sie vielfach einem gewissen Paternalismus huldigen und einem konstruktiven Dialog gern ausweichen. Dazu kommt, daß die politischen Parteien den Betrieb als ein Schlachtfeld ansehen, auf dem die Theorien des Neoliberalismus und der freien Marktwirtschaft jenen aus der marxistisch-leninistischen Schule gegenüberstehen. Die kommunistische Partei hat an die 8000 Zellen in den Unternehmen aufgebaut, die sozialistische Partei rühmt sich, 650 Arbeitsgruppen zu besitzen und selbst die Gaullisten sind dazu übergegangen, ihre Aktivität in die Fabriken zu verlegen. So vermochte die UDR 500 Zirkel unter dem Titel A. O. P. (Groupes d'Action Ouvriere et Professionelle) zu bilden.

Selbst die Person des Unternehmers ist bedroht. Junge linksorientierte Untersuchungsrichter haben im vergangen Jahr bei tödlichen Arbeitsunfällen nicht etwa den zuständigen Ingenieur für das Sicherheitswesen verhaften lassen, sondern den Generaldirektor oder den Besitzer, da ihrer Meinung nach der Klassenkampf auch im Betrieb geführt wird. In der Regel wurden die Verhafteten nach einigen Tagen von der Anklagebehörde wieder freigelassen, aber einige der so Behandelten erhielten einen „Knacks“, der sie für den Rest ihres Lebens gezeichnet hat. Nicht nur einmal besetzte eine streikende Belegschaft das Werk und sperrte den Unternehmer für Stunden, manchmal sogar für Tage in sein Büro ein. Auch die Tatsache, daß berufsmäßige Gangster dazu übergehen, wohlhabende

Industrielle zu entführen und hohe

Lösegelder zu erpressen, ist nicht

dazu angetan, die Industriellen zu beruhigen.

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