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Möglichst viel Freiheit für den Wissenschafter

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Österreichs Wissenschaftsministerium arbeitet an einer neuen Organisation des Forschungswesens. Die ÖVP lud, um die Erfahrungen der Nachbarn hieftir auszunützen, Experten des Forschungsmanagements ein, die über ihre Systeme berichteten. Wie es in der Bundesrepublik Deutschland aussieht, berichtete der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. Heinz Maier-Leibnitz.

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Österreichs Wissenschaftsministerium arbeitet an einer neuen Organisation des Forschungswesens. Die ÖVP lud, um die Erfahrungen der Nachbarn hieftir auszunützen, Experten des Forschungsmanagements ein, die über ihre Systeme berichteten. Wie es in der Bundesrepublik Deutschland aussieht, berichtete der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. Heinz Maier-Leibnitz.

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Forschung wird in der BRD überwiegend an den Hochschulen betrieben, deren Etat über zwölf Milliarden DM beträgt, wovon etwa vier Milliarden in Forschungsaktivitäten fließen. Die Max-Planck-Gesellschaft mit rund 700 Millionen ist ganz der Forschung gewidmet. Ferner gibt es Forschung an den Großforschungseinrichtungen wie der Gesellschaft für Kernforschung Karlsruhe, der Kernforschungsanlage Jülich, dem Deutschen Elektronensynchrotron Hamburg, bei der Frauenhofer- Gesellschaft, die wohl in manchem der Boltzmann-Gesellschaft ähnelt, bei der Ressortforschung des Bundes und einer Anzahl anderer Einrichtungen.

Nach einer Periode starker Expansion vor allem der Hochschulen und stark anwachsender Wissenschaftsförderung haben wir heute einen realen Rückgang, nicht der Studentenzahlen, aber der Etats, aus denen die Forschung lebt. Zugleich hat sich die öffentliche Diskussion belebt, mit Forderungen nach mehr Durchsichtigkeit der Forschung, mehr Hinlenkung auf frühe Anwendung, mit dem Ruf nach effizienter Verwendung der Mittel und nach Kontrolle. Für die Hochschulen wird eine Priorität der Lehre verlangt, zum Teil auf Kosten der Forschung. Das Prinzip, daß Forschung und Lehre an den Hochschulen gemeinsam betrieben werden müssen, ist allerdings nicht ernsthaft in Frage gestellt Eine Auswanderung der Forschung aus den Hochschulen ist nicht im Gange, wenn es auch sicher dort Behinderungen der Forschung gibt.

Das erste Leitmotiv derForschungs- förderung lautet: „Höchste Qualität vor allem.“ Allerdings: Spitzenleistungen kommen nicht isoliert zustande. Es bedarf einer breiten Schicht von Forschern, die auf verschiedenen Gebieten bis an die Grenzen der Kenntnis vorgedrungen sind, indem sie mindestens kleine Beiträge zum Fortschritt leisten. Genau dieselben Personen, Spitzenkräfte und andere, braucht man aber auch, um den Stand der Kultur an den Hochschulen präsent zu haben, um die Lehre durchzuführen und zu erneuern, um den Nachwuchs auszubilden. Schließlich braucht man dieselben Personen, um die,. Wissenschaft-im öffentlichen Leben zur Geltung zu bringen und um ihre Ergebnisse der technischen oder politischen Anwendung zugänglich zu machen.

Durch die Kopplung von Lehre und Forschung wird die Forschungskapazität weitgehend durch die Personen bestimmt, die für die Lehre an den Hochschulen tätig sind. Dies ist in den meisten Fällen nicht unvernünftig, denn viel Lehre heißt, daß viele Personen gebraucht werden. Dann soll es aber auch Personen geben, die das Gebiet durch Forschung befruchten.

Ein großes neues Gebiet fördert man am besten dadurch, daß man dafür sorgt, daß es für gute Wissenschafter attraktiv ist, nicht dadurch, daß man versucht, ihnen Programme vorzuschreiben. So hat man bei uns die Anwendungen der Kernphysik begründet, später wieder die Immunologie ausgebaut. Zur Zeit ist ein großes Anliegen die empirische Sozialforschung. Hier fehlt es weltweit an Forschungseinrichtungen.

Natürlich wird sich niemand eine planlose Forschung wünschen. Aber es ist legitim, auch bei der Planung vom einzelnen Forscher auszugehen. Er weiß, was er kann, mit wem er Zusammenwirken will. Er will etwas Nützliches leisten, es handelt sich um den Erfolg seines Daseins. Er ist ein Staatsbürger wie andere, er macht sich dieselben Gedanken wie diese über die möglichen Folgen seines Tuns; es gibt keinen wirklichen Grund, seinen Motiven zu mißtrauen, etwa zu meinen, daß er seinen Vorteil vor die Sache setzte oder unheilbar betriebsblind sef. Außerdem: Er weiß am besten, was möglich ist. Nur ihm kann man Zutrauen, daß er auf etwas unerwartet Neues stößt, durch oft ganz undurchsichtiges Zusammenwirken von Instinkt und scheinbar unklaren Aktivitäten.,, a-j];3Vv; ti: ,HÖ fli idU SS.SC

Ein Ministerium oder-ekvAmtkann natürlich koordinierend und helfend wirken. Aber der Versuch, eine überlegene Sachkompetenz dort aufzubauen, muß scheitern. Auch ein sehr guter Forscher entfremdet sich schnell vom Fortschritt, wenn er in einem Amt sitzt. Hier sind Beratungsgremien, möglichst mit nicht zu lang dauernder Mitgliedschaft, bei weitem vorzuziehen.

Der Hochschule als der Heimat der Forscher obliegt es, die Arbeitsbedin gungen für Forschung zu schaffen, die Forscher und ihre Mitarbeiter personell zu betreuen, ihnen einen Anteil am Etat, an Raum, auch Werkstattbenutzung zu gewähren und den Umfang von Pflichten außerhalb der Forschung zu regeln. Dies geschieht je nach Hochschule und Fach in sehr verschiedener Weise. Das eine Extrem ist, daß silles für alle gleich geregelt und verteilt wird, das andere, daß die Förderung nach Bewährung oder Erfolg stattfindet, mit einer Startchance für neu in die Forschung Eintretende. Dieses zweite Extrem wird selten verwirklicht, weil es mit einer Beurteilung verbunden werden müßte. Beurteilung durch Kollegen am Ort ist aber immer schwierig.

Zur Planung der Forschung an den Hochschulen wird im allgemeinen die Initiative der einzelnen Personen oder Gruppen anerkannt, auch wenn Forschungsmittel von Gremien verteilt werden. Eine einzelne Forschungsplanung der Hochschule mit Setzung von Prioritäten für die laufende Arbeit gibt es selten, und wenn sie nicht auf die Personen und ihre Wünsche Rücksicht nimmt, ist sie meistens nicht erfolgreich.

Allerdings müssen die Hochschulen ganz entscheidende langfristige Pla- nüngsaufgaben erfüllen, die bei Berufungen, bei Neuschaffung von Lehr- stühlen ufid Ihrer AusStattung entstehen. Die • Verantwortung der Hochschulen ist hier, gestiegen, ohne daß deshalb ein neues Instrumentarium für diese Art der Planung geschaffen worden wäre. Man wird sogar vermuten, daß durch die Abschaffung der alten Fakultäten der Gesichtskreis der Berufungskommissionen eher enger und die Kontrolle über sie geringer geworden ist. Hier liegt vielleicht ein schwacher Punkt unseres Systems.

Der Einfluß der Kultusministerien auf die Hochschulen ist nicht nur in dieser Hinsicht nach wie vor beträchtlich. Die Verwaltungsstruktur und die Kontrolle der öffentlichen Mittel sind heute so kompliziert geworden, daß schon dadurch fast unvermeidlich eine Beherrschung entsteht. Anderseits besteht ein eher wohltuender Einfluß der Ministerien darin, daß oft nur sie, durch unabhängige Wissenschafter beraten, gegenüber einer Gleichverteüungs- und Beharrungstendenz innerhalb der Hochschulen Neues ermuntern oder durchsetzen, oder zwischen Altematiworschlägen entscheiden können. Diese nicht einschränkende, sondern fördernde Wirkung der Ministerien betrifft auch die Mitwirkung des Bundes. Von.dort wird eine ganze Anzahl von Gebieten gefordert, die an den Hochschulen sonst nicht leicht zum Zug kämen, etwa die nukleare Festkörperforschung oder die Meeresforschung.

Entscheidend für die Forschungsförderung ist natürlich die Bewilligung der Mittel auf Vorschlag der Ministerien durch das Parlament. Die Aufstellung des Haushalts ist ein komplizierter Prozeß, bei dem viele Kräfte Zusammenwirken. In den letzten Jahren dominierte der Einfluß der Finanzminister so sehr, daß sachliche Gesichtspunkte nur in sehr geringem Umfang berücksichtigt wurden. Ob es trotz finanzieller Einschränkungen in der Zukunft möglich sein wird, zu einer vernünftigen Verteilung der Mittel zu kommen und wichtige neue Aufgaben nicht von vornherein zu unterdrücken, läßt sich heute noch nicht ab- sehen.

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