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„Möwe” gelungen, Urfaust daneben

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Ein Stück, das bei der Uraufführung Empörung auslöste, heute Bestandteil des Welttheaters, die Komödie „Die Möwe” von Anton Tschechow, jetzt in einer Neuinszenierung im Burgtheater, wurde erst zwei Jahre nach der ersten Wiedergabe 1898 von Stanislawsky zu „triumphalem” Erfolg geführt. Dennoch hatte er das Stück falsch interpretiert, Tschechow war nicht damit einverstanden. Stanislawsky bot Stimmungstheater, etwas Weinerliches, Rührseliges, mit besonderem Einsatz der Geräuschkulisse. Tschechow haßte das. Die Inszenierung durch den aus Österreich stammenden, in Polen lebenden Erwin Axer ist davon frei.

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Ein Stück, das bei der Uraufführung Empörung auslöste, heute Bestandteil des Welttheaters, die Komödie „Die Möwe” von Anton Tschechow, jetzt in einer Neuinszenierung im Burgtheater, wurde erst zwei Jahre nach der ersten Wiedergabe 1898 von Stanislawsky zu „triumphalem” Erfolg geführt. Dennoch hatte er das Stück falsch interpretiert, Tschechow war nicht damit einverstanden. Stanislawsky bot Stimmungstheater, etwas Weinerliches, Rührseliges, mit besonderem Einsatz der Geräuschkulisse. Tschechow haßte das. Die Inszenierung durch den aus Österreich stammenden, in Polen lebenden Erwin Axer ist davon frei.

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Dabei fällt auf, daß die Aufführung im Burgtheater und nicht im Akademietheater stattfindet. Was wird damit erreicht? Auf der breiten, sehr hohen Bühne ragen in den beiden ersten Akten überschlanke Baumstämme hoch hinauf - Bühnenbild der Polin Ewa Starowieyska -, der nahezu leere Wohnraum in den beiden letzten Akten scheint oben nicht zu enden. Der Eindruck russischer Weite wird erreicht, die Menschen verlieren sich fast darin. Hinzu kommt, daß Axer besonders langsam spielen läßt, wobei er die Stanislawskyschen Pausen übernimmt. Und auch - von den Ausbrüchen abgesehen - den gedämpften Tonfall, den zwar Tschechow nicht leiden konnte, der aber, soweit hörbar, hier durchaus die subtil gezeichnete Seelenlandschaft einer versinkenden und versunkenen Welt transparent macht.

Ein seltener Fall: Alle Rollen sind deckend besetzt. Annemarie Düringer bringt als Arkadina das schillernd komplexe Naturell dieser Schauspielerin voll zur Geltung. Neu am Burgtheater ist Gerd Böckmann, der dem jungen Dichter Trepljow überzeugend das Unausgeglichene dessen gibt, der mit sich nicht zu Rand kommt. Norbert Kappen spielt den Erfolgsschriftsteller Trigorin beeindruckend, ganz ohne Prätention. Die Wandlung Ninas von schwärmerischer Einstellung zum Leben zu einer vom Leid gefestigten macht die junge Josefin Platt glaubhaft. Ganz Verdüsterung und Selbstmitleid ist Hilke Ruthner als Mascha. Auch Wolfgang Gassner als Arzt und die anderen Mitwirkenden zeichnen einprägsame Gestalten. Starker, geschlossener Gesamteindruck der Aufführung.

Die poetischeste Leistung der Sturm-und-Drang-Periode ist der „Urfaust”, der aber Goethe selbst keineswegs zufriedenstellte. Diese erst vor 90 Jahren wiederentdeckte frühe Fassung des „Faust” findet in der letzten Zeit immer öfter auf die Bretter, so derzeit auch auf die des Theaters in der Josefstadt.

Der Reiz dieses fragmentarischen Stücks besteht in dem so sehr spürbaren genialen Wurf, wie in der Schlichtheit gegenüber der späteren umfassenden Dichtung. Das ist offenbar dem Regisseur Gottfried Reinhardt, Sohn von Max Reinhardt, zu wenig, er füllt den Gesamteindruck mit Hilfe des Bühnenbildners Günther Schneider- Siemssen und des Komponisten Hans Kann optisch und akustisch erheblich, beinahe erdrückend auf, und verfälscht damit das Stück.

Der Blick auf die Bühne ist kreisförmig begrenzt. Am Anfang, in der Studierstube, und am Ende nach der Kerkerszene erscheint am Hintergrundprospekt der gestirnte Himmel und rückt die Dichtung übertreibend in kosmische Dimension, die dem „Urfaust” fast gänzlich fehlt. Ansonsten ist der Hintergrundprospekt ebenfalls kreisförmig begrenzt und zeigt in Projektionen die Schauplatzandeutungen; auf der Bühne gibt es nur Versatzstücke und Möbel. Marthes schlichter Garten wird hier- weshalb? - zu einem Zauberwald von sozusagen betörender Schönheit, zweimal ver- wandelt.sich die Szene optisch höchst heutig in eine aufgepfropfte Welt hypertrophen Gedränges exzessiver Kybernetik. Die zum Teil elektronische Musik ist ein Superplus an Effekt.

Es gibt Regisseure, für die bedeutende Stücke lediglich Material ihres anmaßenden Eingreifens sind, Gottfried Reinhardt versucht dagegen vermutlich dem Werk zu dienen, nur gerät dies daneben. In Heinz Trixner steht ihm ein Faust zur Verfügung, dem man, was sehr selten ist, den Erkenntnisdrang wie die Begier des Liebhabers glaubt. Dagegen fehlt Eugen Stark als Mephistopheles jede Dimension. Durch schlichte Innigkeit zeichnet sich Christine Böhm als Gret- gen aus, doch Emi Mangolds Intensität ist eine andere als die der Marthe. Unterschiedliche Leistungen der übrigen Mitwirkenden. Inge Justin entwarf geschmacklich ungleich wirkende Kostüme.

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