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Mohács und die Folgen

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Gegenwärtig läuft am neuen Stadttheater Luzern das Drama „Mohács“ (nun „Die Bastion“ genannt) des renommierten Autors Julius Hay, das hier auch seine Welturaufführung erlebte. Im Programmheft des Theaters schreibt der nun siebzigjährige, in der Schweiz lebende Dramatiker Hay unter dem Titel „Mohács“ über sein Stück folgendes: „… Ein kurzes Wort, zwei Silben nur: ,Mohács (= eine Kleinstadt in Südungarn an der Donau). Aber dieses Wort ist überall von Schmerz, von unübertrefflicher nationaler Trauer, von erbittertem Heldenmut. Sagt man in Ungarn ,Mohács , so bedeutet das den Verlust einer vernichtenden Schlacht am 29. August 1526, es bedeutet den Opfertod von 20.000 ungarischen Kriegern im ungleichen Kampf gegen 30.000 Türken. Wer in Ungarn »Mohacs sagt, der meint nicht nur jenen 29. August 1526. Er meint jeden anderen Tag und jedes andere Jahr, in welchem die Nation von Katastrophen heimgesucht wurde, in dem sie mit knapper Not der Vernichtung entronnen war. ..“

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Gegenwärtig läuft am neuen Stadttheater Luzern das Drama „Mohács“ (nun „Die Bastion“ genannt) des renommierten Autors Julius Hay, das hier auch seine Welturaufführung erlebte. Im Programmheft des Theaters schreibt der nun siebzigjährige, in der Schweiz lebende Dramatiker Hay unter dem Titel „Mohács“ über sein Stück folgendes: „… Ein kurzes Wort, zwei Silben nur: ,Mohács (= eine Kleinstadt in Südungarn an der Donau). Aber dieses Wort ist überall von Schmerz, von unübertrefflicher nationaler Trauer, von erbittertem Heldenmut. Sagt man in Ungarn ,Mohács , so bedeutet das den Verlust einer vernichtenden Schlacht am 29. August 1526, es bedeutet den Opfertod von 20.000 ungarischen Kriegern im ungleichen Kampf gegen 30.000 Türken. Wer in Ungarn »Mohacs sagt, der meint nicht nur jenen 29. August 1526. Er meint jeden anderen Tag und jedes andere Jahr, in welchem die Nation von Katastrophen heimgesucht wurde, in dem sie mit knapper Not der Vernichtung entronnen war. ..“

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Damit ist im Grund schon alles über die Tendenz des Stückes gesagt, zugleich išt aber auch die künstlerisch- dramatische Bewältigung des Stoffes vorweggenommen.

Nun zum. Stück: Es rollt in sieben Bildern auf der Bühne ab. Die Handlung selbst ist einfach. Sie spielt in den Monaten Julii bis August 1526 in der heruntergekommenen Königsburg zu Buda, im Garten eines kleinen Hauses in Alt-Buda, in einem Jagdschloß und schließlich im Zelt dies Königs Ludwig II. im Kriegslager bei Mohács, am Vorabend der Schlacht. Sie erschöpft sich in einer breiten Situationsschilderung mit teils symbolischen, teils pöliitiisch- militärischen Details. Von Anfang an stehen dabei Ludwig II., seine Gemahlin Maria und sein Hof unter dem Eindruck des mächtig heraufziehenden Großtürken Sultan Suleiman I. (1520 bis 1566). Es wird an zahlreichen Einzelheiten demonstriert, wie sich ein Jüngling von 20 Jahren, mit guten Anlagen, aber knabenhafter Sprunghaftigkeit, und seine nur wenig ältere Frau Maria darum bemühen, ein in Parteiungen zerfallenes Reich und seine westlichen Nachbarn zu ausreichender militärischer Hilfeleistung zu bewegen.

Ein armes junges Königlein und seine übermächtigen uneinigen Paladine, ein versagendes christliches Europa, darunter vor allem ein kraß die Weltmacht begehrendes Haus Habsburg, das — als Sinnbild für den Westen von 1956 — Ungarn im Stich läßt! Erstaunlicherweise bringt Ludwig es mit großem diplomatischem Geschick und List schließlich doch dazu, daß ihm rund 20.000 Mann zuziehen, darunter auch eine gewisse karge österreichische Hilfe. Aber „300.000 Türken“ (in Wahrheit wohl nur 150.000 samt dem Troß: der zuverlässige Chronist Hieronymus Ortelius spricht von 200.000 Mann) werden dieses kleine ungarische Heer (Ortelius: 25.000 Mann) unweigerlich vernichten. Mit diesem Angsttraum, der mehrmals wiederkehrt, beginnt das Stück: Der König sieht sich begraben unter einem

Leichenberg. Von Anfang also kommt dadurch ein statisches Element in das Drama insoferne als das Schicksal des Königs bereits präjudiziert ist, es gibt keine Überraschungen mehr — eine selbst indirekte Darstellung der Schlacht ersparte sich Hay.

Ähnlich wie Ludwig reden auch die anderen Personen zuviel und außerdem vielfach so, als wären sie „modernistische“ oder pseudomac- chiavellistische Kinder unserer Zeit, indes sie doch im Grunde spätmittelalterliche Menschen waren, so wie auch Karls V. Plan einer Universalmonarchie eine danteske (spät-) mittelalterliche Idee war und nicht, wie Hay ihn selber sagen läßt: ein Plan, der dem Sohn einer „Johanna, der Wahnsinnigen“ entsprang.

Wenn auch Hay den großen Türkenkreuzzugsplan Maximilians I. (1517) in Umrissen zitiert und —

nach ihm — gerade Ludwig davon erfüllt ist, indes er (was unhistorisch ist) Karl die Abwehr der Mohammedaner vernachlässigen läßt, schließlich zog Karl doch 1532 Suleiman nach Wien entgegen und nahm 1535 Tunis ein, so zeigt Hay doch in dem für seine Stückabsicht („Vom Westen verraten!“) charakteristischen dritten Akt (fiktive Jagdgesellschaft beziehungsweise unhistorische Zusammenkunft aller Habsburger und Jagellonen) ein den historischen Tatsachen im allgemeinen widersprechendes abstruses Famiildenbild der Habsburger.

Habsburger unter sich…

Diese Habsburger samt Ludwig und Anna erscheinen in ihrer Konzipierung und in ihren Reden von Hays nationalmagyarischem Schulwissen inspiriert und bestimmt von seinen „modernen“, in die alte Zeit rückprojezierten Urteilen. Während Ludwig II. den alten Türkenzugsplan Maximilians transponiert darlegt, springt plötzlich Ferdinand — er wird übrigens als „Herzog" bezeichnet — auf und „schreit“: „Ich gebe nichts, ich gebe nichts, und ihr müßt wissen, daß ich gar nichts gebe! Ich gebe keinen einzigen Soldaten.“ — Karl springt auch auf, die Wut übermannt ihn, er brüllt: „Du unglückseliges österreichisches Hornvieh! Verstehst du denn nicht, daß du deine eigenen Interessen verteidigen mußt?“ (Zu Maria:) „Also sag, ist er nicht ebenso ein Ochse, wie er schon als Kind war?“ — Daraufhin entpuppt sich Ferdinand als Mac- chiavelli reinsten Wassers. Hin treibt nur der Gedanke, daß er, falls Ludwig ohne Leibeserben stirbt, Ungarn und Böhmen (durch seine Gemahlin Anna, die dann die Erbprinzessin ist) erbt. Daher will er Ludwig nicht helfen, der soll zugrunde gehen, damit sein, das heißt Ferdinands Erstgeborener „den ungarischen Thron erbt". Wie schief und unbegründet diese Schau für diese Zeit (Juli und August 1526) ist, erhellt der Umstand, daß Ferdinands und Annas Erstgeborener Maximilian (II.) in Wahrheit erst am 31. Juli 1527 in Wien zur Welt kam. — Hier aber gibt sich Anna in dieser fiktiven Waldzusammenkunft bereits als siegreiche Schwangere, deren Sohn (wer sagt, daß es einer wird?) dereinst das Jagellonen-Erbe antreten wird. Man weiß eben alles im voraus!

Die Persönlichkeit Ferdinands erscheint verzeichnet. Man weiß längst, daß er einer der fähigsten und relativ tolerantesten habsburgischen Herrscher war und vermutlich über Kart V. zu stellen ist, was auch Alphons Lhotsky, einer der besten Kenner der Materie, vertrat Gewiß,

eben erst hatte er im Wiener Neustädter Blutgericht (Urteil vom 23. Juli 1522) seine rebellischen Ständeherren, die das Regiment usurpiert hatten, im Sinne eines frühen spanischen Absolutismus gezüchtigt. Er wuchs in die „dementia Austriaca“ erst hinein. Aber wer nur einigermaßen weiß, daß er seinem Schwager mit bestem Willen nur geringe Hilfe leisten konnte und auch stíne Briefe kennt, der wird auch dem jungen Ferdinand von 1526 einen solchen brutalen Egoismus (von Mohács) nicht zuschreiben können.

Im Stück bestärkt Karl Ferdinands Egoismus (im Anschluß an obige Stelle) auf andere Weise, indem er ihm nahebringen will, daß er Ludwig erst recht unterstützen müsse, weil er selber, Ferdinand, damit auch seine Anwartschaft auf Ungarn verteidigte. Daher folgt dem „österreichischen Hornvieh“ der Ausspruch: Karl: „Wer ist Anwärter? Du, du Dämlack, du Blödian! Du Familientrottel! Du!“ —

Schiefe Parallele

Bedenklich erscheint die Grundvoraussetzung des Autors einer Parallele „Mohács 1956“ und „Mohács 1526“. Eine solche ist nur sehr bedingt vorhanden. Ein Kritiker erlag diesem Mißverständnis und schrieb: „Hays Drama handelt vom Kleinstaat, der zwischen die Räder der Großen gerät, ein Ereignis, das sich oft und oft wiederholt, hat im Laufe der Jahrhunderte, im Fernen Südosten noch heute, in der Tschechoslowakei 1968, in Ungarn 1956, in Ungarn auch schon 1526.“

Zwar ist das Ungarn von heute ein Kleinstaat. Aber 1526 war es ein Reich, seit 1102 in Personalunion mit Kroatien und seit 1491 in Personalunion mit Böhmen verbunden. Es war die Tragödie dieses Reiches bis zu seinem jüngsten Untergang 1918/19, daß die Magyaren darin stets eine Minderheit bildeten, die sich wenigstens teilweise ihren anderen Reichsmitvölkern auferlegte. Daher war dieses Reich brüchig. An seiner inneren Brüchigkeit, vor allem an den ungeheuerlichen inneren Spannungen der kleinen Zaunkönige (Magnaten) untereinander und gegenüber dem jagellonischen Königshaus, ging dieses Reich 1526 zugrunde. Nicht nur war die böhmische Hilf e durch den Koliner Bund zu gering, auch der Woiwode Johann Zápolya säumte und kam (wohl bewußt) viel zu spät, andere Magnaten kamen gar nicht, oder sandten nur lächerliche Kontingente. Außerdem hatten die Ungarn Suleimans Gesandtschaft schmählich behandelt! Hay hätte also im Stück wohl bewußter — und als Hauptgrund für das,, Mohács 1526“ — ein ungarisches Mea Culpa sprechen sollen. Gerade 1526 war nicht in erster Linie der Westen (sprich Habsburg) am Untergang schuld. Hatte doch schon der auch im Stück als Vorbild für Ludwig öfter zitierte glanzvolle nationale Renaissancekönig Matthias Corvinus einen Großteil seiner Energien nicht gegen die Türken, sondern für die Erwerbung der Herrschaft über seine Nachbarn Böhmen und Österreich verschwendet (Eroberung Wiens 1485, wo er bis 1490 häufig residierte und im April 1490 starb). Das alles kommt vití zuwenig zum Ausdruck.

1956 aber war Ungarn wirklich ein Kleinstaat, der zum geringsten Teil aus eigener Schuld — er war ja bereits gefesselt und bäumte sich nur auf — neuerlich unter die Räder geriet. Die Parallele hinkt also beträchtlich.

Ein Lehrstück nach alten Klischees

Wäre noch zu sagen, daß Hay sich im Vorwort zu seinem Stück im Brechtschen Sinne dazu bekennt, die Tendenz seiner Zeit in die Historie hineinzutragen, daß es ihm prinzipiell nicht um historische Treue geht, er will mit Bausteinen der Historie, und zwar nach seinen Intentionen geformt und zusammengesetzt, etwa sichtbar machen, das seine Überzeugung propagiert, also ein Lehrstück schreiben: Er ist dabei der unerschrockene Kämpfer gegen die Tyrannei, für Freiheit und Humanismus. Aber dieses Stück „Mohács“ ist — entgegen diesem Programm — doch zu sehr von alten Klischees abhängig, als daß man es nicht an der historischen Wahrheit messen dürfte und müßte.

Die Geschichte der gemeinsamen Lebensform „Österreich-Ungarn“ hat doch auch viele positive Seiten. Sie sollte man gerade heute wieder aufschlagen. Daß in diesem Sinne längst ein Wandel in der ungarischen Geschichtsbetrachtung und -Schreibung eingetreten ist beziehungsweise mehr und mehr um sich greift, sei hier jedenfalls vermerkt. Gerade weil heute in Ungarn die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte betont, also die Geschichte des einst bedrückten einfachen Volkes beziehungsweise „gemeinen Mannes“ im Vordergrund steht, tut man sich in einer Pauschalverurteilung der Habsburger, die im allgemeinen für diesen .gemeinsamen Mann“ eintraten, sehr schwer.

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