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Moldawier oder Rumänen

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Können die Sowjetdeutschen (FURCHE 13/1989) von Glück reden, daß man sich ihrer erinnert, verfolgt die „Moldawier“ seit Jahrzehnten eine Pechsträhne. Nicht anders als die Wolgadeutschen und zahlreiche andere Minderheiten des großen Sowjetreiches kennen auch sie Massentötungen, Deportationen und Zwangsassimilierungen.

Doch als sie Anfang des Jahres (FURCHE 5/1989) ihre Stimme erhoben, ähnlich wie Armenier, Esten, Letten oder Litauer, auf die Straße gingen und riefen „Wir sind keine Moldawier, wir sind Rumänen“, war kein westliches Fernsehteam zur Stelle, um den Protest einzufangen.

Bis heute weiß man nicht genau, was geschehen ist im ehemaligen Bessarabien, dem Land zwischen Prath und Dnjestr, das in der Geschichte nicht viel mehr als ein Jahrhundert zu Rußland gehörte, also viel kürzer als Estland oder Lettland, und stets Teil des altra- mänischen Reiches war.

Die Informationen aus Kischin- jew sind noch immer spärlich. Nur eines steht fest: Zehntausende „Moldawier“ nahmen an nationalen Kundgebungen teil, an Literaturabenden und an Gottesdiensten, bei denen auf die alte Identität gepocht wurde.

Ähnlich wie im Kaukasus und im Baltikum soll sich eine unabhängige Volksfront gebildet und— unbemerkt von der Weltöffentlichkeit - einen ersten Erfolg er-

rangen haben. Die künstliche Sprache „Moldawisch“ wurde bisher mit kyrillischen Lettern geschrieben wie das Russische, einzelne rumänische Begriffe sla- wisiert, um die „Verwandtschaft“ mit dem Rumänischen besser leugnen zu können.

Ab nun gilt wieder die lateinische Schrift, Slawisierangen sollen rückgängig gemacht werden - schreibt die Moskauer,.Prawda“.

Quälend und grotesk mutet es dennoch an, daß sich die vier Mil-

lionen Einwohner weiterhin nicht Rumänen nennen dürfen, sondern ,.Moldawier“ heißen, daß ihrer Region der geschichtsträchtige Name Bessarabien vorenthalten und die Grenze zum Mutterland Rumänien verschlossen bleibt.

Zwar beteuerten die Demonstranten auf ihren Kundgebungen im Jänner, sie verspürten kein Verlangen, Nicolae CeaUsescu als ihren nationalen Führer anzuerkennen, und distanzierten sich von dem Terrorregime rechts der Prath und forderten auch keine Vereinigung mit dem rumänischen Staat. Doch recht Glauben schenken wollen die Kremlherren dem nicht.

Denn anders als im Baltikum, wo in den einzelnen Republiken jeweils eine ganze Nation lebt, die nicht jenseits der sowjetischen Grenze ihre Brüder und Schwestern weiß, könnte Bessarabien Schule machen, sollte sich zwischen dem Mutterland Rumänien und der Republik Moldawien das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl verstärken.

Auch Ungarn und Polen leben in großer Zahl entlang der Sowjetgrenze — und sie schielen hinüber nach Westen. Mehr Autonomie für diese Minderheiten? Die Frage nach Stalins Raubzügen gen Westen müßte neu aufgerollt werden.

Erschwerend für die Bessarabi- en-Frage wirkt der lange Schatten Leonid Breschnjews. Der langjährige KPdSU-Chef entstammt bekanntlich der slawischen Minderheit dieser Region und setzte alles daran, die Rumänen zu slawisieren, zu einer einheitlichen moldawischen Nation umzuwandeln. Er selbst behauptete, Moldawisch zu sprechen, obwohl er kein Wort Rumänisch lernte.

Wohl ist er längst verstorben und sitzt sein Schwiegersohn gar wegen Korruption eine zwölfjährige Haftstrafe ab. Doch noch immer verschanzen sich zahlreiche Gorbatschow- und Perestrojka- Gegner in Kischinjew, und die spüren kein Verlangen, sich in der nationalen Frage irgendwelche Zugeständnisse entlocken zu lassen. Links und rechts der Pruth gibt es kaum Hoffnung auf Veränderung.

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