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Momentaufnahmen eines Schwierigen

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Eine junge Begabung im Blickpunkt der Öffentlichkeit fühlt sich allzu leicht auch als deren Wende-und Angelpunkt. Stefan Georges gesteilt wirkende Kopfhaltung verdeutlicht bereits die Achsenzeit, die von nun an unverrückbar in seinem Werk festgehalten werden sollte. Nicht so der junge Hofmannsthal!

„Mit den fallenden Schultern raffinierter. Kulturen“ (Hermann Bahr) war Loris gegen solche Anfänger-Utopien gefeit. Von Jugend

Welch lähmendes Defizit, wenn sich der Sprechende auf Umwertung des Eindrucks in Ausdruck einläßt! Dieser Sprechskeptizismus ist österreichisches Erbteil von GriHparzer über Hofmannsthal (Lord Chandos-Brief) bis zu Peter Handkes „Kaspar“. Worte — modrige Pilze. In Hofmannsthals Antlitz treten Mund und Lippe, die Organe des Geschmacks, deutlicher hervor, je älter er wird. Anstatt von Genuß spricht diese Sinnenhaftigkeit von der herben Mühe des Verantwortlichen, Sinmenhaftes geistig zu bestehen.

Hofmannsthal litt an einer Störung des Gleichgewichtssinns. Ein Leben lang sehen wir ihn auf abschüssigen Pfaden. Noch immer jugendlich, mußte Ganymed — nach Überschreitung der Altersgrenze eines Jünglings — den Olymp verlassen und die Hütten der Menschen erreichen.

Was kann Lesen nicht alles sein! Verbrauch von geistiger Nahrung, von Genußmitteln oder Medikamenten, strategisches Manöver mit Texten, um für eine Hypothese den Endsieg zu erzwingen, Bereitschaft eines aufmerksamen Gemüts, sich einer Lebenserwartung hinzugeben ...

Hofmannsthal ist der selbstloseste Leser, von dessen Leserschaft wir Zeugnis haben. Indem er liest, veranstaltet er dem Autor zu Ehren ein Bankett. Sein Weltgedächtnis gruppiert Menschen und Epochen so, daß der Autor in der Genossenschaft der Zeit alles nach- und einholen kann, wovon ihn seine Lebensspanne abgeschnitten hat.

Woraus besteht die silberne Rose im zweiten Akt des „Rosenkavaliers“? Vermutlich aus Alpaka, einer Nickellegierung. Nur sie hat dem silbrigen Neo-Klassizismus und dem Kunstgewerbe der Sezession zu Glück und Glanz verholten. Von dieser Metall- und Bankierflora zog sich Hofmannsthal alljährlich in Aussee zu den Lärchen und Birken an der Baumgrenze zurück. Diesem Zwergstand; der, bedroht vom Kahlschlag, durch den Eissturm hoffend durchhält und es niemals zur Monokultur bewaldeter Majorate bringen wird, blieb er Freund und Mitverschworener: Rudolf Borchardt, Rudolf Pannwitz, Leopold Andrian, R. A.

Wozu denn einen zweiten deutschsprachigen Staat? Wozu das Deutschösterreich vom Jahre 1919 — eine zwar klappernde, aber leerlaufende Zwergenmühle, die sich die Großmächte als Erinnerungsstück an einen herabgekommenen Erbfeind leisten? Hofmannsthal zweifelte nie am Eigenwert Österreichs: Ihm ist es gegeben, von Skandinavien bis Griechenland, sich mit allen Sphären innig zu berühren, um so mehr als der Schwund an Macht ihm die innere Wahrhaftigkeit erleichtert.

Für seine lässigeren und alsobald nachlässigen Mitbürger bewahrte Hofmannsthal auch dann noch Erfahrung und Gedächtnis, als der Taumel des Vergessens für Befreiung und Fortschritt gehalten wurde.

In seinen Werken spürt er dem Unaibänderbaren nach. So lange sich Menschen vereinen, werden sie ihrer Lust auch die erste Lebensfreude des noch Ungeborenen beigemischt fühlen. Erst in den nächsten Jahrzehnten, wenn die drei Milliarden-Menschheit ihre innere Zukunft wird morden müssen, um ihre äußere Zukunft zu retten, wird allen bewußt werden, vor welche tragische Entscheidung wir gestellt sind: die Tragik der „Frau ohne Schatten“.

Die Liebe spannt einen Schattenbogen vom Hier zum Dort. Ohne die Hoffnung der Ungeborenen kann unsere Lust nicht vollkommen und niemals zur Freude werden. Jedes Vergnügen, das auf sich bezogen nur sich selbst bedeutet, versteinert. Wer sich in sich verschließt, büßt die falsche Freiheit und erstarrt.

„Die Frau wirft keinen Schatten,

der Kaiser muß versteiften.“

Diese Voraussage hat sich bestätigt. Das Anorganische auf ontolo-gisch tieferer Stufe drängt sich allen Höheren als Vorbild auf. Was ist heute noch Schönheit? Die unbefleckte,fleckenlose Empfängnis von Spritzlack auf einer polierten Oberfläche.

Im Gegensatz zu Peter Schlemihl und zur Frau ohne Schatten adoptierte Hugo von Hofmannsthal zu viel Schatten, als daß er ihn mit seiner schmalen Flamme hätte noch deutlich konturieren können. Ebenso empfänglich wie anfällig gegenüber allem Atmosphärischen, schrieb er als junger Mensch: „Es läuft der Frühlingswind durch kahle Alleen...“

55jährig starb er während eines Juligewitters in Rodaun, als er sich anschickte, dem Sarg des Sohnes zu folgen. Er ertrug es nicht, das Volumen seines Schattens verändert zu sehen.

Das Salzburger große Welttheater bringt zwar die drei großen Potenzen Jakob Burckhardts, den Staat, die Kultur und die Religion ins Spiel, wobei jede Potenz in einer Doppelrolle agiert (1. König, 2. Reicher, 3. Schönheit, 4. Weisheit, 5. Bauer, 6. Bettler), aber leider suchen diese sechs Personen nicht ihren Autor, sondern bloß ihr Salzburger Festspielpublikum und dessen sanftmütigen Beifall. Nein, sie fragen nicht nach dem Gott der Geschichte! Wir spüren dies um so schmerzhafter, als Gott selbst im Stück auftritt, leider bloß als Kritiker und Preisrichter. Zweifelsohne wird er Max Reinhardt den ersten Preis zuerkennen. Dessen Theaterkostümen suchte sich Hofmannsthal bald schmerzvoll, bald siegreich zu entwinden, und deshalb hatte er tatsächlich ein Recht darauf, seinem Wunsch entsprechend in der Kutte eines Franziskaners zu Grabe getragen zu werden.

Atomenergie läßt sich ebenso durch Abbau wie durch Aufbau von Materie gewinnen. Entweder hilft man der Sterblichkeit aufgeblähter Materienformen gewaltsam nach und profitiert von ihrem Sturz, oder man verschmilzt kleinere Partikelchen zu Systemen. Beim Aufbau gewönne man sogar größere Energiemengen als beim Zerfall, nur ist es schwieriger, ihn zu bewerkstelligen. Seit eh und je stehen wir also am Scheideweg: entweder Spaltung oder Fusion, entweder Chaos oder Kosmos. Hatte Hofmannsthal eine Wahl? Ohne Knick führt ihn sein Weg zum Aufbau, zur Synthese, zur Verschmelzung. Er ging den Weg des Schwierigeren, des Allerschwierig-sten, stieg die Wendeltreppe seines Turms empor, von wo aus beides, Spaltung und Fusion, Chaos und Kosmos, überschaubar werden sollten.

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