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Monopoly um Märkte und stille Reserven

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Frankfurter Buchmesse in Moll: Man spart. Ostdeutschland bietet westlichen Verlegern große Chancen, doch wie lange seriöse Investoren finanziell durchhalten müssen, ist schwer kalkulierbar.

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Frankfurter Buchmesse in Moll: Man spart. Ostdeutschland bietet westlichen Verlegern große Chancen, doch wie lange seriöse Investoren finanziell durchhalten müssen, ist schwer kalkulierbar.

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Europa wächst zusammen, geistig und wirtschaftlich. Was das Geistige betrifft, scheint das Zusammenwachsen Osteuropas mit Westeuropa leichter machbar als das Zusammenwachsen Osteuropas.

Für ersteres hat sich György Kon-räd, der als Höhepunkt der Buchmesse mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, ein Leben lang eingesetzt. Sein ganzes Schreiben war ein Kampf gegen Zweiteilung, Blockdenken, Staats-Allmacht. Menschen wie er sind die Ehrenrettung eines neuen Mitteleuropa, dessen geistige Grundlage sonst womöglich nur Konsum geheißen hätte.

Die Schwierigkeit des Zusammenwachsens im Osten selbst wurde am Stand des Klagenfurter Wieser-Verlages konzentriert sichtbar. Er wurde zum Treffpunkt slowenischer, kroatischer, serbischer, albanischer Dichter und seine Pressekonferenz slowenischer und kroatischer Autoren fand einen Widerhall, wie er kleinen Verlagen selten beschieden ist.

Das wirtschaftliche Zusammenwachsen ließ sich, freilich eher im

Hintergrund, am Beispiel des Zusammenwachsens der west- und ostdeutschen Bücherwelten studieren. Es war eine Messe in Moll mit gedämpftem Konjunktur-Abschwung-Raunen und schaumgebremster Party-Repräsentation. Über das Interessanteste wurde öffentlich wenig gesprochen. Umso mehr allerdings hinter vorgehaltener Hand. Nämlich den Stil, in dem die Privatisierung des ostdeutschen Verlagswesens vonstatten geht.

Land ohne Knowhow

Es gab, gleich nach dem Fall der Mauer, den Traum vom Übergang wenigstens eines Teiles der Verlage in die Hand ihrer Angestellten, von Krediten, betrieblicher Selbstbestimmung. Einige Gespräche mit leitenden Leuten ehemaliger DDR-Verlage genügen, um ein solches Überlebenskonzept unter den Bedingungen einer freien Marktwirtschaft als Illusion zu begraben. Was am meisten fehlt, ist nicht der gute Wille, sondern, neben dem Geld, das bescheidenste Minimum an kaufmännischem Wissen.

Obwohl fast alle Neuerscheinungen wie warme Semmeln weggingen und die Verlage gewinnbringend hätten geführt werden können, gab es in der DDR kaum Ansätze, dies zu tun. Auskunft des Leiters eines anspruchsvollen und daher auch unter DDR-Bedingungen Verluste einfahrenden Verlages; „Es wurden einfach vom Verlagskonto unsere Gehälter bezahlt und die Bücher gemacht, wobei der Minusstand auf unserem Konto bei der Staatsbank im Lauf des Jahres immer größer wurde. Er wurde dann jeweils im Jänner vom Staat glattgestellt."

Trotzdem betrogen DDR-Verlage westdeutsche Lizenzgeber (und Autoren) durch geheime „Plusauflagen" westlicher Werke. Allerdings ging's da nicht um weiche Ost-, sondern um harte Westmark. Die Sache flog gut getimt vor der Buchmesse auf.

In den meisten Ex-DDR-Verlagen traut sich keinerdie kaufmännische Führung zu. Folge: Flucht unter die Fittiche westdeutscher Verleger, wobei der Kaufpreis neben der Zahl der Weiterbeschäftigten eine zweitrangige Frage darstellt. Für westdeutsche Verleger mit finanziellem Atem, guten Beziehungen oder Uberzeugungskraft bedeutet dies die Jahrhundertchance, auf einem Markt mit derzeit geringer Kaufkraft, aber ausgeprägter Lesetradition starke Positionen zu besetzen.

Lotteriegewinn: Baugründe

Das höchst reale Verlags-Monopo-ly wird noch spannender durch eingebaute zusätzliche Gewinnchancen mit Lotteriecharakter. So mancher DDRVerlag, der im Westen in einer Mietetage residieren und zwischen konkurrierenden Druckereien wählen würde, verfügt über ein Innenstadt-Grundstück mit Gebäude und eigener Druckerei. Das Gebäude ist meist verlottert, die Heizkessel verbrauchen Unmengen Braunkohle, die Druckerei ist, veraltet und überbesetzt, ein Klotz am Bein. Die einstigen Nutznießer des SEDRegimes und jetzigen Durchtaucher haben ebenso wie die Veteranen der inneren Opposition, auch wen sie den Wert dieser stillen Reserven kennen, keine Chance, sie jetzt flüssig zu machen, um zu überleben. Die westdeutschen Erwerber solcher Verlage investieren im Blindflug. Letzte Klarheit darüber, ob das Eigentum des Verlages an seinem Betriebsobjekt „halten" wird, kann derzeit nicht geboten werden. Die Zahl der Haupttreffer im Hut ist also unbekannt, aber gewiß größer als in der Klassenlotterie. Es dürfte sich bei der Mehrzahl der Lose um Gewinnlose handeln.

Man darf davon ausgehen, daß es bei der Privatisierung derostdeutschen Verlage seriöser zugeht als beim großen DDR-Rrrausverkauf insgesamt. Aber auch auf diesem Gebiet werden üble Geschichten von Freun-derln gehandelt, die Freunderln fette Schnäppchen zuschoben.

Zwar mag sich der eine oder andere übernehmen, das Ergebnis ist absehbar: Die meisten in Ostdeutschland zum Zug kommenden westlichen Verlage werden am Ende um ein Stück größer dastehen als jetzt. Bloß die Durststrecke ist schwer abschätzbar. Die geringere Zahl und relative Bescheidenheit der Buchmessen-Empfänge dieses Jahres könnte nicht auf Angst vor einer Rezession, sondern darauf zurückzuführen sein, daß man eine ganze Weile jede Mark brauchen wird, bevor man wieder auftrumpfen kann.

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