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Digital In Arbeit

Monotone Arbeit macht krank

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Meine These ist, daß unsere jetzigen wirtschaftlichen Effektivitätsmodelle in hohem Grade zu Unlust, Streß und sozialer Isolierung bei der Arbeit führen. Dies trägt wiederum dazu bei, daß der Gesundheitszustand sich verschlechtert, die Gemeinschaft sich verringert und daß die Fähigkeit, aktiv die eigene Situation im Betrieb und außerhalb des Berufslebens zu beeinflussen, abnimmt.

Die innerbetriebliche Rationalisierung stützt sich weitgehend auf eine Aufteilung der Arbeitsaufgaben, auf eine rigorose Vorplanung von Arbeitsverfahren sowie auf die Mechanisierung der menschlichen Muskelleistung. Der Ausgangspunkt der Überlegungen war, daß die Arbeit sicherer und effektiver wird, wenn sie in ihre grundlegenden Bestandteile aufgeteilt wird und wenn jedes Einzelmoment von ein und demselben Menschen durchgeführt wird. Er wird dadurch Spezialist gerade für einen bestimmten Arbeitsgang.

Auf diese Weise konnte man auch planende, durchführende und kontrollierende Arbeiten systematisch voneinander trennen. Betrieblicherseits wurde es als Zeichen für eine geglückte Fertigungsplanung betrachtet, wenn Arbeiter ihre Tätigkeit in wenigen Tagen erlernen konnten. Manche Betriebe brüsteten sich damit, daß bei ihnen die Arbeit so rationalisiert sei, daß man hierfür Leute von der Straße weg anstellen konnte. Das Ideal war das auswechselbare „Rädchen im Getriebe".

Man kann allerdings sagen, daß diese Entwicklung in erster Linie die Verhältnisse in der Industrie betraf. Es ist aber auch völlig klar, daß diese Grundsätze der Arbeitsorganisation in zunehmendem Ausmaß auch auf die Verwaltungsarbeit und auf den Pflegebereich ausgedehnt wurden.

Erst in den letzten Jahren hat man ernstlich erkannt, welche sozialen Nachteile diese Entwicklung mit sich bringt: Entfremdung von der eigenen Arbeit, Gefühl der Machtlosigkeit, ver-

ringerte Gemeinschaft und Kameradschaft am Arbeitsplatz, Streß, zunehmende nervöse Schwierigkeiten und psychosomatische Krankheitserscheinungen.

Es hat sich gezeigt, daß all dies um-somehr auftritt, je mehr die Arbeit im objektiven Sinne inhaltlich verarmt und je weniger der einzelne die Vorbereitung und Durchführung seiner Arbeit selbst beeinflussen und steuern kann.

Nicht einmal die Vermutung, daß vermehrte Freizeit eine sinnvolle Kompensation darstellen würde, scheint aufrechtzuerhalten. Kommerzialisierte und passive Freizeitgestaltung scheint bei denen zu überwiegen, die eine verarmte Berufsarbeit haben. Diese Menschen sind auch am wenigsten an einer gewerkschaftlichen und politischen Tätigkeit oder am kulturellen Leben interessiert, wenn man sie mit denjenigen vergleicht, die mehr selbst zu bestimmen und eine vielseitige Tätigkeit haben.

Wir konnten nun eindeutig zeigen, daß ein Zusammenhang zwischen In-

halt und Organisation der Arbeit einerseits sowie geringer Freude an der Arbeit, Abwesenheit wegen Krankheit und verschiedenen gesundheitlichen Beschwerden andererseits besteht. Menschen, deren Arbeit stark gesteuert und einseitig ist, erklären durchwegs, daß sie ihre Tätigkeit als einförmig und

Spannungen erzeugend erleben und daß sie sich isoliert fühlen.

Dieses Bild ergibt sich aus verschiedenen Untersuchungen, die in politisch und wirtschaftlich unterschiedlichen Umgebungen durchgeführt' worden sind.

Es läßt sich auch zeigen, daß in sämtlichen Altersgruppen diejenigen, die die eintönigste Arbeit verrichten, auch relativ die meisten nervösen Beschwerden aufweisen. Zusätzlich ist diese Erscheinung bei Personen mittleren Alters stärker ausgeprägt. Daraus ergibt sich, daß man sich an solche Arbeitsverhältnisse nicht gewöhnen und dabei wohl fühlen kann. Es ist eher so, daß für die Anpassung an eine solche Arbeit ein Preis in Form von stärkeren nervlichen Schwierigkeiten zu zahlen ist.

Es gibt ziemlich viele einschlägige Studien. Aus ihnen geht hervor, daß beträchtliche psychosomatische Pro-

bleme bei Personengruppen auftreten, deren Arbeit unfrei und einförmig ist oder die starkem Lärm oder einem strikten Arbeitstakt ausgesetzt sind. Als physiologische Indikatoren wurden unter anderen Puls, Blutdruck, Körpertemperatur sowie Ausscheidung von Hormonen(Cortisol,Adrenalin,Norad-renalin) benutzt.

Dabei wird erkennbar, daß Menschen, die eine von Technikern als einseitig oder maschinell gesteuert klassifizierte Tätigkeit verrichten, sowohl

physiologisch wie emotionell ausgesprochene Streßreaktionen aufweisen.

Die Kombination von physiologischer Aktivierung und Unlust dürfte bei langer Dauer eine allgemeine Verschleißwirkung auf den Menschen ausüben.

Wir haben versucht, diesen Zusam-

menhang zwischen Arbeitsansprüchen und Selbstbestimmung analytisch aufzuspalten (siehe Grafik).

Eine noch unveröffentlichte Studie des sozialmedizinischen Instituts im Huddinge-Krankenhaus in Stockholm ging von Werten einer Risikoskala für (Herz- und Gefäßerkrankungen sowie einer Erfassung der Sterblichkeit aus.

Hier wird die Sache plötzlich noch interessanter, denn wir finden das glei-

che Muster. Bei Personen mit hoher Arbeitsbelastung und geringer Selbstbestimmung, das heißt bei wenig geschulten Arbeitern und Angestellten mit einfacher, einseitiger Routinearbeit liegt eine höhere Inzidenz bei Herz- und Gefäßkrankheiten vor.

Bei Personen mit hoher Qualifikation (in Führungspositionen) ist die Häufigkeit bedeutend geringer, auch wenn sie im Vergleich mit den Gruppen geringer Arbeitsbelastung noch immer hoch ist. Auch die Sterblichkeit weist im wesentlichen das gleiche Muster auf.

Der Mananger-Streß ist also keine Fabel, aber die Problematik scheint bei Gruppen, die nur geringe oder gar keine Möglichkeiten zur Gestaltung haben, noch größer zu sein.

Die Tatsache, daß Daten über Arbeitserleben, physiologische Streßreaktionen, selbstberichtete gesundheitliche Symptome und Sterblichkeit gleichartig sind, gibt begründeten Anlaß zur Annahme, daß auf lange Sicht gesundheitliche Risken mit einer Verarmung und erhöhter Außensteuerung der Arbeit verbunden sind.

Ich ziehe aus diesen Ergebnissen den tSchluß, daß man künftige Programme berücksichtigen sollte, daß man den Menschen selbst die Steuerung und Überwachung ihrer eigenen Arbeitsbedingungen ermöglichen sollte. Dies klingt zwar einfach, bedeutet aber in Wirklichkeit eine radikale Abkehr von bisherigen Entwicklungen.

Prof. Bertil Gardell ist Professor für Arbeitspsychologie an der Universität Stockholm

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