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Digital In Arbeit

Monotonie am Arbeitsplatz

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„Um 7 Uhr werden wir durch Klingelzeichen an den Arbeitsplatz gerufen, dann setzen wir uns hin, schalten alle Hebel ein, worauf es sofort fürchterlich laut wird. Dann nehme ich mit der linken Hand das Gewinde, lege es auf den Tisch, mit der rechten Hand nehme ich die Schraube und dann geht es dahin: schrauben, einschrauben, schrauben, einschrauben. Das ist der ganze Arbeitsvorgang von 7 Uhr bis zur Pause um 9 Uhr und dann wieder bis um 12 Uhr und so fort. Manchmal kann ich mich schon nicht mehr rühren, da tut mir alles weh, von der Hand angefangen bis zum Rücken. Aber wegen dem hohen Akkord haben wir keine Möglichkeit, eine Pause einzuschalten, das gibt es nicht, denn sonst verdient man nichts.“

So beschreibt eine Monteurin in der Elektroindustrie ihren Arbeitstag. Eine Abfolge von vier oder fünf Handgriffen, acht Stunden lang. Dem Segen der kräftesparenden Maschine folgte der Fluch der Monotonie: Knöpfchen drücken, Fußhebel betätigen, falten, schichten, aufkleben -alles andere besorgt der Automat. Sich nicht anstrengen müssen, sauber bleiben, sitzen dürfen den ganzen Tag - das war einmal der Wunschtraum vergangener Generationen.

Unsere Zeit hat eine neue Problematik zu bewältigen. Eine Arbeit, die früher von einem Menschen gemacht wurde, wird jetzt in viele kleine Vorgänge aufgeteilt. Die Folge: der einzelne verliert die Ubersicht, wird zu einem kleinen Rädchen innerhalb eines Gesamtgeschehens, das er nicht mehr durchschaut und versteht. Er, der Herr der Maschine, wird ihr Opfer. Er kommt um das Erfolgserlebnis, das die Arbeit jedes Handwerkers - im ursprünglichen Sinn des Wortes - krönt. Er darf nicht mehr erleben, wie ein Produkt vom Anfang bis zum Ende entsteht.

Er wurde entmündigt, Handlanger in einem komplexen Gesamtgeschehen namens Produktion, wobei sich die Entscheidungen über seine Tätigkeit fern von seinem unmittelbaren Gesichtskreis abspielen. Er wird zur Maschine innerhalb von Maschinen. Das ist der Preis, den er - unter anderem - für seinen Wohlstand zahlt.

Während auf der einen Seite Streß für unser Industriezeitalter charakteristisch ist, ist es auf der anderen Seite zu wenig Streß, und damit sonderbarerweise wieder Streß. Wir fühlen uns nicht über-, sondern unterfordert. Arbeit wird monoton.

Monotonie entsteht, wenn der Mensch ein zu geringes Reizangebot von der Außenwelt erhält. Unser Gehirn braucht ein Mindestmaß an Reizen. Wenn es die nicht bekommt, „dreht es durch“. Man hat hier recht interessante Versuche unternommen: sobald ein Mensch von Außenreizen abgeschirmt wird, nichts sieht, hört, die Hände in Watteröhren hegen, also auch keine Tastempfindungen gegeben sind, beginnt er bereits nach wenigen Stunden zu phantasieren, Lichterscheinungen zu sehen, i inexistente Geräusche zu hören.

Auch der Arbeiter am Fließband läßt seine Gedanken schweifen, verliert sich in Tagträumereien. Dabei kämpft er aber ununterbrochen gegen eine schleichende Müdigkeit. Er ist also in einer sehr fatalen Situation: einerseits hat er ein gewisses Arbeitspensum zu bewältigen, anderseits muß er versuchen, seiner Schläfrigkeit Herr zu werden. Diese Diskrepanz verursacht Streß, psychischen Druck, auf den der einzelne nur allzuhäufig mit Unwohlsein oder Krankheit reagiert. Man nennt das dann „vegetative Dystonie“, womit eine Unzahl von Erscheinungen zusammengefaßt werden, für die es keine genauen Erklärungen gibt.

Kopfschmerzen, Kreislaufstörungen, Magenbeschwerden sind nur einige wenige davon. Blutdruckschwankungen bezeichnet Professor Wilhelm Auerswald vom Institut für Arbeitsmedizin an der Universität Wien als ein häufiges Ergebnis monotoner Tätigkeiten. Dem Patienten wird schwarz vor Augen oder er hat

einen zu hohen Blutdruck, den er mit Medikamenten bekämpfen will, ohne die eigentliche Ursache zu erkennen.

„Sehr viele Arbeitsausfälle“, so Professor Auerswald, „sind darauf zurückzuführen.“ Sehr häufig wird auch bei einer einseitigen Tätigkeit ein Organ überbeansprucht, die Augen beispielsweise, bei großem Lärm das Gehör. Fast alle Monteure, die ihr Handgelenk einseitig benutzen, klagen über Sehnenscheidenentzündungen. Sitzende Arbeitsweise verursacht Rückenschmerzen. Das entsprechende körpergerechte Mobiliar, das sehr oft eine Situation erträglicher gestalten könnte, ist nur in den seltensten Fällen vorhanden. Meist gibt es Stühle, an die man sich nicht anlehnen kann, Tische, die kein Ausstrecken der Beine gestatten. Erleichterungen, die im Büro bereits zur Selbstverständlichkeit geworden sind, lassen im Produktionsbereich, in der Fabrik, auf sich warten.

Ähnlich steht es mit der Pausengestaltung. Die von Arbeitsmedizinern als am günstigsten errechneten Kurzpausen - etwa sechs Minuten nach jeder vollen Stunde Arbeitszeit - die Monotonie am Arbeitsplatz wirksam bekämpfen könnten, werden von den Betrieben nicht oder kaum durchgeführt. Statt dessen stehen etwa einem Arbeiter in einem österreichischen Großbetrieb, der von 6 Uhr früh bis 2 Uhr nachmittag arbeitet, ganze 20 Minuten Frühstückspause zur Verfügung.

Häufig müssen künstliche Reize dort herhalten, wo der innere Zusammenhang verlorenging. Musikberieselung, Temperaturschwankungen, das absichtliche Einbauen irgendwelcher Störfaktoren sollen die Arbeit abwechslungsreicher gestalten. So werden beispielsweise Fußbodenheizungen von den Experten abgelehnt, weil warme Füße einschläfernd wirken. Der Arbeitnehmer arbeitet vielmehr besser, wacher, mit kalten Füßen.

Daß monotone Arbeit, auf die Dauer betrachtet, nicht nur die Persönlichkeitsstruktur des einzelnen zerstören kann, sondern darüber hinaus auch für den Betrieb abträglich ist, wurde erst in letzter Zeit erkannt. Dr. Günther Stummvoll von der Vereinigung österreichischer Industrieller spricht von „negativen betriebswirtschaftlichen Auswirkungen“:

„Die Arbeitskapazität sinkt, die Reaktionsgeschwindigkeit leidet, die Kontrolle läßt nach, das Krankheitsverhalten nimmt zu, der Ausschuß erhöht sich und die Fluktuation steigt durch Unzufriedenheit.“ Fazit: auch der Arbeitgeber muß daran interessiert sein, monotone Arbeit soweit wie möglich auszuschalten.

Und wie soll das geschehen? Durch möglichst häufigen Arbeitswechsel zum Beispiel, indem im Rahmen eines Arbeitstages verschieden gelagerte Tätigkeiten durchgeführt werden. In der Bundesrepublik Deutschland hat man unter anderem auch versucht, sogenannte autonome Arbeitsgruppen zu bilden, das heißt,

eine Gruppe von Arbeitnehmern das Arbeitstempo bestimmen zü lassen. Weiters werden neue, aufgelockerte Formen der Fließbandarbeit ausprobiert, mit Pufferzonen dazwischen. Ganz abgehen von der Fließbandarbeit will man jedoch derzeit noch nicht, man sucht lediglich neue Variationen. Noch weiter wurde im

schwedischen Autokonzern Volvo gegangen.

Alle diese Möglichkeiten sind jedoch erst im Ansatz vorhanden, die praktischen Auswirkungen noch relativ bescheiden. Wobei Widerstände nicht nur von den Firmen, sondern oft auch vom Arbeitnehmer selbst zu erwarten sind.

Ein Arbeits wechsel bedarf .immer wieder einer Anlernphase, der Arbeiter muß sich an nicht eingeübte Handgriffe erst wieder gewöhnen, was dem Arbeitstempo schadet. Außerdem haben viele Maschinen beim An- und Abschalten den Hauptverschleiß. Je öfter also die Arbeit gewechselt und damit die Maschine,

wenn auch kurzfristig, abgestellt wird, umso höher sind die Kosten.

Für den Arbeitnehmer hingegen ist ein gewisses Beharrungsvermögen charakteristisch, er möchte nicht von der Gruppe weg, mit der er schon eingespielt ist, fürchtet sich vor einer neuen Umgebung, einer neuen Arbeitsweise, vielleicht einem neuen

Tempo. Für dieses auffallende Verhalten vieler Arbeiter, das häufig Neuerungen im Wege steht, hat Christine Haager, Frauenreferentin der niederösterreichischen Arbeiterkammer, folgende Erklärung: Menschen, die jahrelang dieselbe stumpfsinnige Arbeit durchführen, haben jedes Selbstbewußtsein verloren, trauen sich nichts mehr zu, sie fühlen sich für andere, abwechslungsreichere Tätigkeiten nicht mehr geeignet. Sie haben Angst, anderen Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Dieses Selbstbewußtsein, so meint Frau Haager, müsse wieder aufgebaut werden, indem man die Arbeit von Anfang an anders organisiert und bei Entscheidungen, die die Arbeitsweise betreffen, den Arbeitnehmer einbezieht.

Besondere Streßprobleme entstehen an „Arbeitsplätzen“, auf denen fast überhaupt nicht mehr gearbeitet wird, sondern sich die Tätigkeit des Menschen auf die Überwachung elektronischer Geräte beschränkt. Schon vor zehn Jahren wurde eine Karikatur belacht, auf der zwei Männer mit Schraubenschlüsseln aufeinander losgehen, wobei der eine schreit: Vor zehn Stunden warst du dran, jetzt darf ich das Knöpfchen drehen!“ Auch diese Situation ist heute vielfach Wirklichkeit, die Korl-trollräume in Kraftwerken und ähnlichen vollautomatisch arbeitenden Anlagen sind Arbeitsplätze mit besonders schwerwiegenden psychologischen Problemen.

Mit der Persönlichkeit des einzelnen hängt es auch zusammen, wie weit er Arbeit als monoton empfindet. Untersuchungen haben ergeben, daß jüngere Arbeiter und solche mit einer höheren oder doch abgeschlossenen Schulbildung gegen die Fließbandarbeit waren, während sich ältere Arbeiter und jene ohne Schulbildung dafür aussprachen. Das häufig vorgebrachte Argument, Frauen seien für monotone Arbeit eher geeignet, konnte bislang wissenschaftlich nicht bewiesen werden. Viel eher dürfte es sich so verhalten, daß Frauen oft über eine geringe Bildung verfügen und daher eher bei stupiden Arbeiten eingesetzt werden und sich auch eher damit begnügen. Tatsache ist, daß ein Großteil der Fließbandarbeit von Frauen durchgeführt wird.

Menschliche Kontakte spielen bei der Monotoniebekämpfung ebenfalls eine große Rolle. Allerdings ergeben sich hier häufig Schwierigkeiten, weil entweder der Lärm der Maschinen so groß ist, daß kein Gespräch geführt werden kann, oder die Arbeitsplätze zu weit voneinander entfernt sind.

Auch hier ließe sich die Situation verbessern - durch Schalldämpfer, durch andere Anordnung der Arbeitsplätze. Es gibt und gäbe also eine Fülle von Möglichkeiten, Monotonie am Arbeitsplatz zu bekämpfen. Wirklich effektiv hingegen wird nur eine sein: die Veränderung unserer gesamten Arbeitsweise, die Möglichkeit für den einzelnen, eine abwechslungsreichere, den Gesamtzusammenhang besser durchschauende Tätigkeit durchzuführen, die auch das nötige Erfolgserlebnis vermitteln kann. Aber dazu müßten nicht nur die Betriebe eine regere Initiative ergreifen, dazu müßte auch der einzelne seine Trägheit, seine Angst vor Erneuerungen überwinden lernen.

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