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Montini-Linie bleibt

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„La rosa dei papabili“, wie die Italiener sagen, der Kreis derjenigen, die eine reale Möglichkeit haben sollen, aus dem Konklave als Papst hervorzugehen, ist in den letzten Tagen recht klein geworden. Unter den nichtitalienischen „Papabili“ sind Afrikaner, Nordamerikaner und Lateinamerikaner verschwunden, übrig bleibt eine immer kleinere Zahl von Italienern und zwei Nichtitaliener. Zudem beobachtet man während der letzten Tage, wie die italienischen Zeitungen mit einer für den) Süden erstaunlichen Geschlossenheit nur die Italiener nennen.

Wie die Kardinale selbst denken, ist indes in eine Wolke der Reserviertheit gehüllt. Anfangs gaben zwar einzelne, vor allem ausländische Kardinale, Erklärungen ab und gewährten Interviews. Seit einigen Tagen jedoch schweigen sie. Mit gutem Grund. Denn niemand könnte dieses Gewirr von Zitaten kontrollieren, weder ob diese Worte tatsächlich gesagt, noch in welchem Zusammenhang sie gesagt wurden. Schließlich wurde immer deutlicher, daß die verschiedenen gesellschaftspolitischen Kräfte mit den Äu-

ßerungen der Kardinale ihre eigene Politik verfolgten.

Mit Sicherheit kann derzeit gesagt werden, daß der allgemeine Wunsch vorhanden ist, die sogenannte Montini-Linie fortzuführen, also eine gemäßigte fortschrittliche Linie.

Immer deutlicher wird zum wichtigsten Orientierungspunkt für die Ermittlung eines Papstkandidaten der Zustand der gegenwärtigen Kirche mit den sich zeigenden Problemen und Aufgaben. Paul VI. hat schon als Kardinal die Wichtigkeit erkannt, das bleibende Wesen der Kirche den modernen tiefgreifenden kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen und das Ergebnis in einem offiziellen Dokument festzuhalten. Nunmehr geht es aber weniger um die theoretische Formulierung als vielmehr um die praktische Bewältigung, die in den verschiedenen Kontinenten und Kulturen verschiedene Probleme aufwirft.

Das Statistische Jahrbuch der Kirche (1978) schätzt (bezogen auf das Jahr 1976) die Zahl der Katholiken auf der ganzen Welt auf 724,434.000. Das ist eine Steigerung um 15 Millionen gegenüber dem Vorjahr. Auf die einzelnen Kontinente verteilt, verzeichnet das Jahrbuch für Nord- und Südamerika 350 Millionen (62 Prozent der Gesamtbevölkerung), in Europa 263 Millionen (40 Prozent), in Asien 56 Millionen (3 Prozent) und in Afrika 50 Millionen (12 Prozent).

Die westeuropäische Kirche steckt in einer tiefen Krise, die mit den Stichwörtern Glaube/Politik, Reli- gion/Welt, Kirche/Gesellschaft und Evangelium/Kultur angedeutet werden kann. Seit Beginn der Kirchengeschichte ist der Führungsanspruch Europas unangefochten. Den wird es auch in Zukunft innehaben, aber in verminderter Weise. Doch wie lange noch?

Die verfolgte Kirche der Zweiten Welt und die kraftvolle Kirche der Dritten Welt kritisieren diese westeuropäische Kirche als verweichlicht, kraftlos und zerrissen. Die osteuropäische Kirche kämpft für ihr Überleben in der Auseinandersetzung mit der marxistischen Gesellschaftspolitik. Unbarmherzig schrumpft sie auf zum Teil sehr vitale und zu erstaunlichen Opfern bereite Gruppen zusammen -

doch wie lange wird sie das durchhalten?

Die lateinamerikanische Kirche mit ihren 280 Millionen Katholiken und ihrer großen Zuwachsrate gleicht einem riesigen Vulkan. Fast überall stehen schwere Spannungen zwischen Klerus und Regierung. Fast immer geht es um Menschenrechte - Probleme, die die Kirche auch mit Fragen der Politik und Wirtschaft konfrontiert, wo sie oft nicht über die notwendige Sachkenntnis verfügt.

Soziales Unrecht ist weit verbreitet. Die Pressionen vieler Regierungen sind massiv, die Gefährdung des Klerus, in marxistische Gewässer zu geraten, unverkennbar. Die Zahl des einheimischen Priesternachwuchses beginnt in den letzten Jahren erfreulich zu wachsen. Die großen Sorgen, die' man seit Monaten hier in Rom im Blick auf die dritte allgemeine Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla (Mexiko) vom 12. bis 28. Oktober beobachten kann, umreißen die Probleme für die Zukunft dieses Kontinents.

Die afrikanische Kirche erlebt gegenwärtig einen erstaunlichen Aufschwung - trotz harter lokaler Verfolgung. Die Zahl der Katholiken ist während der letzten 23 Jahre von 12 auf 38 Millionen gestiegen. Die Zahl der geistlichen Berufe stieg um 27 Prozent, die Zahl der einheimischen Bischöfe von nur zwei auf 150. Sollte die Entwicklung anhalten, wird Afrika im Jahre 2000 zu 57 Prozent christlich sein. Doch gerade dieses rasche Wachstum bringt schwere Probleme.

Die nordamerikanische Kirche mit 50 Millionen Katholiken galt bisher als eine stabile, vorwiegend pragmatisch denkende und problemlos Rom treue Kirche. Die ihr eigene Einheitlichkeit zeigt jedoch in letzter Zeit Spaltungstendenzen, vor allem in Kreisen der männlichen und weiblichen Ordensgemeinschaften. Die bisher fraglos hingenommene Leitungsstruktur wird von der Basis in Frage gestellt.

Ein Problem stellt Italien dar. Gewählt wird ja auch der Bischof von Rom und damit die wichtigste Person im italienischen Klerus. Das Verhältnis von Kirche und Staat in Italien ist grundverschieden von den in Österreich gewohnten Maßstäben. Eine gründliche Revision des Konkordates steht bevor. Senator Giovanni Spado- lini meinte dazu: „Die Situation in Italien ist schon so unbeständig, daß jedes Element auch, außerhalb unseres Staates, wie der Tod des Papstes, dazu führen kann, das System zu schwächen.“

Doch nicht nur diese und andere Probleme in den einzelnen Ländern und Kontinenten warten auf Lösung in einem kommenden Pontifikat, sondern auch schwere Probleme im Innern der Kirche.

Allein im Jahre 1971 haben 27.000 Priester ihren Dienst aufgegeben. Nicht zu ermitteln ist die Zahl der Theologiestudenten, die infolge dieses spirituellen Defizits die Seminare verließen, und beklemmend groß ist die Zahl der Ordensleute, die ihre Gelübde brachen. Den Schaden, den diese Gruppen den Gläubigen, zumal den Jugendlichen, zufügten, ist unermeßlich. Ganz klar nannte der aus Italien stammende südamerikanische Kurienkardinal Edoardo Pironio unter" den zukünftigen Aufgaben eines Pontifikates an erster Stelle „eine tiefgreifende spirituelle Erneuerung, die zu einer authentischen, das heißt echten Treue zu JOTUSChristus befähigt“.

In diesen Tagen meldete sich eine Gruppe von eher progressiven Theologen zu Wort. Als Katholiken appellieren sie an alle Kardinale, im Konklave vor Nennung von Kandidaten die in ihrem Dokument aufgezeigten Kriterien zu diskutieren und sie zum Maßstab ihrer Entscheidungen zu machen. In diesem Dokument, das u. a. von Schillebeckx, Congar und Küng unterzeichnet wurde, entwarfen sie das Wunschbild eines kommenden Papstes. In den Polaritäten Gott/Mensch sind sie auf der Seite des Menschen, in der von Glaube und Politik betonen sie die Politik, von Kirche und Welt wollen sie das Anliegen der Säkularität viel mehr herausgearbeitet sehen. Das Verhältnis des Papstes zu den Bischöfen soll vom Abbau eines römischen Machtanspruches zugunsten der einzelnen Ortskirchen bestimmt sein. Die Bischofssynoden sollen auch als Entscheidungsorgane und nicht nur als Beratungsgremien gelten.

Dieses Dokument wurde in Rom bekannt, hat aber keine Aussicht, im Konklave diskutiert zu werden.

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