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Moral und Marktgesetz

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Was haben ethische Fragen im alltäglichen Wirtschaftsleben zu suchen, wo Angebot und Nachfrage die Gesetze des Marktes bestimmen? Ein Symposium des ECONOMI- CA-Tests 87 zeigt, daß unsere Wirtschaft nur dann auf Dauer erfolgreich sein wird, wenn sie auch moralisch auf gesunden Beinen steht.

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Was haben ethische Fragen im alltäglichen Wirtschaftsleben zu suchen, wo Angebot und Nachfrage die Gesetze des Marktes bestimmen? Ein Symposium des ECONOMI- CA-Tests 87 zeigt, daß unsere Wirtschaft nur dann auf Dauer erfolgreich sein wird, wenn sie auch moralisch auf gesunden Beinen steht.

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Die vielfältigen und tiefgehenden Widersprüche zwischen wirtschaftlichem Handeln und ethischen Überzeugungen drängen zahlreiche Zeitgenossen zu der Auffassung, daß zwischen Wirtschaft und Moral beziehungsweise zwischen Wirtschaftswissen und Ethik ein grundlegender Widerspruch bestehe.

Im Gegensatz zu dieser zu billigen Dichotomie stellt die folgende These eine Herausforderung sowohl für Ethiker wie auch für die Ökonomen dar: Zwischen der Ethik und der Wirtschaftswissenschaft muß nicht ein grundsätzlicher, radikaler Widerspruch bestehen. Ohne ihren je spezifischen Auftrag zu verleugnen, sind die beiden wissenschaftlichen Disziplinen aufgerufen, im Interesse einer sozial- und umweltverträglicheren Wirtschaftsgestaltung zusammenzuarbeiten.

In welchem Sinn und Geist ist dieser Dialog genauer zu verste-

hen? Der Sozialethiker Arthur Rieh (Zürich) vertritt in seiner „Wirtschaftsethik“ (1984) folgenden Grundsatz, der mir von zentraler Bedeutung zu sein scheint: „Es kann nicht wirklich menschengerecht sein, was nicht sachgemäß ist, und es kann nicht wirk-- lich sachgemäß sein, was dem Menschengerechten widerstreitet.“ ‘

Wirtschaftsethik hat zu tun mit wertorientiertem Handeln in der Wirtschaft. Eine klärende Problemanalyse hat sich mit der Strukturierung des Handelns einerseits und der Differenzierung der Wertedimension andererseits zu befassen.

Entsprechend dem Aggregationsgrad der Handlungsträger lassen sich drei Handlungsebenen unterscheiden: die Mikro-, Meso- und Makroebene. Auf der Mikroebene wird gefragt, was der einzelne - der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber, die Führungskraft, der Konsument und so weiter — tut, tun kann und tun soll, um seine ethische Verantwortung wahrzunehmen.

Der Arbeitnehmer kann sich gegenüber seinen Kollegen so oder anders verhalten: fair, eigensüchtig, solidarisch et cetera. Die Führungskraft kann so oder anders entscheiden: aus alleinigem Geschäftsinteresse, in opportunistischer Karriereplanung, in verantwortungsvollem Abwägen der Interessen aller von seiner Entscheidung Betroffenen. Der Konsument kann sich blind dem Konsumismus hingeben oder sich gründlich informieren und kritisch einkaufen.

Mit der Mesoebene ist das Agieren der wirtschaftlichen Organisationen gemeint, also vor allem der Unternehmen, aber auch der Gewerkschaften, Konsumentenorganisationen, Berufsverbände et cetera.

Für die wirtschaftsethische Fragestellung bedeutet dies, daß die Organisation, im besonderen das Unternehmen, als „moralischer Akteur“ zu verstehen ist. Entsprechend dieser Auffassung muß zum Beispiel gesagt werden, daß in der Umweltkatastrophe von Schweizerhalle das Unternehmen Sandoz als solches für den angerichteten Schaden nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch verantwortlich ist. Dies heißt selbstverständlich nicht, daß dadurch die einzelnen Top- Manager, Führungskräfte und

Mitarbeiter von ihrer je spezifischen, individuellen Verantwortung entbunden wären.

Die Bedeutung der Mesoebene muß wegen des sehr hohen Organisationsgrades der heutigen Gesellschaft hervorgehoben werden.

Schließlich ist die dritte, die Makroebene zu nennen. Hier geht es um das wirtschaftliche System als solches, um die Gestaltung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen: der Wirtschaftsordnung, der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und so weiter.

Man kann sich auf den Standpunkt stellen—und eine wachsende Anzahl Menschen scheint dies zu tun -, das Problem der Existenzsicherung aller Menschen der menschlichen Evolution zu überlassen. Versteckt oder offen wird damit eine sozialdarwinisti- sche Position eingenommen und den wirtschaftlich Starken gegenüber den Armen ein mindestens faktisches Vorrecht zum menschenwürdigen Überleben zugebilligt. Diese Position steht jedoch in krassem Gegensatz zum westlich geprägten Menschenbild von der Würde jedes Menschen, die fundamentale Freiheit und Gleichheit beinhaltet.

In solchen Wertkonflikten stellt sich dann die harte, unausweichliche Frage, welche „allgemeine Verbindlichkeiten“ denn gelten sollen, wie sie gerechtfertigt und wie sie durchgesetzt werden können. Enorme Probleme in der heutigen Zeit des tiefgehenden Wertepluralismus.

Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, daß trotz der tiefen gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Differenzen die Achtung der Würde eines jeden Menschen den zentralen Wert darstellt, der noch am ehesten konsensfähig ist. Dies freilich nur unter der Voraussetzung, daß die fundamentale Freiheit und die grundlegende Gleichheit aller Menschen anerkannt werden.

Das Verhältnis zwischen beiden mag man zwar unterschiedlich bestimmen; es wäre aber fatal, die Menschenwürde nur auf den einen oder anderen Wert zu reduzieren. Denn Freiheit und Gleichheit sind keine Gegensätze und widersprechen sich nicht; vielmehr bedingen sie sich gegenseitig. Freiheit ohne Chancengleichheit ist Zynismus. Gleichheit ohne Freiheit ist tödlich.

Der Autor ist Dozent für Wirtschaftsethik an der Hochschule St. Gallen. Der Beitrag entstammt auszugsweise einem Referat bei der ECONOMICA 87.

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