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Digital In Arbeit

Moralisches Problem

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„Die extensive Phase der Menschheit geht so oder so zu Ende“ (R. Bahra, Die Alternative, S315).

Im Februar 1979 standen in Österreich 92.800 Arbeitslosen (+2% gegenüber u/1978) 24.000 offene Arbeitsplätze (-4,5%) gegenüber. Im gesamten EG-Raum gab es im Jänner 1979 6,5 Millionen Arbeitslose (6% Arbeitslosenquote); im Bereich der OECD Ende 1978 17 Millionen.

In den Aussagen der Politiker hat daher die Sorge um die Sicherung der Arbeitsplätze (der sog. Bestandschutz) vor allem angesichts des Zuwachses der Zahl der Schulabgänger und von erwerbswilligen Frauen (bzw. der Erwerbsquote: Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) einen hohen Stellenwert, einen höheren als die Garantie der relativen Stabilität der Kaufkraft des Geldes.

Als Folge von Erfahrungen in der Depression 1927-1938 ist die soziale Empfindlichkeit der politisch Verantwortlichen auch in Fragen der Arbeitslosigkeit eine besonders hohe; man begnügt sich nicht mehr mit den billigen Kompensationsmaßnahmen des Arbeitslosengeldes.

Eine Folge unserer aktuellen sozia-lenEmpfindlichkeitistes, daß wir nun in der Arbeitslosigkeit mehr denn je auch ein moralisches Problem sehen und daher etwa die Rationalisierung keineswegs wie bisher lediglich unter Kostenaspekten klassifizieren. Wenn rationalisiert wird, dann erfolgt dies meist im Interesse einer einzelbetrieblichen Kostenminimie-rung (besonders der Lohnstückkosten).

Daher ist eine Rationalisierung weitgehend (keineswegs ausschließlich) mit der Freisetzung von Arbeitskräften verbunden. Im Bereich der Industrie etwa mit einer Entindu-strialisierung. Nach einer Ermittlung vom 6. 4. 1979 ist die Zahl der in der österreichischen Industrie Beschäftigten zum Jahresende um 2% geringer gewesen als ein Jahr vorher (damals minus 1% gegenüber dem Vorjahr).

Bei Rationalisierungen, die unter Umständen zur kostenmindernden Freisetzung von Arbeitskräften führen, übersieht man, daß mit der Kostenreduktion im Bereich eines einzelnen Betriebes zwei Negativa korrespondieren, die Kosten des Staatshaushaltes für die Alimentation von neuen Arbeitslosen und die Degradierung der Freigesetzten zu sozial Passiven, die vielfach in ihrem Milieu als „Nichtstuer“ diskriminiert werden. Daher ist aus fiskalischen und aus sozial-moralischen Gründen nicht jeder Rationalisierung zuzustimmen; so „un-wirtschaftlich“ und „un-wissenschaftlich“ dies auch sein mag.

Wenn eine Wirtschaftspolitik die soziale Komponente zur gewichtigsten erklärt, bedarf es jedenfalls einer Revision des klassischen Instrumentariums, ohne daß es dadurch allein zu einer ahumanen Planwirtschaft kommen müßte:

1. Die amtliche Förderung von arbeitsplatzsparenden Investitionen bei Großprojekten wäre zu überlegen, wenn die Kostenersparnis auf der einen Seite, die ohnedies oft Multinationalen zugute kommt, mit Schattenpreisen eines Anstieges der Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite erkauft wird.

Daher ist ein Saldendenken im Sinn einer makroökonomischen Erfolgsrechnung erforderlich und überdies das Kalkül, daß nicht selten die Mißerfolge einer auf Enthumani-sierung zielenden Fehlrationalisierung (Abschreibungen und Zinsen für die Investitionen sind höher als die eingesparten Personalkosten) auch vom ohnedies vorher über die Arbeitsmarktverwaltung zur Kasse gebetenen Staat abgedeckt werden müssen. Freilich darf der Umstand nicht übersehen werden, daß die Lohnstückkosten in Österreich (1970=100) bis 1978 auf 213,8 angestiegen sind (Schweiz: 247, USA: 130, BRD: 214,8).

Auch die indirekt geförderte und enthusiastisch begrüßte Konzentration des Handels auf Großmärkten wird (nach einer Untersuchung von Univ.-Prof. Schuster, Linz) in den nächsten Jahren zum Wegrationalisieren von 5.200 Lebensmittelgeschäften und zur Liquidation von 11.300 Arbeitsplätzen führen. In der Schweiz hat die Einführung der Quarzuhr in den letzten vier Jahren den Verlust von 33.000 Arbeitsplätzen zur Folge gehabt.

2. Vielfach beklagt man - mit Recht - die Uberbesetzung von Arbeitsplätzen in Betrieben und das Abhalten von „Betriebsspielen“ (mit Weiterbildung motiviertes Fernsehen in der Arbeitszeit u. ä.). Ganz abgesehen davon, daß die Uberbesetzung auch in der Hochbürokratie drastische Ausmaße angenommen hat ohne kritisiert zu werden, sind bei drohender lokal eingebundener Arbeitslosigkeit die öffentlich subventionierten „Spiele“ grundsätzlich einer Freisetzung vorzuziehen. So bedenklich das im einzelnen Fall sein kann.

3. Die unter Bedachtnahme auf die Kapazitätsnutzung ohnedies oft bedenkliche Computerisierung der Verwaltung führt über eine unangemessen starke Konzentration zur Entfremdung, die etwa als Folge korrespondierender Absenzen kostensteigernd zu wirken vermag. Wenn in der Privatwirtschaft unseres Landes 25% der Angestelltentätigkeit durch Geräte ersetzt werden kann und im öffentlichen Dienst sogar 38%: Wo werden die Freigesetzten Aufnahme finden? Bei den Erzeugern der Rechenanlagen?

4. Auch die oft kritisierte Förderung von Grenzunternehmungen, die wegen Kapitalmangel mit traditionellen, kostenungünstigen Techniken arbeiten, kann im Einzelfall eine Umwegsrentabilität zur Folge haben, etwa wenn eine lokale und schwer behebbare Arbeitslosigkeit vermieden wird (Waldviertel).

Anderseits gibt es Projekte zur Arbeitsplatzsicherung, die auf lange Sicht kaum den erhofften Erfolg haben werden.

• Was soll etwa das Frühwarnsystem (wenn in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern .geplant ist innerhalb von vier Wochen mindestens 5 Prozent der Beschäftigten zu kündigen, muß dies nunmehr dem zuständigen Arbeitsamt schriftlich mitgeteilt werden), also eine eventuelle Behaltepflicht, am Tatbestand fehlener Beschäftigungsmöglichkeiten ändern. Ist Portugal kein warnendes Beispiel?

• Die logisch attraktiven Vorschläge, Arbeitslosigkeit auch ohne Bedachtnahme auf Produktivität durch Arbeitszeitkürzungen zu kompensieren, sind bedenklich, falls der Kostenaspekt vernachlässigt wird. Wenn wir den Vorschlag zu Ende denken, landen wir bei der 1-Stunden-Woche.

• Auch die Frühpensionierung von Arbeitsfähigen mag logisch „richtig“ sein. Aber nur bei jenen, die nicht arbeitswillig oder nur mehr bedingt arbeitsfähig sind.

In einer sozialökonomischen Situation, in der das Fehlen psychischer Not zur Ausnahme gehört, sind wir vielfach geneigt, zu übersehen, daß gerade in einer an relative Vollbeschäftigung gewohnte Gesellschaft das langfristige Arbeitslos-Sein £=Langzeitarbeitslose) zur sozialen Enteignung führen kann; zu einer neuen Art von Elend der noch „Sat-

Seit 1970 hat sich die Zahl der Selbständigen um 182.600 Personen verringert. 1978 gab es in der

Landwirtschaft nur mehr 272.000 und in der gewerblichen Wirtschaft 230.900 Selbständige. Der Rückgang der Selbständigen ist weltweit zu bemerken und muß als erntes Gefahrenzeichen gewertet werden. ten“, die mit dem Recht auf Sicherung der Menschenwürde und der Freiheit der Berufswahl in Widerspruch steht.

Der Fonds an Arbeitsplätzen, über den eine Volkswirtschaft verfügt, bedarf daher auch unter zeitweiliger Vernachlässigung einzelwirtschaftlicher Aspekte einer Umverteilung. Gerade angesichts der Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit derzeit nicht so sehr eine konjunkturelle oder eine strukturelle ist, sondern weitgehend auf den Ersatz von humaner (und mechanischer) Arbeit durch eine elektronisch ausgeführte Automatisierung („Zweite Industrielle Revolution“) entstanden ist. Wie in der Bundesrepublik wahrzunehmen ist.

Kurz notiert...

In den Aufsichtsrat der Länderbank wurden kürzlich Karl Dittrich, Heinz Pekarek und Werner Obermayer gewählt. In den sieben wichtigsten Unternehmen der Län-derbank-Industriebeteiligungen sind rund 18.500 Mitarbeiter beschäftigt, das sind 200 mehr als im Vorjahr. Der Gesamtumsatz betrug im Vorjahr 12,9 Milliarden Schilling, was eine Steigerung von 12 Prozent bedeutet.

1,6 Milliarden Schweizerfranken, das sind etwa 10 Prozent der Steuereinnahmen, will die Schweizer Regierung im heurigen Jahr einsparen. Daß die Sparmaßnahmen auch wirklich durchgeführt werden, dafür sorgen Volksabstimmungen, ein seit 1974 bestehender Personalstopp bei den Bundesbeamten und „Streichaktionen“ des Bundesrates bei den Ausgaben einzelner Ressorts. (Pdl)

Die Mauteinnahmen der Arlberg Straßentunnel AG (ASTAG) hegen über den Erwartungen. Sie betrugen im Dezember 1978 über zwölf Millionen Schilling, im Jänner 9,6 Millionen und im Februar 8,5 Millionen Schilling. Im März wurde wieder die Zehn-Millionen-Schilling-Marke erreicht.

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