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Moralprediger statt Superstar

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Auf seiner zweiten USA-Reise nahm sich Johannes Paul II. einerseits liebend der Farbigen und Aidskranken, anderseits belehrend der amerikanischen Bischöfe an.

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Auf seiner zweiten USA-Reise nahm sich Johannes Paul II. einerseits liebend der Farbigen und Aidskranken, anderseits belehrend der amerikanischen Bischöfe an.

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Nicht so sehr als der strahlende Superstar, wie ihn die Amerikaner noch beim ersten Besuch 1979 feierten, sondern vor allem als Moralprediger und strenger Kirchenlehrer ist der Papst bei seiner zweiten USA-Reise aufgetreten. „Die manchmal oberflächliche Jubelei ist der glaubend-kriti-schen Auseinandersetzung gewichen“, so hatte sogar Radio Vatikan schon zu Beginn angekündigt und empfohlen, diese Spannungen als „Zeichen von Leben und Menschlichkeit“ zu akzeptieren.

Gleichwohl kam es, zumal auf den ersten Reiseetappen in den Südstaaten, selten oder nur am Rande zu einer Konfrontation und Protesten, auf die ein Heer von 18.000 Reportern vor allem zu lauern schien. Der Papst selbst berührte zunächst die strittigen Themen von Kirchendisziplin und Sexualmoral so behutsam, daß die Schlagzeilenmacher nachhelfen mußten. So bestand die scharfe Verurteilung „außer-und vorehelichen Geschlechtsverkehrs“, von der die Medien sprachen, im Text einer langen Predigt vor der Jugend in New Orleans aus diesem einen Satz: „Jesus und die Kirche legen Euch Gottes Plan für menschliche Liebe nahe und sagen Euch, daß Sex als eine große Gottesgabe der Ehe vorbehalten ist.“

Nachdem der Papst bei der Ankunft Amerika als Land der Freiheit gepriesen. hatte, machte er dann immer wieder auf soziale wie sittliche Grenzen dieser Freiheit aufmerksam, redete der Konsumgesellschaft ins Gewissen, setzte sich für die Armen ein, für existenzbedrohte Farmer, für die Rechte der Farbigen (von denen 1,5 Millionen Katholiken sind) und der mexikanischen Einwanderer. „Es wäre eine große Tragödie für die ganze Menschheit, wenn die Vereinigten Staaten, die so stolz auf die Freiheit sind, die Sicht für die wahre Bedeutung dieses Wortes verlieren“ sagte er.

Schon nach der Ankunft in Miami war es dem Papst bei einer Begegnung mit amerikanischen Juden gelungen, deren Groll über den Waldheim-Empfang im Vatikan halbwegs zu besänftigen. Zwar beharrte er nach wie vor auf dem Heimatrecht der Palästinenser ebenso wie auf dem Existenzrecht Israels, doch heftig verurteilte er den Holocaust und Antisemitismus, deren „geschichtliche Wurzeln“ in einem kirchenamtlichen Dokument bald dargestellt werden sollen.

Auch die christlichen? Ein historisches Sündenbekenntnis für seine Kirche brachte der Papst auch bei dieser Gelegenheit nicht über die Lippen, obschon er die amerikanischen Katholiken immer wieder ermahnte, niemand, auch kein Priester, dürfe das Beichten vergessen...

Auf jeder der zwölf Stationen seines 30.000-Kilometer-Fluges schien dem Papst bewußt zu bleiben, daß es hinter der großen Show, die unvermeidlich für ihn zelebriert wurde, Wüsten von Gleichgültigkeit, aber auch Wogen stürmischer Konflikte und Widersprüche gibt. Sobald er damit konfrontiert wurde, wich er jedoch entweder vorsichtig aus oder zog sich brüsk auf sein Lehramt zurück.

Das konnte noch gelingen, wenn es um Reizthem^n ging wie etwa Homosexualität, gegen die er schlicht Keuschheit empfahl, oder wenn er Aidskranken begegnete, die er nicht (wie manche falsehe Moralisten) als Opfer göttlichen Zorns behandelte, sondern christlicher Liebe empfahl.

Weniger Liebe zeigte der Papst hingegen, als er in Los Angeles zu den Bischöfen der USA sprach. Fast unverblümt hatten diese ihn aufgefordert, mehr Verständnis für Amerikas Katholiken aufzubringen, für deren Bedürfnis nach Freiheit und Kritik auch innerhalb der Kirche, wo sie als mündige Erwachsene behandelt werden wollen, wie Kardinal Joseph Ber-nardin sagte.

Die Antwort des Papstes wirkte vor allem deshalb enttäuschend, weil er es sich allzu leichtmacht.

Mit keinem einzigen Satz seiner 24 Seiten langen Rede ging er auf die abwägenden psychologisch und soziologisch, aber auch theologisch untermauerten Argumente ein, mit denen die vier Berichterstatter der Bischofskonferenz die Lage im amerikanischen Katholizismus verständlich zu machen suchten.

Obwohl die Texte schon im Juni in Rom vorlagen und Kardinal Bernardin auch das Kritische durchaus höflich verpackte („Manchmal werden Sie falsch verstanden, und man meint, daß Sie die aktuelle Lage der Kirche nicht begreifen...“) ließ sich der Papst auf keinerlei Debatte ein. Trocken und ohne jede Denkanstrengungen verkündete er: Abweichung von kirchlicher Doktrin bleibt, was sie ist: Abweichung, und daher sei es einfach „schwerer Irrtum“, zu meinen, man könne auch mit Abweichung guter Katholik sein und dürfe die Sakramente empfangen.

Im Grunde schien die päpstliche Botschaft nur auf eines gerichtet: jenem religiösen Fundamentalismus Konkurrenz zu machen, der heute vielen amerikanischen Sekten Zulauf verschafft, und dies in einem Augenblick, in dem der amerikanische Katholizismus, einem lange währenden Ghetto entkommen, nicht an die puritanisch-konservative, sondern an die liberale, tolerante Tradition des Landes anknüpft.

Im Prinzip hat der Papst zwar nichts dagegen, tatsächlich aber fürchtet er, daß seine Kirche dabei zum religiösen Supermarkt wird, aus dem sich jeder selbst bedient und nur das holt, was er braucht und mag. Als ob dies nicht eh und je und überall ohnehin geschieht...

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