6912822-1981_15_05.jpg
Digital In Arbeit

Morsche Moral macht Schule

Werbung
Werbung
Werbung

Nirgendwo als in der Bildungspolitik geht es, angesichts der Reformbedürftigkeit unserer Tage, so sehr um den zu findenden Einklang von wertvollen Traditionen und Entwicklungen von Autorität, von sinnspendender Autorität und Freiheit.

och im Ausklang der siebziger Jahre konnte der gelernte Österreicher sehr zurecht die Diagnose aussprechen, daß sich in den letzten zehn Jahren die sozialistische Einparteienregierung sattelfest etabliert hat und im Bewußtsein des Bundesvolkes als praktisch unabänderliche Erfolgsgröße eingenistet ist. Die plurale Demokratie schien auf weiten Strecken nur mehr zur mehr oder minder verfassungskonformen Begleitkulisse an der Triumphstraße sozialistischer Erneuerung und Veränderung der Gesellschaft verurteilt zu sein.

Der Beginn der achtziger Jahre erweist es anders. Mehr als je zuvor verbreitet sich eine Stimmung, die signalisiert, daß der Österreicher sich nicht einfach an das sozialistische Einparteiensystem gewöhnt hat. Der Schutzmantel der Gewöhnung an die Kreisky- Ära, aber auch der oft medial verliehene „Krönungsmantel“, ist löchrig, ja erlumpt. Das tiefreichende Desaster am SPÖ-Korpus scheint überall durch!

Es sind die Geschwüre der Gigantomanie und der „Bereicherungssyndikate“, die Folgen von Verschwendungsmentalität und die Impotenz der Budgetpolitik, die unersättlichen Wucherungen der Bürokratie; es sind die ungeheilten Mangelkrankheiten und perplexen Verdrängungen von der Medienpolitik bis zur Schulfrage und Bildungspolitik im allgemeinen.

Die moralische und wirtschaftliche Krise der Republik ist zum Dauerthema von Dokumentationen, Leitartikeln und Kommentaren geworden. Die Vertrauensseligkeit in die liberal ausstaffierten Reformfluten und Experimente ist einer besorgten Unruhe und einem neuen, spürbaren Mißtrauen gewichen. Die Krise ist auch angesichts der weltweiten Wirtschaftslage zu ernst, als daß solche Feststellungen als Polemik verstanden werden sollten.

Muß nicht im Zusammenhang mit dem heutigen Thema „Bildungspolitik“ auf die tieferliegenden Ursachen und Wirkkräfte und die gefährlichen, langfristigen Folgen hingewiesen werden? Letztere sind darin zu suchen, daß das Vertrauen des Bürgers in Staat und Politik enttäuscht und erschüttert ist, daß die negative Beispielhaftigkeit, oder einfach die „Beispiellosigkeit“ korruptionistischer Großfunktionäre,

vor allem der zu bildenden Jugend das öffentliche Handeln und die Politik gründlichst vergraust.

Auch ohne diese Rammstöße der letzten Zeit in Vertrauen und Bereitschaft, sich politisch zu bilden oder gar sich zu engagieren, kennen wir die hierzulande gegebene faktische Abstinenz der jungen Generation, und nicht nur bei Hochschulwahlen, wo zwei Drittel der Studenten als Nichtwähler Demokratie und ihre eigene Interessensvertretung zur Farce werden lassen! Bei den letzten Wiener Gemeinderats- bzw. Landtagswahlen ließen nicht weniger als 41 Prozent der jugendlichen Erstwähler Stimmabgabe Stimmabgabe sein.

Halten wir fest: die Verweigerung der Jugend äußert sich nicht nur in der Ablehnung all dessen, was lange genug als „repressive Autoritäten“ verteufelt wurde, sie wird in erschreckendem Ausmaß sichtbar und effizient gegenüber der eigenen Verantwortung für das öffentliche und die Partizipation am gesellschaftlichen Geschehen an sich. Ich vermag nicht zu glauben, daß eine solche Selbstverstümmelung an der Ausübung von Freiheitsrechten nur der Ignoranz, der Bequemlichkeit und der Wohlstandsüberfütterung entspringt.

Sicherlich sind diese Fakten wirksam, wenn es unter den jungen Menschen immer noch mehr „Aussteiger“ aus der Gesellschaft gibt. Verwechseln wir aber nicht Ursache und Wirkung!

Ich glaube, es ist vor allem das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber der Omni- potenz und Prestigesucht von Hochbürokraten und Großfunktionären, das zum Ausflippen vor der oft zitierten Kälte, Lieblosigkeit und Unehrlichkeit dieser Gesellschaft führt.

Die Krise unserer Gesellschaft ist zutiefst im Abbau moralischer Ordnungen, in der Negation von Gesittung und Verantwortung zu suchen. Längst schon sind diese tragenden Säulen jeglicher sinnvoller Bildungsarbeit schwer- stens ramponiert…

Ordnung für das soziale Ganze, Gesittung füreinander und von sich selbst verlangt Verantwortung statt ideologisch gezüchtete Subversivität: all das sind abgeschobene Bildungsideale. Die geistigen Verführungen zur Vision einer neuen Gesellschaft haben das Bild des konkreten Menschen mit seiner Wesensbestimmung, mit seinen Sehnsüchten, seinen Fähigkeiten und seinen Schwächen, gegen einen Homunkulus, gegen ein Retortenprodukt als totales Gesellschaftswesen ausgetauscht!

Hier schon, an den Wurzeln, hätte Bildungspolitik einzusetzen, das Bemühen, zumindest einen Minimaikonsens an Wertvorstellungen wieder zu finden.

Weder ein kryptoformer, neu aufgewärmter Kulturkampf, noch ein atavistischer Klassenkampf gehören in pädagogische Erwägungen. Sie können und dürfen nicht zu den konzeptiven Überlegungen von Schulpolitikern und Bildungsreformern gehören. Und Lehrer dürfen schon gar nicht zu Erfüllungsgehilfen einer gesellschaftsverändernden Kaderschmiede degradiert oder gedrängt werden. Unsere Kinder und jungen Menschen sind keine Versuchskaninchen bildungspolitischer und schon gar nicht kulturrevolutionärer Utopien.

Wer solches als „reformfeindlich“ empfindet und als „reaktionär“ verteufeln mag, der möge in den Erkenntnissen des Berliner Landesschulrates und SPD-Mannes Herbert Bath nachlesen. Er schreibt: „Wer aus seinem Repertoire die Worte Achtung, Ehrfurcht und Vertrauen streicht, erzieht Besserwisser und Ignoranten, vielleicht auch Neurotiker oder sogar Ungeheuer.“

Auch unter Schulmännern österreichischer, auch sozialdemokratischer Provenienz kann man solche tendenzwendenden Erkenntnisse finden .. .

Die Umfrage des Fessel-Institutes vom Vorjahr bestätigt nicht nur ein vernichtendes Urteil über diese integrierte Gesamtschule, sondern brachte auch den überraschend starken Wunsch beispielsweise nach Wiedereinführung der Aufnahmsprüfungen an den Gymnasien zutage. Nicht weniger als 73 Prozent der Bevölkerung sind gegen die Gesamtschule und damit auch gegen die Einführung der Ganztagsschule, oder besser gesagt, gegen die „Zwangstagsschule“.

Die Untersuchung brachte außerdem das bedeutsame Ergebnis zutage, daß selbst unter den erklärten SPÖ-Wäh- lern nur 25 Prozent für die Gesamtschule sind. 89 Prozent erklärten, daß sie eindeutig gegen eine parteipolitische Konfrontation in der Schulpolitik sind, und sprechen sich für Konsensbemühen aus …

Auszüge aus einem Vortrag, den der Generaldirek tor des Styria-Verlages am 27. März 1981 an der Universität Wien im Rahmen des 4. Internationalen JES-Europa-Kongresses gehalten hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung