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Moscheen in Griechenland

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In vielen Ländern erhitzen Minderheitenprobleme die Gemüter. Die Vorbilder für ein einigermaßen reibungsloses Zusammenleben verschiedener Volksgruppen sind äußerst dünn gesät. Die FÜR CHE hatte Gelegenheit, ein Gebiet zu besuchen, in dem Christen und Moslems, Türken, Griechen, Pomaken und Zigeuner, friedlich nebeneinanderleben, ohne die Weltöffentlichkeit mit ihren Problemen zu behelligen.

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In vielen Ländern erhitzen Minderheitenprobleme die Gemüter. Die Vorbilder für ein einigermaßen reibungsloses Zusammenleben verschiedener Volksgruppen sind äußerst dünn gesät. Die FÜR CHE hatte Gelegenheit, ein Gebiet zu besuchen, in dem Christen und Moslems, Türken, Griechen, Pomaken und Zigeuner, friedlich nebeneinanderleben, ohne die Weltöffentlichkeit mit ihren Problemen zu behelligen.

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Es ist nicht angenehm, als Grieche in der Türkei zu leben. Kein Wunder, wenn die griechische Minderheit fast vollständig abgewandert ist. Und auf Zypern sorgen seit der türkischen Invasion unter anderen österreichische UNO-Soldaten dafür, daß es zu keinem weiteren Blutvergießen kommt.

Weniger bekannt ist der Weltöffentlichkeit, daß es im Nordosten Griechenlands eine kopfstarke islamische Minderheit gibt. Daß man von ihr in den Nachrichtensendungen nie hört, ist Beweis genug dafür, daß Thrakien, Griechenlands Nordost-Provinz, offensichtlich eine jener Gegenden ist, in der es die Menschen gelernt haben, trotz verschiedener Sprachen und verschiedenen Glaubens miteinander auszukommen, ohne einander an die Gurgel zu fahren.

Dies ist der Bericht über einen „Lokalaugenschein” in erwähntem Gebiet,, zugleich aber auch über ein Volk, von dem viele Menschen hierzulande bisher noch überhaupt nie gehört haben: die Pomaken.

Vier Gruppen leben im äußersten Nordosten Griechenlands zum Teil in enger Nachbarschaft zusammen: Griechen, von denen aber viele, vielleicht die meisten, aus Familien stammen, die früher auf dem Gebiet der heutigen

Türkei gelebt haben. Türken, die immer schon hier siedelten und sich als die eigentlichen Herren des Landes fühlen. Ferner Pomaken und Zigeuner.

Die Pomaken sind Nachkommen von Bulgaren, die vor Jahrhunderten unter türkischer Herrschaft zum Islam übertraten, und ihrem Glauben bis heute treu geblieben sind.

Die Pomaken übertreffen an islamischer Strenggläubigkeit bei weitem die zu Füßen ihrer Berge siedelnden Türken. Diese, die unter griechischer Herrschaft lebenden Türken, sind ihrerseits Koran-treuer als die Mehrheit der Türken in der Türkei, denn logischerweise wurde der Einfluß des in Saloniki geborenen Kemal Atatürk, der dem Islam den Kampf ansagte, in den Griechenland zugeschlagenen türkischen Siedlungsgebieten niemals so wirksam wie in der Türkei selbst.

Einerseits könnte ein türkischer Cho-meini, sollte es so etwas jemals geben, leicht aus Thrakien kommen. Andererseits deckt die Türkei die in Griechenland lebende islamische Minderheit mit einem propagandistischen Trommelfeuer ein, das den Griechen Sorgen bereitet.

Denn nicht nur die Türken tendieren stark zur Türkei und schicken, wenn sie es sich leisten können, ihre Kinder nach Istanbul in die Schule - auch die Pomaken beginnen da und dort Wirkung zu zeigen.

Diese wird dort erkennbar, wo Po-makendörfer den Halbmond auf ihrer Moschee durch einen Stern ergänzen.

Die Wirklichkeit dementiert freilich einen guten Teil dessen, was die Türken in ihren zum Teil in Griechenland gedruckten, zum Teil aus der Türkei bezogenen Zeitungen lesen oder im stark nach Thrakien ausstrahlenden türkischen Radio hören.

Da ist zum Beispiel die Rede von einem Verbot des Fez durch die griechische Regierung - tatsächlich ist die traditionelle Kopfbedeckung seit Atatürks Zeiten in der Türkei verpönt, während man den Fez in den Städten Xanthi und Komotini in Thrakien allenthalben sehen kann.

Griechenlands Minderheitspolitik ist liberal. Nur ein kleiner Teil der türkischen Bevölkerung Thrakiens beherrscht die griechische Sprache, die offizielle Amtssprache ist - dafür unterhalten sich griechische Autobuschauffeure mit ihren türkischen Fahrgästen und die meisten Beamten mit den türkischen Mitbürgern in deren Sprache. Schwer herauszufinden, ob die Türken das Griechische nicht lernen können oder nicht lernen wollen ...

Fast alle Pomaken hingegen sprechen außer ihrer eigenen Sprache fließend Griechisch und verhalten sich überhaupt wie ein Volk, dessen Selbstbewußtsein so stark ist, daß es sich einen ungezwungenen Umgang mit der Außenwelt leisten kann.

Maximal 40.000 Pomaken leben in einem geschlossenen Siedlungsgebiet längs der bulgarischen Grenze als letzter Rest einer Volksgruppe, deren Mehrheit einst auf bulgarischem Gebiet siedelte und dort nach dem Zweiten Weltkrieg total zwangsassimiliert wurde. Damit sind die griechischen Pomaken der Rest einer bisher viel zu wenig erforschten Kultur, die eigene Gebräuche, eine eigene Sprache mit sehr starken bulgarischen Elementen, eigene Volksdichtung und Volksmusik hervorgebracht hat.

Die vorletzte wissenschaftliche Untersuchung über die Pomaken stammt aus dem vorigen Jahrhundert, die bislang letzte von der aus Griechenland stammenden Wiener Ethnologin Dimitra Schönegger, die für ihre Dissertation das Zusammenleben der in der Region vertretenen Volksgruppen in einem typischen gemischten Dorf studierte.

Das Gebiet, in dem die Pomaken unter sich sind, ist nicht ohne weiteres zu besuchen. Ihr Siedlungsgebiet längs der bulgarischen Grenze deckt sich weitgehend mit Griechenlands militärischem grenznahen Sperrgebiet, aber dieser Umstand deutet keineswegs auf eine verkappte Unterdrückungsmaßnahme.

Einerseits kann sich Griechenland auf die wenig kommunistenfreundliche

Gesinnung der Pomaken verlassen. Andererseits bedeutet die Abschirmung gegenüber der Außenwelt einen Schutz der Pomaken vor dem für eigenständige Minderheiten-Kulturen gefährlichsten Faktoren - dem Fremdenverkehr.

Man muß im Normalfall tagelang in Athen antichambrieren und ein legitimes Interesse an den Pomaken glaubhaft machen, um den Passierschein zur Uberwindung der Straßensperren zu erhalten. Die Pomaken selbst können sich bewegen, wie sie wollen.

Sie leben von Landwirtschaft und Tabakanbau. Die Älteren versuchen den Zerfall der alten Lebensformen zu verhindern, aber die Jugend zeigt starkes Interesse an den Verführungen der Industriegesellschaft.

In Miki, einem der Dörfer, die ich besuchen konnte, ist es noch vollkommen unmöglich, eine Frau zu photogra-phieren - nicht einmal mit verschleiertem Gesicht, nicht einmal ein schönes Schmuckstück an ihrem Arm, nicht einmal, wenn ihr Mann es will-wenn es um die Befolgung des Koran geht, endet jede andere Autorität.

In Kotiii, in Sichtweite der bulgarischen Grenze, waren unter den abends im Kaffeehaus versammelten Männern die Hadschis, erkennbar an einem hier gelb gefärbten Tuch um den Fez, in der erdrückenden Mehrheit.

Eventuelle Probleme Griechenlands mit seiner islamischen Minderheit gären sicher nicht in den Bergen der Pomaken, sondern unten, in Xanthi, in Komotini, in den umliegenden Dörfern unter den Türken.

Während die griechische Minderheit in der Türkei nach den Ausschreitungen von 1955 von 160.000 auf heute weniger als 10.000 Seelen zusammenschmolz, leben auf griechischem Gebiet - außer den Pomaken - rund 60.000 türkische Moslems und 10.000 Zigeuner islamischen Glaubens, die aber immer schon seßhaft waren und vor allem im Süden mit den Türken in Dörfern zusammenwohnen.

Diese 60.000 Türken leben gewissermaßen in einer schizophrenen Situation. Sie fühlen sich einerseits als die Herren des Landes, als die, die immer schon da waren, sind aber andererseits eine Minderheit.

Sie haben einerseits ein teils staatlich, teils privat finanziertes Schulwesen, das nicht hinter dem griechischen zurücksteht, werden nicht diskriminiert, sondern korrekt behandelt, wissen aber doch sehr genau, daß sie in der griechischen Bevölkerung kein gutes Image genießen. Einerseits sind sie stolz auf ihr Türkentum, andererseits hat einem in Griechenland lebenden Türken im arbeitsfähigen Alter die Türkei in ihrer heutigen Situation wenig zu bieten.

Griechenlands Türken schicken gerne ihre Kinder nach Istanbul in die Schule und planen oft einen Lebensabend in der Türkei.

Aber auch wenn die Türken in Griechenland keinem Druck ausgesetzt sind - viele von ihnen glauben, den türkischen Zeitungen mehr als ihrer eigenen Beobachtung, und die geringe Verbreitung griechischer Sprachkenntnisse unter den in Griechenland lebenden Türken erleichtert die Indoktrination von jenseits der Grenze.

Dimitra Schönegger schreibt: „Jedoch haben unsere Untersuchungen er-

.....mit einem Nachbarn, der von inneren Problemen ablenken muß...” geben, daß Pontier (Griechen, Anm. d. Rd.) und Türken keine kulturellen Gemeinsamkeiten aufweisen. Aus einem rein oberflächlichen Kontakt mit beiden Gruppen wäre dies nicht gleich ersichtlich gewesen. Das Alltagsleben -Brotbacken, Joghurt und Butter erzeugen, gemeinsam im Kaffeehaus sitzen, türkisch sprechen - kann sehr leicht zu einer solchen Täuschung führen.”

Also ein Neben- statt eines Miteinander, wobei die Wiener Ethnologin mit verstärkter Abwanderung der Türken aus Griechenland rechnete-aber in der Zwischenzeit hat sich die wirtschaftliche Situation der Türkei und damit deren Attraktivität für Auswanderer wesentlich verschlechtert.

So könnte an die Stelle der Abwanderung die Indoktrination von der Türkei austreten. Die griechischen Verantwortlichen bauschen das Problem nicht auf, lassen aber gedämpfte Besorgnis durchblicken.

Das Zusammenleben mit einem Nachbarn, der von inneren Problemen ablenken muß, und mit einer von ihm indoktrinierten Minderheit war noch für kein Land gemütlich ...

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