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Moskau braucht Druck

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FURCHE: Wie schätzen Sie die derzeitige Lage in Litauen ein?

KAZIMIERA PRUNSKIENE: Es ist sehr schwer zu sagen, was noch kommen wird. Wir versuchen, unter anormalen Bedingungen so normal wie möglich zu arbeiten.

FURCHE: Warum sind Sie als Ministerpräsidentin zurückgetreten?

PRUNSKIENE: Ich bin unter dem Druck meiner Gegner zurückgetreten, deren Namen ich nicht nennen will. Die sollen selbst einmal das gleiche durchmachen! Meiner Einschätzung nach war das nicht die richtige Zeit und waren es nicht die Umstände für so ein Vorgehen.

FURCHE: Trifft es zu, daß es zwischen Ihnen und Präsident Landsbergis Spannungen gibt?

PRUNSKIENE: Wie überall hat es alles mögliche gegeben.

FURCHE: Wie war Ihre Moskaureise und Ihre Begegnung mit Gorbatschow am 8. Jänner.

PRUNSKIENE: Ziel meine

Reise war ein Gespräch über die Situation der wehrpflichtigen Litauer, die mit Fallschirmjägern eingefangen werden sollten, sowie über die laufenden Verhandlungen. Auf meine erste Frage bezüglich der Rekruten sagte mir Gorbatschow, er habe damit nichts zu tun, dazu bedürfe es eines Gesprächstermins im Verteidigungsministerium; er könne nur sagen, daß jeder die Gesetze befolgen müsse.

Der Abgeordnete Butkevicius hatte bereits einen Termin im Verteidigungsministerium für den Beginn dieser Woche, aber jetzt ist alles hinfällig. Weiters sagte Gorbatschow, bei der Sitzung des Föderationsrates am Samstag werde 4uch die Litauen-Frage besprochen.; Hernach müsse man weiterreden und Entscheidungen treffen. Anschließend meinte Gorbatschow: Und jetzt fahren Sie nach Hause und schaffen Sie Ordnung, damit ich das nicht in die Hand nehmen muß. Das war für mich eine Andeutung, daß es zum Schlimmsten kommen kann.

FURCHE: Welche Entwicklung erwarten Sie jetzt?

PRUNSKIENE: Es kann durchaus zu einer Verbesserung der Lage kommen. Es hängt alles davon ab, ob aus dem Ausland und innerhalb der Sowjetunion genug Druck kommen wird. Das ist deshalb besonders wichtig, weil davon auch das Schicksal Estlands und Lettlands abhängt.

FURCHE: Was sind Ihre persönlichen Pläne?

PRUNSKIENE: Ich bin jetzt einfache Abgeordnete. Ich habe schon früher zusammen mit einer ande-

ren Wissenschaftlerin einen Hilfsfonds für Litauen gegründet. Als Regierungschefin hätte ich ihn unterstützt, jetzt werde ich das als Privatperson betreiben.

FURCHE: Wie sehen Sie die jetzige Rolle Gorbatschows?

PRUNSKIENE: Was immer auch gewesen sein mag, man kann ihn von der Verantwortung nicht freisprechen - auch wenn alles ohne sein Wissen passiert wäre. Er ist verantwortlich für das, was seine Leute anrichteten. Der Leningrader Oberbürgermeister Anatolij Sobtschak war in gemeinsamen Gesprächen sehr pessimistisch und sah Gorbatschow unter starkem Druck der reaktionären Kräfte der Partei und von Leuten aus der Ryschkow-Regierung.

FURCHE: Wie wird sich das Militär weiter verhalten?

PRUNSKIENE: Nach meiner Einschätzung hat es sich beruhigt, aber nicht, um sich ganz zurückzuziehen. Man wartet auf die weltweiten Reaktionen und wägt ab.

FURCHE: Was möchten Sie dem Ausland sagen?

PRUNSKIENE: Ich bitte dringend darum, daß die Menschen mit ihren Protesten Litauen unterstützen, damit sich nicht das wiederholt, was jetzt passiert ist.

Mit Litauens Ex-Premierministerin KAZIMIERA PRUNSKIENE sprach CORNELIUS HELL.

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