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Moskauhörige Altmarxisten und revolutionäre Heißsporne

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Kann man den Eurokommunismus messen? Wo stehen die vom Eurokommunismus abgewandten Bene-lux-Kommunisten in der Bewertungsskala ihrer Kreml-Chefs? Die Politologen Tegenbos, Dewachter und Clusters' (katholische Universität Löwen und St. Ignatius-Fakultäten Antwerpen) haben eine Machthierarchie der Staaten zu Beginn der siebziger Jahre im Stil der Hitparaden erstellt Anhand von Indexpunkten versuchten sie nachzuweisen, daß die Welt nicht Dorf, „the global village“, sondern vielmehr die „Provinz“ der Großmächte USA (29.046 Indexpunkte) und UdSSR (17.678 Ip) ist. Nur wenige Länder ragen über die kleinen und-schwachen hinaus. Der Abstand zwischen der drittgrößten Macht, der Volksrepublik China (7966), und den folgenden Mächten Indien (3920), Japan (3882), Bundesrepublik Deutschland (3324), Großbritannien (3004), Frankreich (2909), Kanada (2846), Italien (2182) und Brasilien (2053) ist ähnlich eklatant wie der Abstand zu den Niederlanden (1363), Belgien (1104) oder Österreich (771). Länder mit relativ starken kommunistischen Parteien wie Spanien und Portugal rangieren in dieser Hierarchie mit 1268 beziehungsweise 927 Indexpunkten.

Luxemburg kommt bei den „Top-HO der Macht“ überhaupt nicht vor. Zwar genießt dieses kleine Land als Drehscheibe des internationalen Finanzverkehrs hohes Ansehen und weltweite Beachtung, - die Stärke und die Bedeutung der Kommunistischen Partei Luxemburgs jedoch wird zumeist geflissentlich übersehen. Dabei besetzt die KPL fünf der 59 Parlamentssitze. Sie errang bei den letzten Kommunalwahlen im Oktober 1975 in der an der französischen Grenze gelegenen Industriestadt Esch-sur-Alzette 27 Prozent der Stimmen.

Seit vielen Jahren gilt die KPL als moskauhörige, orthodoxe marxistisch-leninistische Partei, die kritiklos jeder Veränderung im politischen Wimperzucken aus Moskau sklavisch folgt Die ihr zugeteüte Aufgabe besteht hauptsächlich darin, mit der Bourgeoisie Luxemburgs fertig zu werden, aber auch im Kontakthalten mit der Moskauer Zentrale liegt ein weiterer Schwerpunkt der Parteikader. Die Aktivitäten in diesem Bereich werden sorgfältig abgeschirmt. In der Hierarchie der kommunistischen Parteien in Europa nimmt die KPL aufgrund ihrer organisatorischen Geschlossenheit, ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft und militanten Stärke einen höheren Rang ein, als der Staat Luxemburg in der Machthierarchie hinter den „Top-110“.

In der von den belgischen Politologen erstellten Weltrangliste steht das eigene Land an 27. Stelle. Fragt man nach dem Rang des Kommunismus in Belgien, dann stellt man jeden Forscher vor zumindest ebenso komplexe

Probleme wie beim Messen der Staatsmacht. In beiden Fällen bildet die koloniale kongolesische Vergangenheit und die zaireische Gegenwart ein für Messungen undurchdringlich scheinendes Dickicht von Interessenabwägungen. Doch ist gerade hier ein Ansatz zu finden, warum Belgiens Kommunisten so zersplittert operieren und - anders als bei den eurokommunistischen Massenbewegungen in den Mittelmeerländern - im belgischen Volk so wenig Unterstützung finden.

Die aus dem flämischen und dem wallonischen Sprachflügel bestehende kommunistische Partei Belgiens (KPB-PKB) hatte bei den Parlamentswahlen 1946 immerhin 12,68 Prozent der Stimmen erhalten, 1977 waren es nur noch 2,7 Prozent. Von den 212 Abgeordneten der Kammer sind nur zwei Kommunisten, der Parteivorsitzende Louis van Geyt und ein wallonischer Abgeordneter. Das an der Brüsseler Stalingradlaan residierende Zentralkomitee der KPB-PKB hat in den letzten 30 Jahren wenig Grund zur Genugtuung gehabt. Die jungen Akti-

stung, um zu überleben“ ebensolche Priorität zu geben wie dem Kampf gegen die Kernenergie. Und dafür demonstrieren selbst kleine Kinder. Die Hauptarbeit aller Kommunisten in Belgien liegt seit langem nicht mehr beim Kampf um Wählerstimmen, sondern richtet sich auf die moralische Zersetzung bürgerlicher Gruppen mit Hilfe selektierter Ideologiescheiben aus dem feingefächerten Argumen-ten-Koffer des Marxismus-Leninismus.

Das gilt ebenso für die an 15. Stelle in der Machthierarchie der belgischen Politologen rangierenden Niederlande. Unter Berücksichtigung des kürzlichen Erfolges der Anti-N-Waffen-kampagne hat die auf Befehl Moskaus umstrukturierte Kommunistische Partei der Niederlande (KPN) jedem Gedanken an Eurokommunismus abgeschworen. Der direkte Draht zu Moskau funktioniert wie nie zuvor. Zwei Wochen vor dem Breschnjew-Besuch in Bonn kannte eine sowjetrussische Parlamentarier-Delegation (unter ihnen der stellvertretende In-

visten sind nicht nachgerückt, der natürliche Abgang der alten Kämpfer hat den Verarmungsprozeß beschleunigt. Im April 1977 starb eine der farbigsten Stützen der belgischen Kommunisten, Jean Terfve, Chef der in zwei Sprachen herausgegebenen Parteizeitungen „Le Drapeau Rouge“ und „De Roode Vaan“. Der 71-jährige Intellektuelle aus Lüttich war noch im vorigen Jahr mit dem Sowjetorden der Oktoberrevolution ausgezeichnet worden.

Den zumeist aus der antifaschistischen Bewegung des Zweiten Weltkrieges hervorgegangenen Altkommunisten fehlt der Nachwuchs. Belgiens Jungkommunisten sind untereinander zerstritten. Die revolutionären Heißsporne haben sich extremen Gruppen zugewandt wie der „Revolutionären Arbeiter-Liga“, der trotzkisti-schen „Revolutionären Arbeiterpartei“, der „Union der marxistisch-leninistischen Kommunisten“ oder gar der in Antwerpen besonders starken „AMADA“ (Alle Macht an die Arbeiter), die sich auch als „Kommunistische Arbeiterpartei im Aufbau“ bezeichnet. „AMADA“ kombiniert mao-istisch-stalinistische Auffassungen mit PLO-Slogans, albanischen Tiraden und kongolesischem Revolutionismus. Klassenkämpfertum und Feindschaft gegenüber der Belgischen Kommunistischen Partei hindert alle diese Gruppen nicht der Moskaugelenkten Kampagne gegen „Abrü-

nenminister der UdSSR, Viktor Papu-tin) sich von der „Friedensliebe“ der Niederländer eine Woche lang überzeugen.

Die Seitenwagen-Funktionen sektiererischer Marxisten wie die „Kommunistische Einheitsbewegung“, der „Bund niederländischer Marxisten-Leninisten“ oder die „Kommunistische Arbeiterorganisation“ bleiben von der Kreml-gesteuerten KPN unbehelligt. Wichtig für alle dagegen bleibt das Ansteuern der moralischen Kapitulationsbereitschaft der Politiker aus dem bürgerlichen Lager. Während man in den drei großen Parteien der Niederlande einen für Fragen des Kommunismus zuständigen Fraktionsabgeordneten wenigstens in der sozialistischen PVDA und in der liberalen WD findet, ist die Suche nach einem solchen Experten in der christdemokratischen Parlamentsfraktion vergeblich.

Ob einige Politologen eines Tages die Kraft finden werden, den tatsächlichen Stellenwert der Benelux-Kom-munisten dem Weltmachtrang dieser Staaten gegenüberzustellen, mag getrost fürs erste eitle Hoffnung sein. Der Eurokommunismus in den Benelux-Staaten ist nicht zu messen. Weil es ihn nicht gibt. Deswegen sind die Kommunisten in den Benelux-Staaten aber nicht ungefährlicher für das politische System dieser Länder.

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