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Moskaus Expansion stört Gleichgewicht

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Der russische Physiker, Nobelpreisträger Andrej Sacharow, ,,Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe“, derzeit nach Gorki ‘verbannt, schrieb dem US-Physiker Sidney Drell einen Brief. Zitate daraus:

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Der russische Physiker, Nobelpreisträger Andrej Sacharow, ,,Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe“, derzeit nach Gorki ‘verbannt, schrieb dem US-Physiker Sidney Drell einen Brief. Zitate daraus:

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Totaler Atomkrieg könnte den Menschen als biologische Art ausrotten und sogar die Ausmerzung des Lebens auf der Erde bewirken. Wenn die „Nuklearschwelle“ überschritten wird, also ein Land irgendeine Atomwaffe selbst in» beschränktem Rahmen anwendet, wäre eine Kontrolle des weiteren Ablaufs schwierig und das wahrscheinlichste Ergebnis eine Aufschaukelung.

Es ist relativ unwichtig, wie die nukleare Schwelle überschritten wird — als Ergebnis eines atomaren Präventivschlags oder im Verlauf eines mit herkömmlichen Waffen geführten Krieges, der ein Land mit einer Niederlage bedroht, oder einfach als Resultat eines Unfalls.

Im Licht des Gesagten haben Nuklearwaffen einen Sinn nur als Mittel zur Abhaltung eines nuklearen Angriffs durch einen möglichen Gegner. Nukleare Waffen können nicht als Mittel zur Eindämmung einer mit herkömmlichen Waffen geführten Aggression angesehen werden.

Die UdSSR und andere Länder des sozialistischen Lagers haben Armeen von großer Zahlenstärke und rüsten sie ständig ohne Schonung ihrer Ressourcen weiter auf. Deshalb ist die Herstellung des Gleichgewichts auf dem Gebiet konventioneller Waffen notwen-

dig, und diese ist nur möglich durch die Investition großer Mittel und durch eine wesentliche Änderung in der psychologischen Atmosphäre des Westens. Letztlich ist dies erforderlich, um einen Atomkrieg, ja einen Krieg überhaupt unmöglich zu machen.

Genau deshalb, weil ein totaler Atomkrieg einem kollektiven Selbstmord gleichkäme, kann man sich vorstellen, daß ein möglicher Aggressor auf einen Mangel an Entschlossenheit seitens des angegriffenen Landes spekuliert, den ersten Schritt in Richtung Selbstmord zu tun, d. h. der potentielle Aggressor könnte auf die Kapitulation seines Opfers um der Rettung dessen willen, was zu retten ist, bauen. Es muß ein strategisches Gleichgewicht der nuklearen Streitkräfte geben, so daß keine Seite sich auf einen begrenzten oder regionalen Atomkrieg einläßt.

Natürlich ist mir klar, daß der Versuch, hinter einem potentiellen Feind nicht zurückzubleiben, uns zu einem tragischen Wettrüsten verurteilt. Aber die Hauptgefahr besteht darin, in einen totalen Atomkrieg hineinzuschlittern. Falls die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung um den Preis von zehn oder 15 Jahren eines weiteren Wettrüstens verringert werden kann, muß dieser Preis bezahlt werden.

Damit Abrüstungsverhandlun-

gen zu einem Erfolg führen können, sollte der Westen etwas haben, das er aufgeben kann. Es scheint mir sehr wichtig, die Abschaffung der mächtigen Raketen in Silos anzupeilen. Die UdSSR führt auf diesem Gebiet und wird diese Führung freiwillig nicht aufgeben.

Wenn es notwendig ist, ein paar Milliarden Dollars für die (amerikanische) MX-Rakete auszugeben, um diese Situation zu ändern, dann muß der Westen das vielleicht tun.

Wenn aber die Sowjets in Form von Taten und nicht nur von Worten bedeutsame und überprüfbare Schritte in Richtung eines Abbaus der Zahl landgestützter Raketen (genauer: in Richtung ihrer Zerstörung) unternehmen, dann sollte der Westen die MX-Rake- ten nicht nur abschaffen (oder nicht bauen), sondern auch noch weitere ins Gewicht fallende Ab-

rüstungsprogramme durchführen.

Ich weiß, daß im Westen pazifistische Neigungen sehr stark sind. Man sollte aber nicht von vornherein von der Annahme ausgehen, daß den sozialistischen Ländern eine Friedensliebe innewohnt, weil diese angeblich so fortschrittlich sind oder die Schrecknisse und hohen Verluste im Zweiten Weltkrieg erfahren haben.

Die Menschen haben sowohl in den sozialistischen wie in den westlichen Ländern eine leidenschaftliche innere Sehnsucht nach Frieden. Aber seit 1945 hat es eine ununterbrochene Expansion der sowjetischen Einflußsphäre gegeben, die heute Proportionen angenommen hat, welche dem internationalen Gleichgewicht gefährlich schaden können.

Nach TIME 27/1983

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