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Moskaus jüdische Antizionisten „enthüllen“ wieder

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Im Land der politischen Unmöglichkeiten haben Sowjetideologen und ParteipropagandisteH beschlossen, den „Kampf gegen den Weltzionismus“ mit Hilfe von Juden fortzusetzen. Die Partei suchte daher jüdische Vertrauensmänner, die man ins Ausland schicken konnte, um dort Kontakte mit Zionisten aufzunehmen, diese zu beobachten und dann zu „entlarven“. Die Wahl fiel unter anderen auf Aron Vergelis, Arkadij Sakhnin und Tsezar Samojlowitsch Solodar, die, reichlich mit Devisen ausgerüstet und zweckmäßig instruiert, auf Auslandsreisen entsandt wurden.

Solodar ist wahrscheinlich der interessanteste „Literat“ unter den jüdischen Antizionisten des Kremls. Er stammt aus Winniza und wollte Schriftsteller werden. Er besuchte in Kiew den juridischen Lehrstuhl des „Wirtschaftsinstitutes“. In den dreißiger Jahren schrieb er glorifizierende Gedichte über Stalin und die KP, und spezialisierte sich schon damals als „Enthüllungs-Stachanowist“, indem er mit Zeitungsartikeln, Versen und Kabarettszenen unwesentliche Mißstände in Cafės und auf Sportplätzen an den Pranger stellte oder Kriminalität im Taschenformat lächerlich machte. Während des Zweiten Weltkriegs verfaßte er ein Libretto für den Komponisten Dmitrij Kabalewsky und es entstand die erfolglose, längst vergessene Oper „Im Feuer“, ein musikalisches Urteil über den Teufel Faschismus. Im Jahre 1957 versuchte es Solodar noch einmal mit demselben Komponisten und schrieb ein sacharinsüßes Libretto für dessen Operette „Vesna poet“. Auch diesmal blieb der Erfolg aus. Anerkennung fand Solodar nur bei den Agitprop-Funktionären, die einmal, während einer Fünfjahresplan-Periode, erlaubt hatten, daß man über ihn eine Laudatio publizierte. Kurzum: Solodar vegetierte dahin. Die große Chance für ihn kam erst, als die Partei mit der großen Kampagne gegen den Zionismus begann. Jetzt konnte Solodar endlich Satiren am laufenden Band produzieren, konnte große Auslandsreisen unternehmen und mit dem Steuergeld der sowjetischen Kolchosbauern und „Werktätigen“ in westlichen Tanzbars um sich werfen, mit der Begründung, daß Zionisten eben hauptsächlich dort anzutreffen seien. Man glaubte ihm in Moskau, daß seine jiddischen Sprach- kenntnisse bei Kontaktaufnahmen mit Zionisten besonders hilfreich seien. Als er nach stürmischen Nächten aus dem „dekadenten Westen“ heimgekehrt war, veranstaltete er Märchenabende für naive Geheimagenten, Propagandisten und Redakteure, und enthüllte die „Geheimnisse der Zioni sten“. Manche Stories wurden dann auch im Magazin „Ogonek“ veröffentlicht. In der westlichen Halbwelt eingeholte Informationen faßte Solodar in einem Buch zusammen, das der Verlag „Sowjetskaja Rossįja“ prompt herausgab. Solodar schilderte in seinem Werk auch seine Erfahrungen anläßlich einer angeblichen Zionistenkonferenz der Organisation „Tseire- Tsion“ in Winniza, zu jener Zeit als er selbst genau neun Jahre alt war. Die Delegierten dieser Konferenz sollten dem,,Wunderknaben damals mitgeteilt haben, sie hätten am 2. Mai 1918 ein Programm zur Bekämpfung des Kommunismus beschlossen. Auch sollen die Zionistenführer Zhabotinsky und Simon Petijura vereinbart haben, in der westlichen Ukraine gegen die jüdische Bevölkerung ein Pogrom zu organisieren. Und Solodar war immer und überall dabei, wenn es etwas zu „enthüllen“ gab. So auch während des Zweiten Weltkrieges bei der Verhandlung eines Führers der Hitlerjugend mit „Winniza-Zionisten“ zwecks Zusammenarbeit gegen den Kommunismus. Hier sei die gemeinsame geistige Erbschaft Adolf Hitlers und Theodor Herzls offenbar geworden.

Solodar weiß natürlich auch, daß „die Invasion Palästinas“ durch die Zionisten nichts anderes war als eine „wohlgeplante imperialistische Operation“.

In der „Literatumaja Gazeta“ würdigte Professor G. Bondarwesky So- lodars Werk. Der Professor stellt dabei die spärlichen jüdischen Emigranten in den Vordergrund, die aus Israel oder aus dem Westen wieder in die UdSSR zurückkehren wollen. Seiner Meinung nach besteht Solodars Hauptverdienst darin, daß er in seinem Buch „den Modus operandi der zionistischen Seelenfangsmaschinerie“ dargestellt habe. Laut Solodar erhält nämlich jeder israelische Brief- sęhreiber, der einen Juden aus der Sowjetunion nach Israel lockt, 200 israelische Pfund ausbezahlt. Da bisher mindestens 100.000 Sowjetjuden ausgewandert sind, müßten die „zionistischen Agenten“ also nicht weniger als 20 Millionen verdient haben.

Professor Bondarewsky spart übrigens auch seinerseits nicht mit „Enthüllungen“. Er behauptet, die zionistischen Organisationen hätten mit drei karitativen Stiftungen, darunter mit der amerikanischen „Tolstoj Foundation“, ein Geheimabkommen abgeschlossen, das die Beförderung jüdischer Emigranten aus Israel nach Australien, den Vereinigten Staaten, Kanada und in andere Ausbeuterstaaten zum Ziele hat.

Auf diese Weise ist aus Solodar eine hervorragende Figur der sowjetischen „Dokumentarliteratur“ geworden. Sein einziger Kritiker war W. Kardin, der eine Warnung vor zusammengebrauten und gefälschten Dokumenten aussprach - eine Warnung, die den Propagandisten nicht ins Konzept paßte und daher unbeachtet blieb.

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