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Mubaraks Herausforderer

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Ägypten erlebt am 27. Mai seine dritten Parlamentswahlen nach einem Mehrparteiensystem und zugleich den ersten wirklich freien Urnengang seit über 60 Jahren. An die Stelle des apathischen Verhaltens der meisten Stimmbürger in den Wahljahren 1976 und 1979 ist ein regelrechter Wahlkampf getreten.

Zwischen den regierenden Nationaldemokraten und den fünf Oppositionsparteien, von denen zwei zum ersten Mal zugelassen sind, geht es dabei in erster Linie um das Fortbestehen des Friedens mit Israel und Wege zur besseren Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme des über 50 Millionen starken ägyptischen Volkes.

Seine erste parlamentarische Vertretung erhielt das ägyptische Volk schon 1866. Sie hatte nur beratende Funktion und entsprach damit der heutigen zweiten Kammer, der sogenannten „Schura". Das erste Parlament des modernen Ägypten war außerdem nicht durch die Wahl von Parteienvertretern zustande gekommen.

Als erste, damals noch geheime Partei wurde 1879 der „Hisb al-Watani" (Vaterländische Partei) gegründet. Zu Beginn unseres Jahrhunderts bildeten sich weitere Parteien. Die Sehnsucht nach der nationalen Selbstbestimmung des von den Briten besetzten Ägypten führte 1907 zur zweiten Gründung der Vaterländischen Partei durch den glühenden Nationalisten Mustafa Kamel.

An ihre Tradition knüpfen heute die Vaterländischen Demokraten unter dem Vorsitz von Präsident Hosni Mubarak an. Allgemein als „Nationaldemokraten" bezeichnet, wurde diese Partei im Sommer 1978 von Sadat ins Leben gerufen. Ein Jahr darauf errang sie eine überwältigende Zweidrittelmehrheit in der gesetzgebenden ersten Kammer, der „Volksversammlung".

Auch die nunmehrigen Herausforderer von Sadat-Nachfolger Mubarak und seinen Nationaldemokraten können auf eine fast ebenso lange Parteitradition verweisen: Im November 1918 gründete Saad Zaglul die erste große nationale Volkspartei, den „Wafd". Diese „Delegations-Partei" — sie trägt ihren Namen von einer Abordnung der ägyptischen Nationalisten an die Pariser Friedenskonferenz—verkörperte zwischen den beiden Weltkriegen die Hoffnungen des ägyptischen Volkes.

Vordringliches Ziel des Wafd war die Erlangung der vollständigen und ungeteilten Unabhängigkeit des Landes. Zur gleichen Zeit wurde auch die Lösung der sozialen Probleme immer notwendiger. Die sogenannte „Revolution" von Saad Zaglul im Jahr 1919 brachte bereits eine Erhebung bedeutender Teile der Bevölkerung an der Seite des Wafd gegen die

Fremdherrschaft.

Von der nasseristischen Revolution des 23. Juli 1952 wurde das alte Parteiensystem und mit ihm auch der Wafd pauschal mit den mißlichen politischen und sozialen Zuständen der Vergangenheit identifiziert. Schon zur Jännermitte 1953 kam das Verbot aller Parteien. Die führenden Wafd-Politiker Nahas Pascha und Fuad Serag ed-Din wurden kaltgestellt oder verhaftet.

1977/78, als Sadat ein von ihm gelenktes Mehrparteiensystem auf die Beine zu stellen versuchte, konnte der inzwischen hoch betagte, doch immer noch höchst agile Serag ed-Din seine Partei als „Neuen Wafd" wiederbegründen. Schon nach wenigen Monaten hatte die Organisation einen solchen Zulauf, daß Sadat um seine absolute Machtstellung als Staats-, Armee- und Parteichef — bei den damaligen „Ägyptischen Sozialisten" — zu fürchten begann: Im Mai 1978 wurde der „Neue Wafd" zur Selbstauflösung genötigt.

Erst mit Mubaraks neuem Parteiengesetz konnten die Wafdi-sten ihre Aktivitäten seit Februar wieder aufnehmen. Wären Begeisterung und Sympathien der Bevölkerung allein ausschlaggebend, so muß Ägyptens neuer Ministerpräsident nach dem 27. Mai schon jetzt Serag ed-Din heißen.

Die zweite Partei, die erstmals bei diesen Parlamentswahlen zugelassen ist, wird vom islamischen Fundamentalisten Ahmad as-Sabahi geführt. Sie nennt sich „Umma", das heißt: Partei der Muslim-Ökumene. Ihr Führer, der sich als „Chomeini von Ägypten" titulieren läßt, sitzt an seinem Schreibtisch vor einem Telefonapparat ohne Anschluß.

Auch sonst wird die „Umma" nicht ernst genommen. Die außerparlamentarische Opposition der „Islamischen Gemeinschaften" boykottiert auch diesen „gottlosen" Wahlgang. Hingegen hat die starke Fraktion der Muslim-Brüder mit ihrem Führer Omar al-Tilmissani im Wafd Unterschlupf gefunden. Desgleichen die christlichen Kopten.

Sie ließen sich früher durch sogenannte „unabhängige Abgeordnete" vertreten. Das neue Wahlrecht sieht aber erstmals Kandidatenlisten der Parteien und keine Einzelgänger mehr vor. Diese Wende von der Person zum Parteiprogramm und zur Ideologie wird auch an den Wahlplakaten deutlich.

Die Wafdisten plakatieren als Symbol des von ihnen angestrebten inneren und religiösen Friedens eine graphisch gut gelungene Zusammenschau von Kirchtürmen, Minaretts und Moscheekuppeln. Die Nationaldemokraten hingegen bevorzugen grüne Plakate mit dem Halbmond und dem islamischen Kriegsruf „Allahu akbar-Gott ist groß!"

Bestenfalls Aussicht auf ein paar Ehrensitze in der neuen ägyptischen Volksversammlung haben die linksnasseristische „Nationalprogressive Sammlung" und die Liberalen. Beide sind wie die Nationaldemokraten aus der ehemaligen Einheitspartei Abdel Nassers hervorgegangen, der „Arabischen Sozialistischen Union" (ASU).

Schließlich liegt noch die „Sozialistische Arbeiterpartei" im Rennen. Mit ihrem Bekenntnis zur islamischen Soziallehre und spektakulärer Ablehnung von Sadats Aussöhnung mit Israel konnte sie seit 1979 die stärkste oppositionelle Fraktion in die Volksversammlung entsenden. Nun wird aber auch sie den Trend zum Wafd zu spüren bekommen.

Schon jetzt tobt die eigentliche Wahlschlacht zwischen Wafdisten und Nationaldemokraten allein. Ihre Programme stehen sich diametral gegenüber: Beim Wafd Forderung nach freier, sozialer Marktwirtschaft, bei der Regierungspartei Rückkehr zu den nasseristischen Direktiven von Plan-und Staatswirtschaft, Devisenkontrollen und einer protektioni-stischen Import- und Zollpolitik; außenpolitisch bei den Wafdisten Konfrontationskurs gegen Israel, Festhalten an Camp David in der Regierungsmannschaft.

Doch sind die Nationaldemokraten kaum zu schlagen, sollte nicht Mubarak selbst an einem Austausch seiner abgenützten Mitarbeiter gegen die ideenreichen und populären Persönlichkeiten des Wafd interessiert sein.

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