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Müde Rechercheure

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Das „Journal für angewandte Sozialforschung“ referiert in seinem letzten Heft über eine Untersuchung, derzufolge der ORF „bei einem beträchtlichen Teil der österreichischen Bevölkerung Unbehagen“ hervorruft. Schade ist dabei nur, daß man nicht erfährt, wer diese Untersuchung durchgeführt hat und wann. Denn während zu einer im selben Heft wiedergegebenen Umfrage zum Thema der Schwangerschaftsunterbrechung immerhin angegeben wird, es habe sich um eine Untersuchung der SWS (Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft) gehandelt, wird auf die Herkunft der ORF-Daten mit keinem Wort eingegangen.

Total Branchenunkundige finden im Journal der SWS überhaupt wenige Hinweise auf einen ideologischen Standort, der ja der Meinungsforschung auch in keiner Weise zusteht. Hinweise bieten dem Unwissenden allenfalls Autorennamen wie Ernst Gehmacher oder Albrecht

K. Konecny, die bekanntlich beide dem IFES, dem Meinungsforschungsinstitut des SP-Abgeordneten Karl Blecha, angehören. Tatschälich wird im „Journal“ auch vorwiegend über IFES-Umfragen berichtet.

Sei es, daß IFES-Interviewer am Werk waren, sei es, daß die SWS eigene Rechercheure auf den Weg schickte oder ein anderes Institut verantwortlich zeichnet, die Ergebnisse entsprechen jedenfalls in einigen Punkten mehr, in anderen etwas weniger dem, was sich dem Regierungschef nahestehende Leute von einer solchen Untersuchung erwartet haben mögen, generell aber eher etwas mehr als etwas weniger.

Den spärlichen Angaben zum Sample zufolge scheinen knapp mehr als 200 Österreicher befragt worden zu sein, von denen nun allerdings, und das kann den ORF-General, falls er's glaubt, wirklich nicht freuen, gleich viele Leute fanden, das Programm sei seit der Rundfunkreform besser beziehungsweise schlechter geworden. 22 Prozent entschieden sich für „besser“, 23 Prozent für „schlechter“. 40 Prozent aber fanden, die Qualität des Programms sei etwa gleich geblieben. 15 Prozent entschieden sich für „weiß nicht“.

Was an der Untersuchung erstaunt, ist das Fehlen jeglicher Differenzierung zwischen Hörfunk und Fernsehen. Offenbar wurde nicht gefragt, ob jemand etwa das Hörprogramm besser, das Fernsehprogramm schlechter fand oder umgekehrt — und in diesem krassen Mangel an Differenzierung mag ja auch ein Grund dafür zu suchen sein, daß auf die sonst, milde gesprochen, übliche Quellenangabe beim Zitieren einer solchen Untersuchung vergessen wurde. Denn besondere Lorbeeren für diese professionelle Leistung auf dem Gebiet der Meinungsforschung wären kaum zu erlangen gewesen.

Unter den Pensionistenjahrgängen fanden auffallend wenige der Befragten die ORF-Programme (was immer sie darunter verstehen mochten) besser. Sowohl unter den Akademikern als auch unter den leitenden Angestellten zogen sich besonders wenige auf die Kompromiß- oder Verlegenheitsantwort zurück. die Qualität sei gleich geblieben. Besonders oft fanden leitende Angestellte und Beamte, sowie Pensionisten die Programme schlechter. Jüngere Menschen, Maturanten, Akademiker und ÖVP-Anhänger entschieden sich besonders selten für „schlechter“.

Interessant wäre es natürlich, zu wissen, auf welche Weise die Befragten den Parteien zugeordnet wurden, aber derlei erfährt man ja kaum je, denn solche Befragungen werden oft an kommerzielle Aufträge „angehängt“, über die Stillschweigen bewahrt wird, die Zuordnung aber pflegt sich aus den Antworten auf eine Vielzahl weiterer, im Auftrag des jeweiligen Kunden geteilte Fragen zu ergeben. Oder handelt es sich hier um eine selbständige, nicht an einen anderen Auftrag „angehängte“ Untersuchung? Auch das erfährt man nicht.

Weshalb man mit Reserve zur Kenntnis nimmt, daß die Anhänger der SPÖ in der ORF-Frage kaum anderer Meinung waren als die übrigen Leute, was auch für die Nichtengagierten und FPÖ-Anhän-ger gilt, während ÖVP-Sympathi-santen „am häufigsten für .besser' votierten“ (Aber auch die Gebildeteren gaben bessere Zensuren).

Anderseits fand der Vorschlag, den Zeitungsherausgebern die Verantwortung für ein weiteres Fernsehprogramm zu übertragen, nur bei den SPÖ-Anhängern nennenswerte Zustimmung, was niemandem weh tut, da sich die SPÖ-Spitze, sprich der Kanzler, offenbar ohnehin von diesem Gedanken wieder entfernt hat.

Die Ergebnisse der Befragung wurden in etlichen Zeitungen nachgedruckt — und fanden womöglich sogar Leser, die sie ernst nahmen. Weil offenbar das Etikett „Umfrage“ noch immer für Unfehlbarkeit bürgt. Sogar unter „Gebildeten“.

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