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Münchner Signale

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Die Münchner SPD hat in den vergangenen Tagen und Wochen erneut Anschauungsmaterial dafür geliefert, wie tief und beinahe unüberbrückbar der Riß innerhalb der Partei bereits geworden ist.

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Die Münchner SPD hat in den vergangenen Tagen und Wochen erneut Anschauungsmaterial dafür geliefert, wie tief und beinahe unüberbrückbar der Riß innerhalb der Partei bereits geworden ist.

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Ende Juni war eigens ein kommunalpolitischer Unterbezirksparteitag einberufen worden, auf dem die Diskussion über die in diesem Zusammenhang zentralen Rechenschaftsberichte des Oberbürgermeisters und des Fraktionsvorsitzenden kurzerhand abgewürgt werde. Die linke Mehrheit der Delegierten wollte Sachprobleme besprechen, das heiße Eisen der konfliktgeladenen Zusammenarbeit mit der eher aus Pragmatikern bestehenden Rathausfraktion aber bewußt in der Versenkung verschwinden lassen. Daraufhin wandten sich Oberbürgermeister Kronawitter, seine beiden Bürgermeister und der Fraktionsvorsitzende Pre.issinger in einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Eine Parteitagsmehrheit — so heißt es darin —, die es demonstrativ ablehne, über existentielle Probleme der eigenen Fraktion zu diskutieren, die schwerwiegende Rückwirkungen auf die Wirksamkeit der Partei hätten, überlasse ihre Mandatsträger sich selbst und habe das Recht der Einflußnahme auf die Fraktionsarbeit verwirkt. Die Spitzenpolitiker im Rathaus betonen, sie würden künftig, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, „bei jeder wichtigen Entscheidung über alle Parteigrenzen hinweg für eine Mehrheit der Vernunft im Münchner Stadtrat kämpfen“.

Wenige Tage nach dieser offenen Drohung der gemäßigten und noch immer stark an Vogel orientierten Gruppe, wenn notwendig mit CSU und FDP gegen die Linken innerhalb der eigenen Partei zusammenzuarbeiten, kam es zu einem weiteren Eklat. Einer der stellvertretenden Parteivorsitzenden des Unterbezirks, der Vorsitzende der bayrischen IG-Metall, Erwin Essl, erklärte den Rücktritt von seinem Partei-

amt. Er wies darauf hin, daß er wegen Arbeitsüberlastung nicht die Möglichkeit habe, im erforderlichen Maße auf die politischen Entscheidungen des Unterbezirkes Einfluß zu nehmen und deshalb politische Entscheidungen hinnehmen müsse, die er nicht mehr vertreten könne. Damit hatte sich erstmals ein prominenter Gewerkschaftler von der Politik der Linken distanziert. Essl, ein altgedienter Kämpfer des progressiven Flügels, hatte vor einigen Wochen den linken Flügelmann Geisel-berger der Zusammenarbeit mit kommunistischen Gewerkschaften beschuldigt. Die Beweise wurden bisher als nicht stichhaltig zurückgewiesen.

Das vorläufige Ende dieser neuesten Runde im Polit-Masochismus der Münchner SPD bildete eine Abstimmung innerhalb der Rathausfraktion, weil der Fraktionsvorsitzende die Vertrauensfrage gestellt hatte. Das Ergebnis — 25 Ja- und 17 Nein-Stimmen — bestätigte den bisherigen Vorrang der Gemäßigten in diesem Gremium. Das Patt zwischen Partei und Fraktion ist damit noch einmal mehr unter Beweis gestellt worden.

Vieles scheint in München darauf hinzudeuten, daß diese jüngsten Auseinandersetzungen in der hiesigen SPD nicht völlig spontan, sondern nach einer gewissen Regie abgelaufen sind. Bundesbauminister Vogel ist in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der bayrischen SPD und Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten bemüht, möglichst frühzeitig die Weichen für die Landtagswahlen im nächsten Jahr zu stellen. Jetzt bekannt gewordene Ergebnisse einer Meinungsumfrage zeigen, daß ein Wahlerfolg gegen die CSU durch die Münchner Querelen ernsthaft gefährdet ist. Insbesondere der

Linksruck und das imperative Mandat erhielten von den Befragten eine eindeutige Ablehnung.

Es gehört nun offensichtlich zur Strategie Vogels, diesen „Infektionsherd“, der — wie ihn bittere Erfahrung gelehrt hat — nicht wegzuope-rieren ist, wenigstens in aller Öffentlichkeit zu lokalisieren, zu isolieren und als gefährlich zu brandmarken. Das Wahlvolk soll begreifen, daß an einigen bestimmten Stellen intellektuelle Utopisten die Basisorganisa-tionen unterwandert haben und dadurch einen überproportionalen Einfluß ausüben. Dem Wähler wird gezeigt, wie sich immer mehr breite Arbeitnehmerschichten, allmählich aber auch die Gewerkschaften, von diesem unrealistischen Linkstrend entfernen und dabei von allen einsichtigen SPD-Spitzenpolitikern wirksam unterstützt werden. Eindeutige Abgrenzungen gegenüber dem Kommunismus und dem imperativen Mandat, die von dieser Seite in nächster Zeit noch vermehrt zu erwarten sind, sollen diese Abkehr noch unterstreichen. Außerdem wird nun offenbar darauf hingearbeitet, den linken Fraktionen in den verschiedenen Gremien einen organisierten Gegenpart der Gemäßigten gegenüberzustellen. In der Münchner Stadtratsfraktion ist dies bereits Wirklichkeit geworden. Besonnene Männer an der Spitze und ein breites Volk an der Basis — so suggeriert diese Strategie — werden dafür sorgen, daß die SPD auch künftig wirkungsvoll eine Politik der Vernunft für den kleinen Mann betreiben kann.

Ob dieser Plan, der nicht nur ausschließlich auf die Landtagswahlen, sondern auch auf die Situation in den übrigen deutschen Bundesländern abgestellt ist, zumindest gewisse Teilerfolge erreicht, dürfte nicht zuletzt davon abhängen, ob die Linken wegen des Wahlergebnisses bereit sind, zusätzliches Wohlverhalten an den Tag zu legen. Tun sie es nicht, dann sind sie bereits jetzt eindeutig zum Sündenbock abgestempelt.

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