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Museen vor der Befreiung?

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Die Bestände eines Museums werden innerhalb der staatlichen Buchführung als tote Masse angesehen und werden nicht bewertet. In der Bilanz eines staatlichen Museums findet sich auf der Aktivseite keines der herrlichen Bilder. Entsprechend wird auch kein Vermögensverlust angezeigt, wenn die Bilder und andere Kunstschätze verrotten oder einem Diebstahl zum Opfer fallen. Die Bilanz bliebe sogar unangetastet, wenn das Museum mit all seinen Kunstgegenständen einem Brand zum Opfer fiele. Offiziell, das heißt in der staatlichen Buchhaltung, wird davon keine Notiz genommen.

Als Korrelat zu diesem für den gesunden Menschenverstand höchst merkwürdigen Budgetie-rungsprinzip schreiben die staatlichen Richtlinien in fast allen Fällen vor, daß das Museum keine Bilder verkaufen darf.

Ein zweites Budgetprinzip ist für die Leitung eines staatlichen Museums — wie auch aller anderen staatlichen Kunsteinrichtungen — noch wesentlich hinderlicher. Alle Einnahmen und Ausgaben gehen über das allgemeine Staatsbudget. Dies bedeutet, daß eine staatliche Kunstinstitution, die durch eigene Anstrengung zusätzliche Einnahmen erzielt, diese gar nicht verwenden darf, sondern abliefern muß. Eigene Anstrengungen lohnen sich damit nicht, denn sie werden zu 100 Prozent besteuert.

Eine staatliche Kunsteinrichtung hat unter den heute bestehenden Bedingungen somit einen stark eingeschränkten Handlungsspielraum. In diesem Sinne befindet sie sich in einer Zwangsjacke staatlicher und bürokratischer Bevormundung. Für eine Eigeninitiative bleibt kein Platz; im Falle der staatlichen Museen wird eine aktive Ausstellungsund Anschaffungspolitik unmöglich gemacht, und die Bestände sind weiterhin der Gefahr der Qualitätsminderung und gar der Zerstörung ausgesetzt. In der Tendenz führt diese staatliche Bevormundung und zwangsweise Immobilisierung zu einer Erstarrung und Erstickung der Kunst.

Diese schwerwiegenden Probleme sind nur lösbar, wenn Museen zumindest teilweise aus der staatlichen Bevormundung entlassen werden. Damit wird den künstlerischen gegenüber den administrativen Belangen wieder mehr Gewicht eingeräumt. Ein wirkungsvolles Mittel, den Museen mehr künstlerischen Freiraum zu verschaffen, besteht darin, ihnen generell zu erlauben, Bilder und andere Kunstgegenstände zu verkaufen.

Schon auf den ersten Blick hat die Möglichkeit, auf dem Kunstmarkt aktiv tätig zu werden, zwei überzeugende Vorteile:

Die zur Rettung des Bestandes vor Verfall, Diebstahl oder Brand notwendigen Mittel sind bei den heute geltenden Gemäldepreisen leicht zusammenzubringen. Es sei beispielsweise nur daran erinnert, daß Van Goghs „Sonnenblumen“ vor wenigen Monaten fast 500 Millionen Schilling eingebracht haben. Mit ähnüchen Summen können ohne weiteres die notwendigen Maßnahmen zur Bewahrung der Sammlungen finanziert werden.

Die Leitung eines Museums wird zuerst Kunstgegenstände verkaufen, die nie oder nur selten ausgestellt werden, aber sonst für die Öffentlichkeit unzugänglich in den Kellerräumen ruhen. Ein Verkauf derartiger nicht essentieller Bilder an andere Museen oder Sammlungen hätte somit darüber hinaus den nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß sie von den Kunstliebhabern in natura betrachtet werden können.

Auch ein Verkauf von weniger wichtigen Bildern aus der öffentlich zugänglichen Sammlung käme in Frage, wenn es darum geht, Meisterwerke vor dem physischen Zerfall zu bewahren. Der zweite wichtige Vorteil ist damit bereits angesprochen: Der Verkauf von Objekten der Sammlung ermöglicht den Museen eine vom Staat unabhängige Finanzierungsbasis und befreit damit das Museum aus der Bevormundung der Politiker und der öffentlichen Verwaltung. Eine eigenständige Museumspolitik läßt sich gestalten.

Es sei nicht verheimlicht, daß dieser Vorschlag eine Gefahr in sich birgt, nämlich die, daß die staatlichen Subventionen an die Museen gekürzt werden, weil nun offenbar wird, daß eine Selbstfinanzierung möglich ist. Die Mitglieder der öffentlichen Verwaltung, die eine finanzielle Unabhängigkeit der staatlichen Museen ohnehin bekämpfen werden, weil sie dadurch an Einfluß verlieren, werden ganz sicherlich mit dieser Konsequenz drohen. Allerdings sollte diese Gefahr aus zwei Gründen nicht als allzugroß angesehen werden:

Einmal bestehende Subventionen haben auch bei einer Änderung der Bedingungen die Tendenz zu überdauern, wie ja aus allen staatlichen Bereichen hinlänglich bekannt ist. Dies gilt auch für den Bereich der Kunst.

Der Verkauf eines Kunstgegenstandes stellt nur einen Tausch auf der Aktivseite der (imaginären) Bilanz eines Museums dar: Ein Aktivum, zum Beispiel ein Bild, wird gegen Geld getauscht, und das Geld wird wiederum dazu verwendet, einen Vermögensverzehr in Form des Verfalls von Kunstgütern aufzuhalten. Dieser Aktivtausch ist von den laufenden Betriebsausgaben zu unterscheiden. Es ist nicht einzusehen, warum die Subventionen für diese laufenden Aufwendungen vermindert werden sollten.

Aufgrund dieser Überlegungen wird deutlich, daß die Vorteile des obigen Vorschlags bei weitem überwiegen. Eine „Kommerzialisierung“ der Museen in der Form einer Möglichkeit, auf dem Kunstmarkt aktiv tätig zu werden, befreit diese auf einem wesentlichen Gebiet aus der staatlichen Zwangsjacke und führt zu ihrer Revitalisierung.

Der Autor ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich. Der Text ist ein Auszug aus seinem Referat zum Thema „Kunst und Kommerz“ beim Europäischen Forum Alpbach.

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