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Musik in Montreux-Vevey

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Zum 27. Male fanden sich am Genfersee, in den benachbarten Orten Montreux und Vevey, große Orchester unter bekannten Dirigenten, kleine Ensembles und zahlreiche Solisten ein, um während des „Septembre musical“ einem aufmerksamen und anspruchsvollen Publikum, das vorwiegend aus Einheimischen besteht, Meisterwerke der Musik in mustergültigen Aufführungen vorzuführen. Dieses reichhaltige und bunte Programm, das sich über einen ganzen Monat erstreckt, hat kein „Motto“, verfolgt keinerlei didaktische Absicht. Man will vielerlei bieten, wagt sich aber, was die Werke betrifft, mit wenigen Ausnahmen, nur bis an die Schwelle der neuen Musik.

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Zum 27. Male fanden sich am Genfersee, in den benachbarten Orten Montreux und Vevey, große Orchester unter bekannten Dirigenten, kleine Ensembles und zahlreiche Solisten ein, um während des „Septembre musical“ einem aufmerksamen und anspruchsvollen Publikum, das vorwiegend aus Einheimischen besteht, Meisterwerke der Musik in mustergültigen Aufführungen vorzuführen. Dieses reichhaltige und bunte Programm, das sich über einen ganzen Monat erstreckt, hat kein „Motto“, verfolgt keinerlei didaktische Absicht. Man will vielerlei bieten, wagt sich aber, was die Werke betrifft, mit wenigen Ausnahmen, nur bis an die Schwelle der neuen Musik.

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Die Philharmonie und der Chor von Belgrad haben mit dem Verdi-Requiem und der „Missa solemnis“ das Fest eröffnet. Wir hörten als erstes Konzert das dritte und letzte der Belgrader unter ihrem ständigen Dirigenten Gika Zadrakowitsch. „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ von Mussorgsky und die Vierte von Brahms, recht energisch angepackt und hartkonturig geraten, flankierten das Violinkonzert von Mendelssohn, mit dessen Solopart Yehudi Menuhin (letzter Satz!) nur noch mühsam fertig wurde. Aber die brillante Technik war ja eigentlich seine Sache nie, der silbrig-feine Ton und der noble Ausdruck sind geblieben und machten das Andante zum Erlebnis.

Fünf Tage später zog das zweite „Großorchester“ in Montreux ein: das N. H. K. Tokyo unter seinem ständigen Dirigenten Hiroyuki Iwaki. Die Japaner sind gegenwärtig auf einer Europatournee, in die auch die schöne Stadt am Genfersee einbezogen werden konnte. Im 1. Teil des Programms, bei der Ersten von Brahms, mögen etwa 95 Mann auf dem Podium des akustisch nicht gerade günstigen „Pavillons“ gewesen sein, bei Strawinskys „Sacre du printemps“ (das vor 60 Jahren nur wenige Kilometer vom Aufführungsort, in Ciarens, instrumentiert wurde) waren es wohl an die 110. — Nach allem, was man von dem ungemein disziplinierten und rasant spielenden Orchester gehört hatte, war man auf eine turbulente und lautstarke Frühlingsfeier gefaßt. Aber unter Iwakis Hand wird auch die Raserei gebändigt, und wir erinnerten uns, daß Strawinsky bei einer Probe im Teatro „La Fenice“ den Dirigenten gebeten hatte, einige Stellen nicht so heftig, sondern „plus mozartien“ spielen zu lassen... — Erstaunlich war die Einfühlung des N. H. K.-Orchesters in den Stil von Brahms. Iwaki liebt diesen Komponisten, das merkt man, und wenn man von der unbegrenzten Nachahmungsfähigkeit der Japaner spricht, so entgegnet er, daß man in Japan seit zwei Generationen fast ausschließlich europäische Musik höre, voran die Wiener Klassiker, daß man also mit dieser Musik bereits aufgewachsen sei und ihr — aber ist das ein Nachteil? — nur mit größerer Unbefangenheit entgegentrete als die europäischen Interpreten ...

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Zwischen diesen beiden Konzerten gab es sanftere Töne: in einem Vivaldi-Konzert der Solisti Veneti mit den „Vier Jahreszeiten“ und zwei Concerti (den Solopart des ersten blies der mit dem Flötenpreis des Vorjahres ausgezeichnete Chri-stian Cheret). Claudio Scimone lenkte durch allzu große Dirigierbewegungen ein wenig von der Musik ab und die Aufmerksamkeit auf sich. (Man kann sich diese Musik für 12 Streicher und Cembalo auch ganz ohne Dirigenten vorstellen, nur muß man dann halt ein wenig öfter proben.)

Im historischen Rahmen des aus dem 13. Jahrhundert stammenden Schlosses Chillon hörte man Kostbarkeiten alter Musik von den Höfen Karls VI. und Rudolfs II. von Prag, vom Hof Maximilians I. und Ferdinand I. aus Wien, vorgetragen von dem berühmten Symposium Musicum Pragensis, bestehend aus den Professoren und Doktoren Müller, Janoch, Prazak, Klement, Pok und Vachulka. Die frühesten, im 14. Jahrhundert geschriebenen Instrumentalwerke stammen aus verschiedenen Prager Codices und sind anonym. Isaac, Hofheimer und Senn vertreten die „deutsche Richtung“, Bendusi, Venegas de Henestrosa und Gabrielei die italienisch-spanische; gemeinsam ist ihnen eine Noblesse der Haltung (und Zurückhaltung), wie man sie in den späteren Jahrhunderten erst wieder bei Debussy finden wird. Obwohl die Prager Herren auf alten Instrumenten spielten, wurde aber keineswegs nur für „Vegetarier“ musiziert.

Im kleinen Theater von Vevey, welches das vor kurzem abgebrannte reizende Casino von Montreux ersetzen mußte, spielte das Kölner Kammerorchester unter Helmut Müller-Brühl ein Programm mit dem Titel „Glorie des Barock“, der zugleich auch die hohe Zeit der Oboe war. Neben Werken von Händel, Tartini, Bach und Couperin (unvergleichlich in seiner großen, majestätischen Geste) erklang als interessantestes Werk eine Suite von Telemann für drei Oboen und Kammerorchester — eine überaus anmutige und lyrische Komposition.

„Glanz der Blechbläser“ war der Titel eines gleichfalls in Vevey stattfindenden Konzerts des „Ensemble romand d'instruments de cuivre“, vereinigt mit dem „Grotipe instrumental de Radio Suisse Romande“. Nach einer kurzen Ouvertüre von Edward Gregson folgten Konzerte von Purcell und Telemann, hierauf Zeitgenossen (Zbinden, Vinter, Mer-son und Combe) mit kürzeren, zuweilen populären Vortragsstücken, die freilich von Strawinskys „Ebony-Concerto“, 1945 für Woody Herman's Band geschrieben, alsbald aus dem Gedächtnis verdrängt wurden. Schließlich sei noch ein Orgelabend von Pierre Cochereau erwähnt, mit Werken von Couperin, Cesar Franck, Messiaen und einer Improvisation Cochereaus, der gegenwärtig Organist von Notre-Dame zu Paris ist. In diesem Rahmen wirkten die beiden Choralvorspiele von Brahms ein wenig fremdartig, aber diese letzten Kompositionen des Wiener Meisters (op. 122) den letzten Takten Cesar Francks und dem allerersten Werk Messiaens („Apparition de l'eglise Celeste“) gegenüberzustellen, war doch ein sehr guter Gedanke.

Überhaupt fehlt es an Einfällen dem künstlerischen Leiter dieses Festivals, Rene Klopfenstein, nicht. Und für die Durchführung stehen nur ein sehr kleines Büro und relativ bescheidene Mittel zur Verfügung, die jedoch — dies ist unser Gesamteindruck — optimal verwendet werden.

Nicht mehr abwarten konnten wir, leider, das Gastspiel der Wiener Philharmoniker unter Abbado, das der „Festival Strings, Luzern“ und das der seinerzeit in Wien gegründeten „Philharmonia Hungarica“ ...

Flötenwettbewerb

Für den schon zur Tradition gewordenen Concours de Flute hatten sich etwa 50 Teilnehmer aus 14 Ländern gemeldet, einschließlich Uruguay und Kanada. Eine aus Schweizer, französischen, italienischen und deutschen Fachleuten bestehende Jury hat den 1. Preis Guy Cottin, den 2. Xavier Pillot (Frankreich) und den 3. an Edward Beckett (Irland) verliehen. In einem Schlußkonzert im Schloß Chillon konnte man sich von der Richtigkeit dieser Entscheidung überzeugen, als die drei Laureaten, vom Kölner Kammerorchester begleitet, Konzerte von Mozart und Boccherini vortrugen. — Im nächsten Jahr gibt es einen Klavierwettbewerb „Clara Haskil“, die bis zu ihrem Tode hier gewohnt hat und Ehrenbürgerin Veveys wurde. Künftig finden alternierend Wettbewerbe für Flöte und Klavier statt.

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