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Digital In Arbeit

Musik in Zahlen

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Für die einen ist es einfach nur „Flohzirkus“, für die anderen bereits ein „Bombengeschäft“ - zumindest bei den Händlern gehen die Meinungen über den Weihnachtshit 1986, die Compact-Disc (CD), auseinander. Die optimistischen Erwartungen, die man in das Weihnachtsgeschäft gesetzt hatte, wurden zwar überall erfüllt, doch die magische 50-Pro-zent-Marke wird noch lange nicht erreicht sein. Bei den diesjährigen Inventuren müssen sich die Schallplattengeschäfte mit einem 25-Prozent-Anteil an verkauften

„Spiegelscheiben“ zufrieden geben. „Aber das ist ja auch schon ganz gut, oder?“, untertreibt Bihri Steininger, Verkaufsleiterin bei Columbia in der Wiener Kärntnerstraße.

Uberall versucht man Euphorie zu dämpfen. Vor allem was die Preise der CD betrifft. Die Käufer werden das absolute Klangerlebnis noch eine gute Weile relativ teuer bezahlen müssen. Denn noch wird der Preis von den unzureichenden Produktionskapazitäten diktiert. Erst wenn sich die Herstellungsfirmen dem Boom angepaßt haben, können große Stückzahlen dem Konsumenten den Griff zu der Scheibe im „Weltraum-Design“ finanziell erleichtern. Und das wird (frühestens) erst in zwei Jahren der Fall sein.

Dies hoffen wenigstens die Händler. Ei schneller Preisverfall würde sämtliche Kalkulationen über den Haufen werfen. Teuer eingekaufte Discs — der Kapitaleinsatz für den Einstieg in das Geschäft ist „nicht groß — er ist enorm“ — müßten dann unter dem Einkaufspreis abgegeben werden. Und die Gewinnspanne ist, darüber sind sich alle Händler einig, ohnehin viel zu gering.

Trotz allem hat diese Zwölf-Zentimeter-Platte der alten Pressung einiges voraus, das ihr auf lange Sicht gesehen den überwiegenden Marktanteil sichern wird. Es ist dies weniger die vielgepriesene Unzerstörbarkeit, denn auch hier sind Kinderkrankheiten noch lange nicht ausgemerzt, als das bequeme und vielseitige Handling. Angefangen von Fernbedienung über Vor- und Rücklauf, extrem kurze Zugriffszeiten zu einzelnen Inhalten bis zu Programmiertechniken reicht das Spektrum der Möglichkeiten.

Dagegen wirkt die Bedienung eines Analogspielers wie das Entfachen eines Lagerfeuers mit dem Feuerstein gegenüber dem Einschalten des Elektroherdes. Auch die Spieldauer einer Seite von rund 60 Minuten ist ein Argument, das besonders für Klassikfreunde überzeugend klingt. Längere Werke können so ohne Unterbrechung und Wechselpausen genossen werden.

Schließlich sind es die Klangdimensionen, die auch Besitzern durchschnittlicher. Verstärkerund Lautsprecheranlagen zu ungewohnten Hörerlebnissen verhelfen. Verantwortlich dafür ist die Weitergabe der eigentlich schon etablierten Digitaltechnik bei der Aufnahme (auch analoger Schallplatten) an den Hörer beim Abspielen am CD-Player.

Die Tonschwingungen werden bei der Aufnahme in einzelne Abschnitte zerlegt (Sampling), nämlich 44.056 pro Sekunde, und berechnet. Das ins duale Zahlensystem (die Zahlen bestehen, wie bei Rechenoperationen im Computer, nur aus Einsern und Nullen) umgewandelte Ergebnis kann auf der Disc in Form von Erhebungen und Vertiefungen gespeichert werden. Diese soge-

nannten Pits werden beim Abspielen von einem Laserstrahl abgetastet, der an der verspiegelten Oberfläche reflektiert wird. Aus dem Zeitunterschied zwischen Reflexionen von Vertiefung oder Erhebung kann die ursprüngliche Zahlenfolge rekonstruiert und in elektrische Signale umgewandelt werden. Diese kommen, wie bei jeder Abspieltechnik, über Verstärker zu den Lautsprechern, wo sie als analoger Ton wieder hörbar werden. Keimfrei, steril und ungetrübt: besser als das Original.

„Die meisten Schallplattenhändler haben das Geschäft mit der CD verschlafen.“ Ernesto Gelles, Inhaber des ersten und bis jetzt einzigen Compact-Disc-Fachgeschäfts Österreichs in Wien, hat gut reden. Er ist vor zwei Jahren bereits mit vollem Risiko in das Geschäft eingestiegen und verkauft in seinem Plattenlokal ausschließlich Compact-Discs. In der Branche wird er et-

was mit scheelen Augen angesehen, doch der Erfolg gibt ihm recht. Uber 7000 Titel sind bei ihm erhältlich, auch er ist mit dem Weihnachtsgeschäft zufrieden.

Daß die zum Fest 1986 verschenkten CD-Player die Umsatzraten in seinem Geschäft noch weiter steigen lassen, da nun die zugehörigen Platten gekauft werden müssen, davon ist er überzeugt. Verständnis zeigt er auch für den Fachhandel: „Die Umstellung auf CD ist ja auch ein Platzproblem. Wie soll ein Plattengeschäft in der Innenstadt, das bis oben mit Analogplatten voll ist, umstellen?“

Erstmals, seit Edison „Mary had a little lamb“ auf seine Wachswalze gesungen hat, werden Schwingungen nicht als Schwingungen, sondern als Ziffernfolge gespeichert, Musik in Zahlen aufgelöst. Damit hat sich ein weiterer Bereich einem als modern geltenden Zeitgeist in Design und Technik angepaßt.

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