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Musik über die Grenzen

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Als vor etwa fünfzehn Jahren weltbekannte Künstler-wie etwa Gottfried von Einem - ins Waldviertel übersiedelten, wurde dies als „Weltflucht" registriert.

Als etwa zur selben Zeit, nämlich 1977, der Geiger und Dirigent Bi- jan Khadem-Missagh das Kammer- musik-Festival Austria im Wald- viertel gründete, nahm man davon als von einer weiteren Initiative zur kulturellen Förderung eines be- nachteiligten Randgebietes Notiz.

Doch inzwischen hat sich die Situation grundlegend geändert. Das Waldviertel hat eine Funktion im Herzen Europas, die von grenz- überschreitenden Aktivitäten ge- kennzeichnet ist. Damit wandelt sich die Funktion der Musik, die frei ist von den Grenzen der Spra- che.

Ging es bei der Gründung auch darum, für das damals neu gegrün- dete Tonkünstler-Kammerorche- ster mit seiner Serie von Konzert- gastspielen bis nach Spanien eine heimatliche Basis zu schaffen und in kleineren Veranstaltungsräumen erste Qualität der Aufführungen zu sichern, so wird im heurigen Jahr die Chance wahrgenommen, den hundertsten Geburtstag des gro- ßen tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu zu feiern. Zog sich in den Gründungsjahren des Festivals das Kammerorchester gerne zu intensiver Probenarbeit und Schallplattenvorbereitungen, wie beispielsweise für die Schu- bert-Platte im Schubert-Jahr, ins Wald viertel zurück, so finden heu- er vom 12. August bis 2. September nahezu dreißig öffentliche Konzer- te statt. Und nach dem Start mit den „Atzenbrugger Tänzen" in Al- tenberg/Breiteneich hat sich das Festival inzwischen in Horn, Stift Geras, Stift Zwettl, Eggenburg, Weitra und Schloß Ottenstein eta- bliert.

Partnerfestivals in der CSFR haben dazu beigetragen, daß auch Konzerte in Cesky Krumlov/Tsche- chisch-Krumlau und in Neuhaus/ Jindrichuv Hradec heuer hinzu- kommen. Musik wird hier wahrlich als verbindende Sprache gebraucht.

Auch wenn Interpreten wie das Concilium Musicum unter Paul Angerer, der Tenor Deon van der Walt, das Flieder Trio, oder das NÖ. Tonkünstlerorchester mitwir- ken, ist nicht ein Starkult beab- sichtigt, sondern ein ergänzendes Zusammenwirken kontrastierender Komponenten, so wie im Orchester etwa Bläser und Streicher am Ent- stehen eines größeren, harmoni- schen Ganzen beteiligt sind. Das Thema für das Festival 1990 lautet dem entsprechend „Kontraste".

Zu den Seminaren haben sich Teilnehmer aus mehr als vierzehn Nationen angemeldet, aus Europa, USA, Asien und sogar aus Afrika. Die meisten Referenten hierfür stehen schon seit Beginn zur Verfü- gung, neben Gottfried Hechtl (Flö- te), Alexander Arenkow (Violine), Leo Witoszynskyi und anderen steht heuer auch ein Seminar mit dem Komponisten Karl Heinz Füssl auf dem Programm. Um zu zeigen, daß das Motto „allegro vivo" mehr ist als eine Tempo Vorschrift, findet in Schloß Breiteneich ein Tag der Offenen Tür statt, „Hausmusik im Schloß", offen für alle, die selbst musizieren möchten.

Fortgesetzt wird auch die Kon- zertreihe „Podium der Zukunft", die junge Künstler und zeitgenössi- sche Komponisten präsentiert. Das Wort „allegro" soll dabei auf eine der Voraussetzungen der Musik hinweisen, nämlich glückliche, fröhliche Spielfreude. „Vivo" im Gegensatz zum Konservierten weist hin auf die Lebendigkeit gemeinsa- men Musizierens, wie sie für Kam- mermusik typisch ist. Beide Begrif- fe sollten besonders der neuen Musik förderlich sein, bei der wie im Zusammenleben über altherge- brachte Grenzen hinweg die schwierige Kunst spielerischer Leichtigkeit zu erleben sein wird. Die Fähigkeit zuzuhören ist dazu ebenso erforderlich wie das aktive Miteinander-Musizieren, Unterhal- tendes ebenso wie ernste Musik, ernste Arbeit ebenso wie eine er- holsame Atmosphäre. Und Kinder ab drei Jahren können an den Kur- sen ebenso teilnehmen wie - bei den entsprechenden Referenten - Ab- solventen von Meisterkursen.

Für die überwiegende Zahl der Interessenten sind allerdings die Konzertprogramme interessanter: Neben Martinu, Mozart, Bach, Haydn, Schubert und Brahms steht auch Musik von Karl Weigl auf dem Programm, einem österreichischen Komponisten, dem im vergangenen Sommer zu seinem 50. Todestag ein Symposion gewidmet war. Und neben anderen zeitgenössischen Werken kommt heuer erstmals eine Komposition des künstlerischen Leiters Bijan Khadem-Missagh im Festival zur Aufführung, Ballade und Invention für Violine solo und Streicher in einer Neufassung.

Musiker könnten in Zeiten der sich öffnenden Grenzen Entschei- dendes zum Zusammenleben der Nationen beitragen, auch wenn die existenziellen Fragen dabei nicht vergessen werden sollen. Miteinan- der im Waldviertel zu musizieren ist eine der sympathischesten Mög- lichkeiten, Trennendes abzubauen.

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