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Musikexploskm und Medienkrampf

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Die Zeichen stehen günstig: Aus den USA wird eine Zunahme des Laienmu- sizierens um 15 bis 20 Prozent berichtet; in Österreich sprechen die Soziologen von einer ,Musikexplosion“ (Blasorchester sprießen aus dem Boden!“). Die Jugendmusikschulen in der Bundesrepublik können den Ansturm kaum bewältigen. Der Instrumenten-Verkauf zeigt zunehmende Tendenz - und das alles trotz der bekannten Misere im Musikunterricht der Pflichtschulen (wo nur punktuell, durch die Initiative einzelner, Kreativität und sinnvolles Hören gefördert werden). Offensichtlich spielen die sogenannten Massenmedien“, vor allem Rundfunk und Fernsehen, hier eine positive Rolle.

Das Internationale Musikzentrum mit Sitz in Wien, dem Internationalen Musikrat und damit der UNESCO verbunden, koordiniert die Förderung der Musik in den audio-visuellen Medien. Ob die Salzburger Mammutkongresse, verbunden mit dem Salzburger TV-Opempreis, die notwendigen inhaltlichen Überlegungen oder auch nur

Kontakte, die über unverbindliche ,Messe“-Gespräche hinausgehen, zu fördern imstande sind, muß nach dem 11. Internationalen lMZ-Kongreß („Hören und Sehen: Musik im Medienverbund“) einmal mehr dahingestellt bleiben. Zu unterschiedlich sind die Arbeitsbedingungen in Ost und West oder, um ein anderes Beispiel zu nehmen, in Nigeria und Japan.

Verkaufsinteressen der Schallplat- ten-Konzeme und gesellschaftspolitische Vorstellungen kollidieren in den westlichen Ländern miteinander. Einen Medien-„Verbund“, daß heißt eine sachbezogene, nicht kommerziell gelenkte Zusammenarbeit, gibt es nicht: sie ist, so scheint es, in erster Linie ein Anlaß für monologische Kongresse. Ausnahmen sind im technischen Bereich zu registrieren, etwa bei Stereo- Experimenten des Fernsehens, wobei der Stereo-Ton über UKW abgegeben wird; die bis jetzt vorliegenden Ergebnisse sind wegen der unterschiedlichen ,ßasisbreite“ von Bild und Ton sehr wenig befriedigend.

Auch die Hoffnungen auf eine - wie es im Jargon heißt: medienspezifische - „Femseh-Oper“ wird man zunächst zurückstellen, wenn nicht begraben müssen. Der mit 125.000 Schilling dotierte Salzburger Femseh-Opempreis wurde einer kanadischen Produktion zugesproclien: ,-Aberfan“ von Raymond und Beverly Paneli. Das Stück benutzt ein tatsächliches Geschehen (den Einsturz einer Abraumhalde in dem walisischen Dorf Aberfan, wobei über 150 Schulkinder ums Leben kamen), um - laut Drehbuch - Zeugnis zu geben von der mißhandelten Unschuld in aller Welt. Neben der andeutungsweise dokumentierten Wirklichkeit ist mit filmischen Mitteln eine überhöhte Ebene hergestellt, auf der Symbolik und Selbstkritik (des Mediums Fernsehen) sich nicht immer einleuchtend mischen. Es fehlt an überzeugenden Kriterien für das, was „bildschirmgerecht“ ist. Büßer Konkurrenz“ beispielsweise lief ein Beitrag des niederländischen Fernsehens (in Co-Produk- tion mit dem Westdeutschen Rundfunk und dem Dänischen Radio), weil die Musik von Peter Maxwell Davies zuvor schon als „szenisches Konzert“ aufgeführt worden war: „Acht Lieder für einen verrückten König“; die hintergründig-witzige und einfallsreiche Femsehversion dieser geistvollen, pointenreichen Songs hätte den Kanadiern ohne Zweifel Konkurrenz bereitet! Medienspezifisch ist nicht zuletzt immer noch der Medienkrampf- obgleich sich angesichts der Breitenwirkung von Video-Technik ein Wandel abzeichnet.

Uber die Rolle der technischen Medien bei der Musik-Animation“, der Hinführung noch abseits stehender Kreise zur Musik, beriet ein abschließendes Kolloquium; zugrunde lag ein umfangreicher Report über „Musik und das Publikum von morgen“, den ursprünglich die internationale Vereinigung der Phonogramm- und Videogramm-Produzenten, also der Hersteller von Schallplatten, Ton- und Bildkassetten, in Auftrag gegeben hatte. In der Diskussion zeigte sich, daß über das Publikum •vonmorgennur sehr undeutliche Vorstellungen bestehen und man umso mehr durchdrungen ist von der eigenen Arbeit. Die Herren von der Industrie schließlich scheinen dem Publikum von morgen gar nicht sehr zugewandt, sonst würden sie das ebenso brisante wie komplizierte Thema des Leistungsschutzes gegenüber „illegalen“ Mitschnitten von SchaUplatten, Rundfunk- und (vorerst noch seltener) Fernsehsendungen mit anderem Zungenschlag diskutieren; jedenfalls nicht „beinhart“ geschäftlich und selbstbewußt (die Schallplatten-Industrie sei „der großzügigste Gönner, den es je gegeben hat“).

In Salzburg war die Gesamtheit des Kongresses offensichtlich nicht bereit, über ein vorgeschlagenes Abschrek- kungsmittel“ zu diskutieren: der Kauf von Leer-Kassetten solle mit einer Steuer belegt werden, so daß der Preis dem einer Schallplatte entspräche. Der Abgeltungsanspruch muß mit Vernunft und im Interesse der Benutzer über die nationalen Gesetzgeber geregelt werden. Durchsichtige Unkenrufe („Rückfall ins Mittelalter“, „Untergang der Schallplatten-Industrie“) helfen gewiß nicht weiter.

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